7. Verluste

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MISLINA

„We can't fully appreciate joyful reunions later without tearful separations now. The only way to take sorrow out of death is to take love out of life."

Russell M. Nelson

Voller Verzweiflung blicke ich zwischen meiner besseren Hälfte, die sich nur schwer auf den Beinen hält, und dem Grab ihres Vaters hin und her. Der letzte Teil meines Satzes ist so schmerzhaft. Diese Worte sollten nicht nebeneinander stehen, nicht so früh. Die Beerdigung hatte sich so surreal angefühlt, Onkel Durim war doch bis vor einigen Stunden noch putzmunter, hatte doch den Krebs so oft besiegt, hatte uns doch nach jedem Kampf so viel Hoffnung geschenkt.

Nur wage kann ich mich noch an die Beerdigung von Azad Abis Großeltern und Fatih Abi erinnern — deren Tod kam ebenso plötzlich und unerwartet wie der von Onkel Durim.
Umso tiefer sitzt aber die Erinnerung an die Beerdigung meines Onkels vor einigen Jahren, auf dessen Tod wir aber irgendwie vorbereitet waren. Die Ärzte hatten uns damals keine Hoffnungen gemacht, die Situation um Onkel Durim war aber etwas anders — wir dachten, dass der Krebs nun endgültig besiegt war.

„Papa", wimmert meine beste Freundin neben mir und krallt sich fester an mich. Damit zieht sie mich auch aus meinen Gedanken und katapultiert mich in die schmerzhafte Realität, von der ich am liebsten rennend fliehen würde.
Niemand kann den Verlust eines Elternteils verstehen, der es selbst nicht erlebt hat und genau deswegen spare ich mir jegliche Worte, um Valdetja zu trösten. Ich festige lediglich meinen Griff um sie und drücke ihr einen langen Kuss auf die Schläfe, nachdem sie ihren Kopf und meiner Brust platziert. Stumm tritt Hajdar einige Minuten später neben uns und nimmt seine Schwester in seine Arme, weswegen ich alleine dastehe. Doch lange hält das nicht an, denn plötzlich umschließt mich Azad Abis friedlicher Duft — einer den ich vermutlich nie vergessen werde, denn ich verbinde ihn mit meiner Kindheit — und im nächsten Moment liegen seine Arme um meinen Körper. „Du bist nicht alleine, du musst nicht stark bleiben. Onkel Durim war auch für dich unglaublich wichtig", flüstert er in mein Ohr und startet damit meinen Tränenfluss.

Sobald wir am Abend die Gäste aus dem Haus der Bajramis verabschiedet haben, die die Familie nach ihrem Verlust nicht alleine lassen wollten, haben meine Schwägerin und ihre beste Freundin es sich zur Aufgabe gemacht, dass Valdetja schläft. Nach endlosen Versuchen, atmen wir drei erleichtert auf, als die Atmung meiner besten Freundin regelmäßig wird. „Geht rein, ich bleibe bei ihr", flüstere ich beiden zu und fahre meiner bessere Hälfte durch die Haare. Ihr Schlaf ist unruhig, das sieht man ihr an, und doch braucht sie gerade eine ordentliche Portion davon.

Mein vibrierendes Handy lenkt meine Aufmerksamkeit von der schlafenden Valdetja auf sich und vorsichtig greife ich danach. Als mir eine Nachricht von Fatih ins Auge fällt, ziehen sich meine Mundwinkel leicht in die Höhe.
Wie geht's euch?", lese ich und atme tief durch, ehe ich mich vom Bett erhebe und zum Fenster laufe, wo ich mich auf die Fensterbank setze.
Valdetja ist nur am Weinen und ich versuche ihr so gut es geht beizustehen", tippe ich und lasse meine Blicke kurz zu meiner Schönheit wandern, ehe ich die Nachricht abschicke. Die Häkchen auf der unteren rechten Ecke der WhatsApp-Nachricht werden direkt blau und einige Sekunden später fängt Fatih an zu tippen, löscht seine Nachricht und wiederholt diese beiden Taten einige Male, bis mich endlich seine Nachricht erreicht.
Kannst du gerade telefonieren?", über Fatihs Nachricht muss ich mir ein Lächeln verkneifen.
Ja", antworte ich knapp und trete auf den Balkon um Valdetja nicht mit meinem Gerede zu wecken.

„Mein herzliches Beileid, Mislina", ertönt Fatihs Stimme und gibt mir unwillkürlich inneren Frieden. „Dankeschön", ich lehne mich gegen das Balkongitter und genieße die kühle Nachtbrise. „Möchtest du vielleicht etwas reden? Vielleicht tut es dir gut? Dann kannst du Valdi etwas besser aufbauen", schlägt mir Fatih, nach einigen stillen Augenblicken, vor.

„Ich war einige Stunden vor dem Tod von Onkel Durim noch bei ihnen im Haus. Wir haben gemeinsam gesessen, gelacht und uns amüsiert. Er war mir wie ein leiblicher Onkel", flüstere ich und spüre die ersten Tränen über meine Wange laufen. „Ich wünschte, dass wir kurz vor dem Tod eines Menschen ein Verlustgefühl bekommen könnten. Dann hätte ich ihm so gerne Mal gesagt, dass er mir den Verlust meines Onkels vergessen lassen hat, dass er mir so gut getan hat, dass er zeitweise sogar ein Vater-Ersatz für mich war", ich setze mich auf den kalten Balkonboden, lehne mich mit dem Rücken an das Gitter und beobachte meine beste Freundin von hier aus beim Schlafen. „Das wäre echt schön, dann würde der Tod vielleicht etwas erträglicher sein", man hört Fatihs Stimme heraus, dass ihm dieses Gespräch eigentlich total schwer fällt — und genau deswegen ist es unglaublich besonders für mich. „Ich glaube, dass tödliche Verluste nie erträglich sind. Sie werfen unsere Leben aus ihrer Bahn, nehmen uns unsere Liebsten weg", ich muss an Azad Abis Großeltern, an Fatih Abi und auch an Bilal Abi denken, während ich das sage. „Ich glaube nicht, dass es unseren Schmerz lindern würde, wenn wir jemandem sagen würden, dass wir ihn lieben. Das Fehlen eines Menschen ist einfach...", ich breche Mitten im Satz ab, denn das Weinen erschwert mir das sprechen. „Scheußlich", beendet Fatih meinen Satz. Ich kann ein lautes Schluchzen nicht unterdrücken, doch versuche ich vergebens mit dem Pressen meiner Hand auf meinen Mund einen weiteren Schluchzer zu verhindern. „Nein, Mislina, nein. Unterdrück deine Gefühle nicht! Lass ihnen freien Lauf, denn sonst holen sie dich irgendwann ein", spricht Fatih die Worte aus, die mein lautes Weinen auslösen. „Umarm dich selbst, denn ich kann es gerade nicht tun. Aber ich bin da für dich, Mislina", flüstert Fatih und ich komme seiner Aufforderung nach.
Während ich schluchze und zusammengekauert auf dem Boden sitze, atmet Fatih regelmäßig am anderen Ende der Leitung und gibt mir damit einen unbeschreiblichen inneren Frieden.
„Danke", flüstere ich irgendwann und wische mir die Tränen mit dem Handrücken weg. „Nicht dafür. Geht es dir etwas besser?", fragt er vorsichtig nach und lässt mich Lächeln. „Ja, danke. Ich weiß, dass du selbst nicht gut auf das Thema zu sprechen bist und dennoch hast du mich hier aufgebaut und mir Kraft geschenkt. Ich kann dir gar nicht beschreiben, wie wertvoll das für mich ist", ich atme tief durch und versuche mich auf die Beine zu stellen.
Ich umschließe das Gitter fest mit meiner freien Hand und lasse meine Blicke durch die Gegend wandern.
Im Garten erblicke ich Hajdar und Selim Abi, wie sie auf der Hollywoodschaukel sitzen und reden — also bin ich nicht der einzige, der gerade eine seelische Stütze bekommt. Ein weiteres Mal bin ich Gott dankbar dafür, dass meine Schwester solch einen Mann an ihrer Seite hat.

„Ich habe Angst zu fragen, aber wie geht es Zümra?", flüstert Fatih irgendwann und erinnert mich daran, dass er noch am Handy ist. „Tut mir leid, ich habe gerade Hajdar und Selim Abi im Garten gesehen und vergessen, dass du am Handy bist. Solange Azad Abi bei ihr ist, ist keine Trauer unüberwindbar für sie. Man sieht ihr ihren Schmerz an, sie wird unwillkürlich an euren Bruder erinnert, aber sie ist stark für uns alle", ich lächle unwillkürlich, denn Zümra Abla ist einer dieser Menschen, der einem inneren Frieden gibt, wenn man an ihn denkt. Sie hat heute immer wieder aufs Neue ihre Selbstlosigkeit unter Beweis gestellt und ist jedem zur Hilfe geeilt. „Du hast sie echt gerne, oder?", fragt Fatih. „Und wie! Sie ist Mihriban und mir eine Schwester und da sie uns scheinbar genauso sehr liebt, wie wir sie, ist es auch gar nicht abwegig, dass ich sie so sehr ins Herz geschlossen habe", ich strecke vorsichtig mein Kopf in das Zimmer, in dem Valdetja schläft, und höre sie etwas murmeln. „Fatih? Ich lege auf, ja? Valdis Schlaf wird gerade unruhig. Danke, dass du angerufen hast und mir zugehört hast. Ich bin dir etwas schuldig", ich laufe langsam auf das Bett zu und lege mich vorsichtig neben meine beste Freundin. „Ja, natürlich. Versuch auch etwas zu schlafen, Mislina. Und nein, du bist mir nichts schuldig. Wenn das Zuhören an eine Schuld gekoppelt ist, dann schulde ich dir etwas. Aber darüber können wir diskutieren, wenn wir uns mal wieder gegenüberstehen", Fatihs Worte lassen mich Lächeln und schweren Herzens lege ich auf.

Zu aller erst tut es mir leid, dass ich seit 3 Wochen kein Kapitel veröffentlicht habe, dass ich in letzter Zeit auf die Kommentare immer so spät erst antworte, dass dieses Kapitel hier so kurz ist. Ich habe zurzeit extremen Zeitmangel und komme kaum zum Schreiben, hinzu kommt, dass ich zurzeit eine kleine Schreibblockade habe, die alles nur noch schlimmer macht. Ich wollte euch nicht länger warten lassen und habe mich gezwungen dieses Kapitel zumindest fertig zu schreiben. Wann es weitergehen wird, kann ich euch nicht sagen, aber sobald ich fertige Kapitel habe, bekommt ihr sie zu lesen.

Ich hoffe ihr hattet trotz allem Spaß beim Lesen.
Hoffentlich bis bald,
Eure Beyza 🎈

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt