5. Jahrgangsausflug

534 44 46
                                    

MISLINA

„You must think I'm crazy for missing something I never even had."

— 1 Jahr später —

„Ich schwöre dir, Zemer, ich weiß nicht, was in dem Kopf dieser Frau vor sich geht!", Valdetja schüttelt mit ihrem Kopf und verstaut ihre Sachen, die wir vor einigen Minuten gemeinsam ausgesucht haben, in meinem kleinen Koffer. „Davon abgesehen, dass Hannover total unnötig und einmal quer durch Deutschland ist, stehen wir kurz vor unserem Abitur und sie kommt an mit Jahrgangsausflug. Wenn sie unbedingt einen sinnvollen Ausflug vorgehabt hätte, wären wir nach Düsseldorf gefahren — da gibt's doch den größten buddhistischen Tempel", spricht sie aufgebracht vor sich hin und lässt damit meine Mundwinkel amüsiert in die Höhe steigen.
Die Ethik- und Religionslehrer haben beschlossen, dass wir die Weltreligionen, die eines der Themen des Halbjahres sind, in den jeweiligen Gebetshäusern etwas intensiver kennenlernen als nur durch Frontalunterricht und Vorträge.
„Aber dir kommt es ja ganz gelegen, nicht wahr? Es besteht schließlich die Möglichkeit, dass du deinen Prinz Charming triffst", sie grinst mich vielsagend an und lässt ihre Augenbrauen auf und ab steigen. „Hältst du bitte deine Klappe!", rufe ich entsetzt und blicke über meine Schulter zu ihrer verschlossenen Zimmertür und atme erleichtert aus — es wäre mir so unendlich peinlich, wenn Hajdar Abi das Thema mitbekommen würde. „Als wäre es meinem Bruder entgangen, dass du während Zümra Ablas Verlobung Fatih beobachtet hast. Oder dass du Fatih auf der Hochzeit nach draußen gefolgt bist, als er am Weinen war. Der Typ ist aufmerksamer als alle Männer auf dieser Welt zusammen. Er hat mich direkt gefragt, was da zwischen euch läuft", Valdetja zwinkert mir kurz zu und packt als letztes ihre Kosmetiktasche ein. „Das ist so peinlich", murmele ich und verstecke mein Gesicht hinter meinen Händen. „Dass ich weiß, in wen du verliebt bist, sollte dir nicht peinlich sein, shpirt (Albanisch: Seele, Kosename). Im Gegenteil kann ich dich im Fall aller Fälle verteidigen", ertönt plötzlich die Stimme von Hajdar Abi hinter mir. Unwillkürlich reiße ich die Augen auf und blicke ungläubig zu dem Albaner, bis ich seine Worte realisiere und beschämt den Blick senke. „Du bringst sie in Verlegenheit man!", höre ich Valdetja zwar sagen, doch schaffe ich es nicht, den beiden Geschwistern ins Gesicht zu sehen.

Am nächsten morgen sitzen wir in der Frühe im Zug und fahren als gesamter Jahrgang nach Hannover. Ein kurzer Blick über uns verdeutlicht, dass wirklich nicht mehr viel Zeit bis zu den Prüfungen ist, denn alle haben ihre Köpfe in ihre Lernsachen gesteckt und versuchen so die viereinhalb Stunden sinnvoll zu nutzen. „Mislina?", Valdetja tippt mich leicht an, weswegen ich einen Kopfhörer aus meinen Ohr nehme „Bekir fragt, ob du das letzte Thema in Bio verstanden hast und es ihm jetzt erklären könntest." Während sie spricht, deutet sie auf den Jungen mit den grünbraunen Augen, der mir im Vierer gegenüber sitzt. Nickend nehme ich auch den zweiten Kopfhörer raus und warte darauf, dass sie mit besagtem die Plätze wechselt, damit ich es ihm erklären kann.

„Danke, man. Du hast mich gerettet! Wie kann ich das wieder gutmachen?", er schaut mich aus bewundernden Augen an, weswegen ich verlegen den Blick abwende. „Du bist so eine Augenweide Mislina, wärst du nicht meine Kindheitsfreundin und würdest alles über mich wissen, würde ich mein Glück bei dir versuchen", murmelt er leise vor sich hin und seufzt im Anschluss leise, was mich zum Grinsen bringt — denn eigentlich ist er schon seit Jahren in seine Nachbarin verliebt. „Du hast dich in den Jungen verliebt, der vor einem Jahr plötzlich auf dem Schulhof stand, oder? Ich wünschte, ich könnte ihn sehen und dich mit einem guten Gewissen an ihn anvertrauen", er lächelt leicht und fährt sich durch die Haare. Die Verlegenheit, in die er mich bringt, ist nicht in Worte zu fassen. „Selbst so, vor Scham errötet, siehst du wie ein Engel aus", Bekir schaut mich noch immer von der Seite an, lächelt amüsiert, als ich meine Wangen hinter meinen Händen verstecke. „Tamam, ich bin schon ruhig", er lacht leise, steckt sich seine Kopfhörer in die Ohren und wiederholt das, was ich ihm vor einigen Minuten noch erklärt habe.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt