29. Krafttanken

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MISLINA

„Whoever brings you the most peace, should get the most time."

„Ach halt doch die Klappe!", rufe ich lachend aus. Dabei greife ich gleichzeitig nach dem quadratischen Kissen, das auf dem Sofa neben mir liegt und werfe es geradewegs in Suavis Gesicht. „Was denn? Darf man jetzt auch nicht mehr die Wahrheit sagen?", Suavi legt das Kissen auf seinem Schoß ab und lehnt sich zurück. „Eure Trennung war ohnehin das dümmste, was du machen konntest", wiederholt er seine Worte. Ich weiß, dass er recht hat und doch gefällt es mir, ihm die Stirn zu bieten.
Ich habe meine Freunde so sehr vermisst.
„Lass meinen Engel in Ruhe, Suavi!", mahnt Valdetja ihn, jedoch ruhen ihre Blicke einen kleinen Augenblick zu lange auf ihm. Zu lange, um diesen Blicken keine Bedeutung zu schenken. Zu lange, um sie als freundschaftlich einzustufen.
„Können wir bitte über das hier und jetzt sprechen? Die Vergangenheit ist nicht so relevant, nachdem sie uns gerade erst verkündet hat, dass sie in drei Monaten heiraten werden!", Aminata lehnt sich an Arthur und hält sich die Hand vor den Mund. Gleichzeitig füllen sich ihre Augen mit Tränen. „Und wir haben die Ehre ihre Brautjungfern zu sein", Hafsas Augen blitzen ebenfalls verdächtig auf. „Wer, wenn nicht ihr?", frage ich mit einem breiten Lächeln und schaue meine Mädels nacheinander an.

„Wie hat es Mihriban eigentlich geschafft ihre Hochzeit so kurzfristig zu planen?", fragt Malik, während er unseren Freunden ihre Kaffeetassen reicht. Fatih kommt keine Minute nach ihm ins Wohnzimmer und hält mir meine Tasse unter die Nase. „Danke", ich schenke Fatih ein Lächeln und beobachte ihn dabei, wie er sich neben mich hinsetzt. Nachdem ich meine Tasse mit beiden Händen festhalte, richte ich meine Blicke auf Malik, der nun zwischen seinem Bruder und Alim sitzt. „Es war von vornherein geplant, dass die Hochzeit in zwei Wochen stattfindet. Wäre ich bis dahin nicht aus dem Krankenhaus entlassen worden, hätten sie den Termin kurzfristig verschoben", ich nehme einen Schluck meines Kaffees, schließe die Augen und genieße den Geschmack, nach dem ich mich während der Therapie gesehnt habe. Ich habe zwar auch im Krankenhaus Kaffee getrunken, aber der hat nicht ansatzweise so gut geschmeckt wie der zu Hause. Ich inhaliere den Geruch mehrmals und nehme dadurch den Geschmack nur noch intensiver wahr. Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich behaupten, dass ich förmlich spüre wie mein Nervensystem seine Serotonin-Produktion ankurbelt und die dazugehörigen Rezeptoren diese veränderte Konzentration wahrnehmen. Ein Glücksgefühl breitet sich in meinem gesamten Körper aus, der mich gleichzeitig auch beruhigt. Ich werde aus meiner Trance geweckt, als ich einen Kuss auf meiner Wange spüre. Überrascht schaue ich zu Valdetja, die sich gerade wieder zurückzieht aber im gleichen Moment in schallendes Gelächter verfällt. „Tut mir leid, Zemer", sie wischt sich eine Träne weg und ihre Worte vermischen sich mit ihrem Lachen. Total überfordert von der Situation blicke ich in die Runde und hoffe, dass mich jemand aufklärt. „Fatih war gerade eifersüchtig auf deine Kaffeetasse. Hätte Valdetja nicht reagiert, hätte er dir deine Tasse aus den Händen gerissen", erklärt Abdulkadir und unwillkürlich verstärkt sich mein Griff um meine Tasse. Er unterdrückt nur gerade so sein Lachen, dafür ist sein breites Grinsen so ansteckend, dass ich ihm nachahme.

Ich weiß, dass es völlig aus dem Kontext gerissen ist, dennoch muss ich die Worte loswerden, die sich in meinem Gehirn angestaut haben. „Wir kommen gleich darauf zurück", ich schaue kurz zu Fatih, dann auf meine Kaffeetasse, ehe ich sie auf dem Couchtisch ablege. Fatihs Mundwinkel zucken in die Höhe, während er mich anstarrt. Ich lasse meine Blicke durch die Runde gleiten und atme tief durch. „Ich bin euch allen so unendlich dankbar. Ihr wart in Hannover immer an meiner Seite, während meiner Therapie habt ihr immer angerufen, habt mir Kraft geschenkt. Jetzt seid ihr wieder bei mir. Ich habe dank euch den Weg durch den dunklen Tunnel gefunden. Ihr seid der Lichtstrahl der mich leitet. Ich schätze mich so glücklich, dass ich euch meine Familie nennen kann — denn Freundschaft würde meine Gefühle für euch viel zu verharmlosen", ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht in Tränen auszubrechen. „Wir werden immer da sein. Wenn wir nicht gemeinsam durch die Tiefen unserer Leben gehen, dann haben die Höhen doch gar keinen Wert", Nasir schenkt mir ein Lächeln und ich spüre, dass es von Herzen kommt.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt