- siebenunddreißig -

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"Fuck! Das kann doch nicht wahr sein", fluche ich. John kneift ungläubig die Augen zusammen.

"Was wollte Phil denn hier?

"Das wüsstest du bestimmt, wenn du an dein beschissenes Handy gehen würdest", fährt John mich an.

"Das muss total falsch für ihn ausgesehen haben! Du wolltest mich gestern Abend nachhause fahren und kommst am nächsten Morgen verpennt aus meiner Wohnung, mit einer leeren Weinflasche und einem Pizzakarton. Das schreit ja geradezu nach Sex mit dem Ex. Dazu die drei unbeantworteten Anrufe von ihm.. Ich bin am Arsch."

"Dann wäre das wohl der ideale Zeitpunkt, um die Karten auf den Tisch zu legen. Phil ist nämlich nicht nur dein Freund, sondern auch meiner. Noch mehr Stress können wir echt nicht gebrauchen, der Coach hat uns schon auf dem Kieker", kommentiert John und sieht mich auffordernd an.

Ich lache laut auf. Es ist ein bitteren Lachen, das meine Augen nicht erreicht. "Ist das dein Ernst? Dein größtes Problem an der Nummer sind dein Coach und euer verdammtes Team? Oh Gott John, manchmal bist du echt ein Idiot!"

Ich lasse ihn stehen und laufe zurück zu meiner Wohnung. "Ernsthaft, Ari, klär das!", ruft er mir wütend nach.

"Halt's Maul", flüstere ich vor mich hin und lasse die schwere Haustür hinter mir ins Schloss fallen.

Das kann alles nicht mehr wahr sein.

Ich gehe duschen und werfe mich in einen kuscheligen Jogginganzug, bevor ich mir einen heißen Tee mache. Einen Kamillentee. "Ekliger Blümchentee", wie Phil immer sagt.

Phil.

Ich unterdrücke das schlechte Gewissen und esse einen Joghurt, bevor ich mich in mein Bett lege. Die kurze Nacht auf dem Sofa war alles, aber nicht erholsam. Ich fühle mich, als hätte ich gar nicht geschlafen. Deshalb mache ich mir eine Tierdoku auf meinem kleinen Fernseher im Schlafzimmer an und schließe schon nach kurzer Zeit die Augen.

Nach meinem ausgiebigen Mittagsschlaf verbringe ich den Rest des Tages mit Fernsehen und ein wenig Haushalt. Ich schalte eine Maschine Wäsche an und hänge sie später auf. Ich koche sogar eine Suppe und sortiere ein wenig meinen Unikram, wohlwissend, dass ich prokrastiniere. Ich tue alles dafür, nicht an Phil zu denken.

Und trotzdem gelingt mir das nicht.

Immer wieder starre ich auf mein Handy und warte auf ein Zeichen von ihm. Ein Anruf, eine Nachricht, irgendwas. Obwohl ich ganz genau weiß, dass nichts kommen wird, denn das wäre in der Situation meine Aufgabe. Ich weiß das, aber ich traue mich nicht.

Nicht, weil es mir egal ist. Im Gegenteil. Ich würde zu gerne alles aufklären und wieder in Phils Armen liegen und ihn küssen. Mein Körper zieht sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen. Seine Nähe fehlt mir so sehr, dass es mir körperliche Schmerzen bereitet.

Ich weiß, ich sollte ihm alles erklären. Er würde es auf jeden Fall verstehen und mir bestimmt auch verzeihen. Er würde mir helfen, die Panikattacken zu besiegen. Aber ich bringe es einfach nicht übers Herz, mich ihm anzuvertrauen. Mein falscher Stolz und der Drang, keine Schwäche zu zeigen, stehen mir wie ein dicker Felsbrocken im Weg.

Am nächsten Tag mache ich mich widerwillig und mit einem unwohlen Gefühl im Magen auf den Weg zur Universität. Am liebsten würde ich einfach zuhause bleiben, da ich durch den Vorfall mit Colin allerdings schon fleißig Fehlstunden gesammelt habe, kann ich mir das nicht erlauben.

Mit unsicheren Schritten laufe ich kurz vor Vorlesungsbeginn durch die Uni. Auf dem Gang vor dem Raum steht schon niemand mehr, aber die Tür ist noch offen.

Zögerlich betrete ich den Saal und entschuldige mich beim Professor, der schon am Pult sitzt und mich mit einem abschätzigen Blick straft. Ich schaue mich suchend nach einem freien Platz um. Ausgerechnet heute ist es total voll und ich sehe nur in der letzten Reihe einige freie Plätze.

In der letzten Reihe - neben Ian, Chase und Phil, wo ich sonst immer sitze. Ich höre ein leises Räuspern. Der Prof schaut mich erwartungsvoll an und wirkt genervt. "Wenn Frau Nolan sich auch noch einen Sitzplatz suchen würde, würde ich gerne mit der heutigen Vorlesung beginnen."

Schätzungsweise vierzig neugierige Augenpaare sind auf mich gerichtet. In der ersten Reihe sitzt Vivian mit ihren zwei Speichellecker-Freundinnen und tuschelt einer von ihnen etwas ins Ohr, woraufhin diese übertrieben kichert.

"Frau Nolan?", höre ich nun wieder die Stimme des Profs. Schnell entschuldige ich mich und laufe peinlich berührt die Treppen hoch in die letzte Reihe des Raumes. Ich setze mich neben Ian und schaue zu Phil. Leise sage ich: "Guten Morgen."

Ian und Chase lächeln mich herzlich an und wünschen mir ebenfalls einen guten Morgen, aber Phil nickt nur. Er sagt nichts, er schaut mich nicht an. Er nickt nur.

Ich habe nicht erwartet, dass er mir freudestrahlend um den Hals springt, aber wenn er mich nicht mal begrüßt, ist die Situation wohl noch beschissener als ich vermutet habe. Ian wirft mir einen fragenden Blick zu. "Frag nicht", flüstere ich leise und seufze lautlos.

Als die Vorlesung vorbei ist, packe ich schnellstmöglich meine Sachen zusammen und stürme aus dem Raum. Kaum bin ich durch die Tür, eile ich so kopflos über den Flur, dass ich gegen jemanden stoße.

Verwirrt schaue ich in Johns belustigtes Gesicht. "Mach doch mal die Augen auf, Ari. Ich fühle mich hier langsam nicht mehr sicher, wenn du mich ständig umrennst", spottet er.

In dem Moment stöckelt Vivian auf ihren Highheels aus dem Raum. John würdigt ihr keines Blickes, was mich mit tiefer Genugtuung erfüllt. Sie hingegen kann uns nicht ignorieren. Genau vor uns bleibt sie stehen und sagt mit ihrer piepsigen Stimme: "Ach schau an, unser Highschool-Traumpaar in trauter Zweisamkeit. Hast du dich nun doch entschieden John zu verzeihen, Ariana? Wie schön, das freut mich für euch. Obwohl ich dir aus Erfahrung sagen kann, dass es sich gar nicht lohnt."

Meine Augen weiten sich und mein Herz beginnt zu rasen. Das hat sie nicht wirklich gesagt? Beschwichtigend legt John eine Hand auf meinen Oberarm. "Scheiß drauf, Ari. Sie ist es nicht wert."

Vivian zieht ihre Augenbraue hoch. Dann dreht sie sich zu John und sagt mit einer ausladenden Handbewegung: "Naja, ich war es immerhin wert, dass du Ariana mit mir betrogen hast."

"Was fällt dir eigentlich ein, du kleine Hure?" Ich hole aus und schubse sie nach hinten. Sie kommt ins Straucheln und wird im letzten Moment von jemandem aufgefangen, der die ganze Zeit hinter ihr stand. Erst jetzt sehe ich, dass diese Person ausgerechnet Phil ist.

Theatralisch lässt dieses Miststück sich in die Arme ihres großen, starken Angebeteten sinken. "Sie hat mich angegriffen", kreischt sie hysterisch. "Sie ist gefährlich, seht ihr das?"

Ich gehe zwei Schritte nach vorne und schaue ihr bedrohlich in die Augen. "Pass in Zukunft besser auf, was du sagst, Vivian, sonst werde ich dir wirklich noch gefährlich!", zische ich.

Ich sehe ein triumphales Flackern in ihren Augen. Die Glückliche hat direkt zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Sie hat mich aus der Reserve gelockt und Phil, ihr Held, hat sie mit seinen starken Armen gerettet. Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich die Fassung verloren und sie damit in seine Nähe getrieben habe.

Als würde das nicht reichen, kommt krönend hinzu, dass Phil garantiert auch diese Situation falsch aufgefasst hat und er sich bezüglich eines Comingbacks unserer Beziehung bestätigt sehen wid.

"Lass die beiden doch, wenn's sie glücklich macht", bestätigt Phil prompt und wirft mir einen abfälligen Blick zu. John verengt den Griff um mein Handgelenk, um mich zu sich zu ziehen. "Dein Ernst, Ari? Du hast immer noch nicht mit Phil geredet?", raunt er mir zu.

Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen, während ich versuche, Johns Blick standzuhalten. Gleichzeitig engt mich sein fester Griff so ein, dass mir ganz heiß wird. Die charakteristische Übelkeit überrollt mich.

Oh nein. Bitte nicht jetzt. Bitte nicht hier.

Ich zwinge mich ruhig zu atmen und starre John wie paralysiert in die Augen. Ich spüre, dass ich die nächste Panikattacke nicht mehr verhindern kann, da lockert John seine Hand und zieht mich sanft in Richtung Ausgang.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt