9. Regentanz

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MISLINA

„She loved him, there was no question about that. But she loved him in a way he had yet to understand. Yet she loved him anyway."

JmStorm

Ich laufe mit meinem Kommilitonen Arthur über den Campus — da er mir gerade eine Anekdote aus seiner Kindheit erzählt, kann ich mein Lachen nicht unterdrücken — und begegne im gleichen Moment Fatihs Blicken. Seit unserem kleinen Billard-Wettkampf habe ich ihn nicht gesehen, weswegen mich das Wiedersehen unwillkürlich nervös macht. Vom Weitem nicke ich ihm zur Begrüßung zu, blicke anschließend wieder zu Arthur, der wild am Gestikulieren ist. Seine unbeschwerte Art lässt mich lächeln und automatisch wohlfühlen — ich wusste vom ersten Moment an, dass wir uns verstehen würden und ich weiß jetzt schon, dass er mich nicht so leicht los wird. Mit ihm an meiner Seite habe ich sowohl die Einführungswoche als auch die erste Woche des ersten Semesters mit Erfolg gemeistert.

„Mislina, sag mal, kennst du den Typen da drüben", er nickt irgendwann in die Richtung, in der ich vorhin Fatih erblickt hatte, sodass ich erneut dahin sehe und auf meeresblaue Augen treffe, die auf mir liegen. „Ja, er ist ein Familienfreund", ich nicke und bemerke, dass Fatih langsam auf uns zukommt — gefolgt von seinen Freunden, mit denen er vorhin vor der Mensa stand. „Hey Mislina", grinst er und steckt die Hände in die Hosentaschen, als er vor uns stehenbleibt. „Hey", ich kopiere seinen Gesichtsausdruck und versinke in dem Meer in seinen Augen. „Wie geht's dir? Wie kommst du hier zurecht?", er macht eine Bewegung und deutet auf die Uni. „Ganz gut soweit, ich habe Arthur hier — er ist wie ein Navigationsgerät", ich blicke zu meiner Linken und grinse den Polen an, der nur kopfschüttelnd lacht. „Du kommst mir irgendwoher bekannt vor", murmelt einer von Fatihs Freunden — scheinbar so leise, dass Arthur es nicht mitbekommt. „Ich bin übrigens Fatih", stellt sich Fatih meinem Kommilitonen vor und streckt ihm die Hand hin. „Und das sind meine Freunde Yasir und Alim", er deutet jeweils auf denjenigen, dessen Namen er nennt. Die Jungs nicken mir lediglich lächelnd zu und reichen Arthur die Hand, was mich friedlich Lächeln lässt — es ist schön zu wissen, dass es noch Jungs gibt, die auf die religiösen Gebote achten.

„Hast du dich schon einleben können? Fatih hat uns an dem Wochenende versetzt, als du hergezogen bist", grinst Alim und zwinkert Yasir zu, der ebenfalls breit grinsen muss. Fatih blickt über seine Schulter zu seinen Freunden, woraufhin das Grinsen der zwei Jungs breiter wird. „Du brauchst jetzt gar nicht so zu gucken. Ist doch nur die Wahrheit", zuckt Yasir mit den Achseln und stupst Fatih lachend an. „Ja habe ich, danke fürs Fragen. Ich hoffe ihr hattet nicht allzu wichtige Pläne?", ich lächle zögernd, was die Jungs dazu bringt, dass sie lachend mit dem Kopf schütteln. „Na ja, wie auch immer. Eigentlich sind Alim und ich gerade nur mit Fatih mitgekommen, um dich einzuladen. Wir gehen heute mit ein paar Freunden raus, Fatih soll dich einfach abholen und mitnehmen. Dann lernst du ein Paar mehr Leute in Hannover kennen", Yasir geht einen Schritt auf Fatih zu, sodass beide nun auf gleicher Höhe stehen, und legt seinem Freund einen Arm um die Schulter. In Fatihs Gesicht kann ich aber sehen, dass er nicht sonderlich erfreut von der Idee seiner Freunde ist, weswegen ich lächelnd mit dem Kopf schüttle. „Danke für die Einladung, aber ein andermal vielleicht", ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass die Tatsache, dass ich bei Fatih unerwünscht bin, mich verletzt.
„Wieso denn nicht? Wir sind nicht nur Jungs in der Gruppe, falls dich das davon abhält mitzukommen", Alim kommt auch einen Schritt auf uns zu und zwickt Fatih von der Seite. „Ja, meine Cousine und Alims beste Freundin kommen zum Beispiel mit. Das wird bestimmt witzig!", Yasir blickt hoffnungsvoll in meine Augen und auch Arthur stupst mich leicht an. „Hört sich doch gut an, was hält dich ab?", flüstert er mir so leise zu, dass die anderen es nicht mitbekommen. „Ich will wirklich nicht stören", ich lächle gekonnt, doch dieses Mal ist es Fatih, der mit dem Kopf schüttelt. „Ich komme dich so gegen 17 Uhr abholen, wenn das okay ist?", fragt er und ich nicke lediglich als Bestätigung, da mich die Farbänderung in seinen Augen einschüchtert — das Blau hat sich deutlich verdunkelt und widerspiegelt vermutlich seine negative Stimmung. Bevor er sich umdreht und geht, schenkt er mir ein kurzes Lächeln, was ich versuche zu erwidern.
„Ich schwöre dir, Akhi (Bruder), dieser Junge zerrt an meinen Nerven", spricht Alim zu Yasir — während sie Fatih beim Gehen beobachten —, der ebenfalls nickt. „Bis heute Abend", lächeln beide anschließend und wenden sich, nachdem sie mir zugenickt haben, von uns ab. Ich beobachte die Jungs dabei, wie sie versuchen auf Fatih einzureden, der scheinbar sauer auf sie ist, denn er schüttelt beide ab und läuft schnell ins nächste Gebäude.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt