- elf -

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Als ich mich am nächsten Morgen übermüdet das Haus verlasse, um zur Uni zu fahren, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. "Fuck!", stoße ich aus. Mein Auto steht noch am Cielo, weil Colin mich nach dem Essen bei McDonalds nachhause gefahren hat.

Ich werfe einen hektischen Blick auf mein Handy. 7:30 Uhr, meine erste Vorlesung beginnt um 8 Uhr. Ich überlege kurz und wähle dann Phils Nummer, der den Anruf schon nach dem zweiten Klingeln annimmt und gutgelaunt in sein Handy flötet: "Guten Morgen Sonnenschein."

Egal, wie sehr mich die ganze Situation gerade stresst, Phil schafft es, mir im Handumdrehen ein Lachen auf die Lippen zu zaubern.

"Philli, wo bist du?", säusele ich zuckersüß. "Auf dem Weg zur Uni, Ari, und du?"

"Ich wäre auch gerne auf dem Weg", antworte ich zähneknirschend. "Aber?" "Ich habe mein Auto gestern am Cielo stehen lassen und jetzt stehe ich vor meiner Wohnung und weiß nicht, wie ich hier wegkommen soll", lache ich, überrascht von meiner eigenen Dummheit.

"Kein Problem, ich hole dich ab und fahre dich nach den Vorlesungen zu deinem Auto, okay?", bietet er ohne zu zögern an. Phil ist einfach der Beste.

Keine zehn Minuten später erfüllt das Geräusch von Phils röhrendem Auspuff die gesamte Straße. Seinen Bugatti hört man schon lange, bevor man ihn sieht. Ich steige in seinen Sportwagen und begrüße meinen besten Freund mit einem liebevollen Kuss auf die Wange. "Danke Phil, du bist meine Rettung", stöhne ich abgehetzt. Dieser Morgen war so gar nicht nach meinem Geschmack.

Wir kommen so spät an der Uni an, dass wir mit schnellen Schritten über den Gang hetzen. Eigentlich ist es kein Problem, wenn Studierende später zu kommen, aber der Professor, der die jetzige Vorlesung hält, ist in puncto Pünktlichkeit ziemlich empfindlich. Wir eilen durch den Flur, haben keinen Blick für das schöne, altmodische Gebäude über und atmen erst erleichtert auf, als wir sehen, dass unsere Kommilitonen noch auf dem Gang vor dem Vorlesungssaal stehen. 

"Das war knapp. Beim nächsten Mal rufst du mich eher an", schnaubt Phil atemlos, auf seinen Lippen ein süßes Lächeln, das ich erwidere. "Ach was, hat doch alles gepasst", entgegne ich, hebe meine Hand und gebe ihm ein Highfive.

Am Ende des Ganges mache ich Chase und Ian auf, die uns amüsiert beobachten. Wir gesellen uns zu ihnen und begrüßen sie.

"Oh, Ari und Phil kommen zusammen zu spät. Lange Nacht gehabt, ihr zwei?"

Phil zuckt unbeteiligt mit den Schultern. "Ja, Ari hat 'ne lange Nacht gehabt, aber ohne mich." Ich boxe ihm spielerisch gegen die Rippen.

„Ne, ich bin heute Morgen losgegangen und habe ganz vergessen, dass ich mein Auto gestern Abend vor einer Bar stehen gelassen habe. Zum Glück hat Phil mich gerettet“, erkläre ich bereitwillig.

"Was würdest du eigentlich ohne Phil machen?", fragt Chase ernst.

"Das frage ich mich jeden Tag." Es ist die Wahrheit, ich kann mir ein Leben ohne den gutaussehenden Amerikaner gar nicht mehr vorstellen. Ich schenke ihm ein aufrichtiges Lächeln und drücke mich kurz liebevoll an ihn.

"Ach Leute, hört auf damit. Ich habe Ari von zuhause abgeholt, nicht ihr Leben gerettet. Das hätte jeder von euch auch gemacht und ich hätte das auch für jeden anderen von euch genauso getan."

Ich kenne viel zu viele Männer, die sich in den Vordergrund drängen und sich selbst besser darstellen, als sie sind, doch nicht Phil. Er würde sich nie profilieren; weder damit, dass er gut in seinem Studium ist, noch mit seinen Erfolgen im Football und schon gar nicht mit seinem guten Aussehen. Das alles schätze ich an ihm, aber am meisten schätze ich sein großes Herz.

Während ich Revue passieren lasse, was Phil schon alles für mich getan hat, überkommt mich ein starkes Gefühl von Dankbarkeit. Ich schlinge meine Arme um Phils Bauch und umarme ihn fest. Er drückt mich an sich und legt sein Kinn auf meinen Kopf. Ich schaue ihm in die Augen und er erwidert meinen Blick zärtlich. "Danke Phil, ehrlich, für alles. Ich bin dir so viel schuldig, das kann ich in diesem Leben gar nicht mehr gut machen." 

Phil verdreht die braunen Augen verlegen und ermahnt mich, es nicht zu übertreiben, doch ich sehe auch das geschmeichelte Lächeln, welches über seine Lippen huscht.

...

Um 16.15 Uhr endet unsere letzte Vorlesung des heutigen Tages. Phil und ich holen mein Auto ab und fahren dann zu ihm.

Wir laufen die vielen Treppen hoch in sein Appartement und noch im Flur fragt er mich wohlwissend: "Hast du Hunger?" Ich nicke schuldbewusst. "Okay, ich komme sofort wieder. Mach es dir einfach im Wohnzimmer gemütlich."

Phil verschwindet durch die Wohnungstür, und ich bleibe kurz auf dem Weg zum Wohnzimmer an der hohen, beleuchteten Glasvitrine im schmalen Flur stehen. Die Vitrine ist ordentlich angeordnet und beleuchtet, sodass die zahlreichen Erinnerungsstücke perfekt zur Geltung kommen. Fotos von Phil in verschiedenen Phasen seiner Football-Karriere füllen die Regale, eingerahmt von zahlreichen goldenen Medaillen und sorgfältig gerahmten Urkunden. Ein paar Zeitungsausschnitte sind ebenfalls zu sehen, die seine Erfolge und Meilensteine dokumentieren. Es ist offensichtlich, dass er eine beeindruckende Karriere hat, auch wenn er selbst das gerne herunterspielt.

Plötzlich überkommt mich ein schlechtes Gewissen. Viel zu oft dreht sich in unserer Freundschaft alles um mich. Ariana braucht Hilfe, Ariana will dies, Ariana hat das - aber im Ausgleich habe ich selten etwas für Phil getan. Bei einem Football-Spiel von ihm im Stadion war ich zum Beispiel noch nie.

Oh Gott. Ich bin eine schreckliche Freundin.

Als ich kurz davor bin, mich in Selbsthass zu verlieren, wird die Wohnungstür aufgestoßen und Phil kommt mit zwei riesigen Tellern dampfender Spaghetti Bolognese herein, die so köstlich duften, dass mir das Wasser im Mund zusammen läuft.

Sie schmecken so köstlich wie sie riechen, und nachdem wir beide die großen Portionen restlos verputzt haben, setzen wir uns daran, meine Hausarbeit fertig zu schreiben. Wir drucken sie auch gleich aus, sodass ich sie morgen in der Uni direkt beim Prof abgeben kann.

"Danke Phil, ohne dich hätte ich das nie hinbekommen", sage ich mit zufriedenem Blick auf den Stapel Papier vor mir. Phil ist ein deutlich besserer Student als ich und ich bin froh, auf seine Unterstützung zählen zu können.

"Hör doch auf, dich immer so klein zu machen, Ariana", schimpft er. "Natürlich hättest du das auch alleine geschafft." Er zieht mich sanft an sich und umarmt mich.

Dann sieht er mir tief in die Augen. Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich nehme nur noch seine warmen, braunen Augen mit den einzigartigen Kupferflecken wahr.

Einen Moment zu lange schauen wir uns einfach nur an. Einen Moment zu lange schweigen wir. Einen Moment zu lange inhaliere ich seinen Duft. Einen Moment zu lange genieße ich seine Nähe.

"Rede nicht so schlecht von dir, Ari. Du bist klug, liebenswert und wunderschön. Du kannst alles schaffen, was du willst, kapier das endlich", sagt er sanft, ohne dabei seinen Blick von mir zu nehmen.

Ich bringe kein Wort heraus, so hypnotisiert bin ich von seinen Augen. In mir entsteht plötzlich das Bedürfnis, meine Lippen auf seine zu pressen und ihn zu küssen.

"Ich..", stammele ich. Mein Herz klopft immer schneller. Ich will ihn nur einmal spüren, ganz nah.

Doch dann wird mir plötzlich bewusst, was hier gerade passiert. Ich löse mich aus meiner Schockstarre und springe auf. "Ich muss jetzt nachhause, Phil. Danke für deine Hilfe." Schnell drücke ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, schnappe meine Tasche, den Stapel Papier und mein MacBook und laufe zur Tür hinaus.

Ich kann erst wieder richtig durchatmen, als ich vom Grundstück der Familie West fahre.

Was war das gerade zwischen uns? Woher kam diese Nähe? Sowas habe ich zwischen uns noch nie zuvor gespürt. Seit wann habe ich bitte das Bedürfnis, Phil zu küssen? Was ist nur neuerdings los mit mir?

Ich werfe einen flüchtigen Blick auf mein Handy, da erregt etwas mein Aufsehen. Eine neue Nachricht von einer fremden Nummer.

Wer zur Hölle ist das?

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt