- vierzehn -

10.9K 362 325
                                    

"Colin, ich", stammele ich, doch bevor ich mich erklären kann, holt er aus und schlägt mir mit der flachen Hand ins Gesicht, so heftig, dass es laut klatscht.

Ich erstarre vor Schock und realisiere im ersten Moment nicht, was gerade passiert ist. Das kann unmöglich wahr sein. Ich muss einen Alptraum haben.

Ich starre ihm ausdruckslos in die Augen, während meine Wange heiß wird und schmerzt.

"Ich habe gar nichts gemacht!", entfährt es mir erschrocken.

Er lacht auf. "Klar, das habe ich gesehen. Ich dachte, du wolltest mir beweisen, dass du keine Schlampe bist? Aber ich hatte von Anfang an Recht. Du bist genau die Schlampe, für die ich dich gehalten habe, Ariana. Ich habe dir eine Chance gegeben, aber du hast gerade eindeutig bewiesen, dass du es nicht wert bist. Kaum bin ich nicht da, suchst du dir den nächsten Typen, um dich von ihm ficken zu lassen, weil das alles ist, worum es sich in deinem Spatzenhirn dreht: Schwänze!", schreit er mich wutentbrannt an.

Meine linke Gesichtshälfte brennt wie Feuer, aber seine Worte verletzen mich tatsächlich noch mehr als die Ohrfeige. Seine Zurechtweisung in aller Öffentlichkeit ist erniedrigend, die Beschimpfungen demütigen mich.

"Ich habe wirklich darüber nachgedacht, eine Beziehung mit dir einzugehen. Gut, dass du mir vorher dein wahres Gesicht gezeigt hast."

Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen schießen und wende meinen Blick beschämt von Colin ab. Eine warme, salzige Tränen läuft über meine Wange, ich kann es einfach nicht länger verhindern. "Ich habe nichts gemacht", wiederhole ich leise, bevor ich mich aus meiner Schockstarre löse und kopflos nach draußen stürme. 

Als ich mit gesenktem Kopf über den Flur eile, um schnellstmöglich unbemerkt hier rauszukommen, höre ich plötzlich meinen Namen. Oh bitte nicht.

"Ariana!", ruft die vertraute männliche Stimme erneut. Es ist ein Impuls, dass ich meinen Kopf hebe und mich suchend umsehe, den ich sogleich wieder bereue.

Keine zehn Meter von mir entfernt steht Phil und mustert mich besorgt aus seinen hellbraunen Augen. Als er meine knallrote Wange erblickt, strafft er seine Schultern und kommt mir großen Schritten auf mich zu. "Was ist passiert? Wer war das?", fragt er alarmiert, sein Unterkiefer verhärtet sich.

Ich verharre in meiner Bewegung und starre ihn einfach nur wortlos an. Er kommt einen weiteren Schritt auf mich zu, hebt mein Kinn mit seinem Zeigefinger an und zwingt mich so, ihm tief in die Augen zu sehen..

"Rede mit mir", fordert er.

Ich beiße mir auf die Zunge, erwidere seinen Blick noch kurz, dann lasse ich mich schutzsuchend in seine Arme fallen.

Phil zieht mich an sich und überkreuzt seine Arme hinter meinem Rücken.

Laut schluchzend heule ich mich an seiner Schulter aus, durchnässe sein Hemd mit meinen Tränen, während er mit seinen Fingerspitzen kleine Kreise auf meinen Rücken malt und beruhigend auf mich einredet. "Ist ja gut, ich bin bei dir."

Alles ist besser, jetzt wo Phil bei mir ist.

Zumindest so lange, bis eine bedrohliche Stimme neben uns die Stille durchschneidet. "Und das ist der nächste Typ, der dich ficken darf, oder wie darf ich diese peinliche Szene verstehen?"

Phil räuspert sich, sein ganzer Körper versteift sich. Er löst seine Arme von mir und schiebt sich schützend vor mich. Sein hellblaues Hemd ziert an der linken Schulter ein nasser Fleck, schwarz verschmiert durch meine Mascara. "Wie bitte?", fragt er scharf.

"Ariana!", keift Colin und ignoriert meinen Freund.

Langsam drehe ich mich um und schaue ihn aus meinen verheulten Augen an.

"Was ist?", frage ich kraftlos. "Wer ist dieser Kerl?", knurrt er, seine blauen Augen brennen vor Wut.

Phil tritt einen Schritt nach vorne, direkt auf den Dunkelhaarigen zu und erklärt mit hochgezogener Augenbraue: "Phil West, und wer bist du?

"Ich bin Arians Freund", presst Colin zornig durch seine zusammengebissenen Zähne.

Phil wirft mir einen fragenden Blick zu.

Es ist mir seltsam unangenehm, dass Colin sich als meinen Freund vorstellt, ganz davon abgesehen, dass das so nicht stimmt. Außerdem will ich nie wieder ein Wort mit ihm reden, nachdem er mir gerade grundlos mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen hat.

Ich spüre Phils Misstrauen, aber ich weiß auch, dass ich einen schlimmeren Ausbruch von Colin ihm gegenüber verhindern muss, bevor die ganze Situation völlig eskaliert. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Phil meinetwegen zu Schaden kommt.

Deshalb drücke ich Phil einen schnellen Kuss auf die Wange und verabschiede mich überstürzt. "Alles gut. Wir sehen uns Montag in der Uni, Phil."

Phil greift nach meinem Handgelenk und hält mich zurück. "Ich kann dich so nicht gehen lassen, Ari. Komm, ich fahre dich nachhause. Ich habe eh noch nichts getrunken. Bitte", fleht er schon fast.

Meine Augen füllen sich wieder mit Tränen. Wortlos schüttele ich den Kopf, lasse ihn schweren Herzens stehen und gehe. Was bin ich nur für eine dumme Kuh.

Mit zügigen Schritten laufe ich aus dem Club und Richtung nachhause. Ich habe noch nicht mal den Parkplatz verlassen, da höre ich Colin schon wieder schreien.

"Ariana! Bleib stehen!", hallt seine tiefe Stimme durch die Nacht.

Ich ignoriere ihn, laufe vom Parkplatz herunter und die dunkle Straße entlang, die nur von wenigen, weit auseinander stehenden Straßenlaternen spärlich beleuchtet wird. Ein ungutes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. Die dumpfen Schritte auf dem Asphalt verraten mir, dass Colin mir nachläuft.

Mein Herz schlägt schneller und meine Finger werden feucht. Fuck.

Wieso zur Hölle habe ich Phils Angebot nicht angenommen und mich einfach von ihm nachhause fahren lassen?

"Ariana, verdammt!", schreit Colin außer sich vor Wut. Ich bleibe stehen und drehe mich langsam um.

In dem schummrigen Licht wirken seine stechend blauen Augen noch angsteinflößender. Bedrohlich kommt er auf mich zu und baut sich vor mir auf.

"Willst du mich verarschen? Erst baggerst du in aller Öffentlichkeit den einen Idioten an und kaum dass ich dich erwische, fällst du dem nächsten um den Hals. Ich wusste, dass du eine Schlampe bist, aber nicht, dass du so ehrenlos bist!"

In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß. Ich versuche ihn runterzuschlucken, doch es gelingt mir nicht. Ich will mich wehren, ich will ihm erklären, wie das alles wirklich war, und zwar nicht, um noch irgendwas zwischen uns zu retten, sondern einfach aus Prinzip. Ich will nicht mehr, dass er oder John oder irgendjemand sonst so abwertend mit mir redet. Auch wenn ich mit vielen Männern gevögelt habe, bin ich dadurch nicht weniger wert als jede andere Frau.

Ich habe ein gutes Herz und habe nie jemanden vorsätzlich verletzt. Ich war ehrlich und habe keinem Mann Gefühle vorgespielt, die ich nicht hatte. Aber Em hatte mit ihren heutigen Worten Recht: Das Ganze ist außer Kontrolle geraten. Ein Racheplan wurde schleichend und unbeabsichtigt zu meinem Leben und es ist an der Zeit, das wieder zu ändern. Nicht für Colin, sondern für mich selbst.

"Ariana!", keift Colin wieder und holt mich aus meinen Gedanken. Er schubst mich mit voller Wucht gegen eine Mauer. Ein dumpfer Schmerz zieht durch meine Schulter, ich verliere das Gleichgewicht und falle zu Boden.

Der dunkelhaarige Mann beugt sich über mich. Mein Herz rast, mein Oberschenkel, auf dem ich unsanft gelandet bin, schmerzt und mir steigen Tränen in die Augen.

Colin scheint unberechenbar und ich habe wirklich Angst vor ihm. Er steht über mir, bedrohlich, cholerisch, gewaltbereit.

Gerade als ich kurz davor bin, die Nerven zu verlieren, taucht eine dunkle Gestalt neben uns auf. Colin wird nach hinten gerissen. Eine Faust trifft ihn ins Gesicht und er taumelt benommen.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt