- fünfundvierzig -

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Mein Herz beginnt zu rasen. Mein Hals wird trocken und ich spüre ein schmerzhaftes Stechen in Brust und Bauch. Ich versuche tief ein- und auszuatmen, aber es gelingt mir nicht, mich runterzufahren.

Scheiße, es passiert wieder.

Mir wird schwindelig und ich merke, wie ich nach Luft ringe. Unruhig rutsche ich auf der Couch hin und her.

Elijah betrachtet mich unsicher, kann mein Verhalten offensichtlich nicht einschätzen. "Ist alles okay?", fragt er besorgt. Was für eine dumme Frage.

Er greift nach meiner Hand und drückt sie fest. Ich greife panisch nach meinem Glas und zwinge mich, die gelbe Flüssigkeit in winzig kleinen Schlückchen zu trinken. Das ist ein Trick, den ich vor einigen Tagen im Internet gelesen habe und an den ich mich in diesem Moment erinnere. Durch die kleinen Schlücke bringt man sich dazu, langsam zu atmen.

Zugegeben, Vodka werden die nicht gemeint haben, aber es funktioniert. Mein Atem geht wieder kontrollierter, mein Puls fährt langsam runter.

Ich stehe auf, reiße das Fenster auf und inhaliere die kühle Abendluft. Nach einigen Minuten tritt Elijah schweigend neben mich und legt mir sanft seine Hand auf meine Schulter.

Ich höre das Klicken eines Feuerzeugs und rieche den vertrauten, süßen Geruch von Gras. Elijah zieht selbst an dem Joint zwischen seinen Fingern, bevor er mir wortlos den glimmenden Stängel reicht.

Ohne zu zögern greife ich zu und lasse den süßen Qualm zuerst meinen Mund und dann meine Lungen füllen. Schon nach wenigen Zügen merke ich, wie sich mein ganzer Körper entspannt. Dieses Zeug ist wirklich Medizin. Wie von Zauberhand weicht die Panik in mir einer tiefen Zufriedenheit.

Nachdem wir den Joint aufgeraucht haben, schließe ich das Fenster und setze mich zurück auf die Couch, Elijah tut es mir gleich. Ich schnappe mir eine dicke Wolldecke und kuschel mich darin ein.

"Geht's wieder?", fragt er besorgt und mustert mich. "Ja, alles okay", antworte ich und zwinge mich zu einem halbherzigen Lächeln.

Meine schlechten Gedanken sind in Watte verpackt, von dem süßen Qualm in die Hintergrund gedrängt und in den Nebelschwaden verblasst. Der Schmerz in meinem Herzen ist abgestumpft und nur noch dumpf wahrnehmbar. Ich könnte mich an die Wirkung von Weed echt gewöhnen.

"Liebst du ihn?", fragt Elijah mit rauer Stimme. Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich fühle und eigentlich ist das auch gut so.

"Er hat dich nicht verdient, Ariana", sagt er leise.

"Wie kommst du darauf?", frage ich verwirrt. Ich war bisher eher der Meinung, dass ich ihn nicht verdient habe. Phil ist ein guter Mann, liebevoll, loyal, gutherzig.

"Weil er ausgerechnet mit der Hure anbandelt, wegen der deine erste Beziehung zerbrochen ist.. Sowas geht einfach gar nicht, das ist illoyal und das hast du nicht verdient. Phil als dein bester Freund sollte doch wissen, wie viel Schmerz Vivian bereits verursacht hat. Du verdienst was Besseres. Jemanden, der immer zu dir hält, auch wenn's mal scheiße läuft."

Ich schalte auf Durchzug, mein antrainierter Schutzmechanismus. Ich will das nicht hören und schon gar nicht wahrhaben. "Können wir bitte das Thema wechseln?"

"Sofort, aber eine Frage habe ich aber noch. Hat er sich einmal bei dir gemeldet?"

"Ich habe keine Ahnung", antworte ich ehrlich. Ich habe mein Handy gemieden und bei Whatsapp in den letzten Tagen nur mit dir geschrieben. Alle anderen Benachrichtigungen habe ich gekonnt ignoriert."

Seine Augen leuchten auf und irgendwas zwischen Stolz und Bestätigung liegt in ihnen. "Schau doch mal nach", fordert er mich auf.

Ich ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche. Ich habe zwei Nachrichten von Emily bekommen, die sich besorgt nach meinem Wohlbefinden erkundigt. Außerdem habe ich eine Nachricht von John und tatsächlich auch eine von Phil.

Johns Nachricht öffne ich als nächstes. Ich will es noch etwas vor mir herschieben, zu sehen, was Phil geschrieben hat. Zu groß ist die Angst vor einer Enttäuschung. "Ariana, was ist los bei dir? Du bist wie vom Erdboden verschluckt, das bereitet mir echt Kopfzerbrechen. Meld dich mal bei mir."

Ich seufze leise. Ich habe ihm Unrecht getan, das weiß ich und mittlerweile bereue ich es auch. Dass er trotzdem einen Schritt auf mich zu macht, ist wirklich groß von ihm.

Mit zitternden Fingern öffne ich die Nachricht von Phil. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. "Ich denke, wir sollten dringend miteinander reden." Ich lese mir den einen Satz wieder und wieder durch.

In meinem Kopf beginnt es zu rattern. Worüber will er mit mir reden? Will er mir beichten, dass er mit Vivian zusammen ist? Oder hat John sein Wort gebrochen und ihm erzählt, was mit mir los ist?

"Und?", holt mich Elijahs Stimme zurück in die Realität. "Eine Nachricht von John und eine von Phil", kläre ich ihn nüchtern auf. "Was steht drin?" "John sorgt sich um mich und Phil will mit mir reden", fasse ich zusammen.

"Vielleicht solltest du das tun? Ich denke, zwischen euch beiden gibt es Klärungsbedarf."

Ich spiele unsicher an dem schmalen Goldring an meinem linken Ringfinger herum. "Das ist nicht so leicht, Elijah, sonst hätte ich das schon längst getan", gestehe ich und klinge dabei verzweifelter, als ich wollte.

"Nichts im Leben ist leicht, Ari. Nur die beschissenen Dinge bekommt man umsonst. Du musst selbst wissen, ob Phil es dir wert ist, auch mal die Zähne zusammen zu beißen und sowas unangenehmes wie ein klärendes Gespräch in Kauf zu nehmen. Wenn nicht, dann solltest du die Finger von ihm lassen. Du solltest dich aber langsam entscheiden und irgendwas machen, denn du bist schon seit Tagen down und hast nicht mal deine Wohnung verlassen."

Ich schlucke hart. Ich weiß, dass Elijah Recht hat. Mein Kopf weiß das, mein Verstand sieht das genau so. Meine Vernunft schreit mir jeden Tag zu, endlich mit ihm zu reden. Aber die Angst in mir sagt mir, dass ich es lassen soll, dass es sowieso nichts als Schmerz mit sich bringt. Ich habe das Gefühl, dass ich mich selbst in eine aussichtslose Situation manövriert habe, aus der es keinen Ausweg gibt.

Ich kann verstehen, wenn das auf Außenstehende lächerlich wirkt, Angst davor zu haben, mit einem empathischen Menschen wie Phil, dem ich vertraue, offen und ehrlich über mein Problem zu reden, aber für mich erscheint das schlichtweg unmöglich. Ich bin gehemmt, wie gelähmt.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass sich mein Problem in Luft auflöst, dass ich nie wieder Panikattacken habe, dass das alles hinfällig ist. Und morgen früh wache ich auf, Phil liegt neben mir, seine Arme eng um mich geschlungen und die letzten Wochen waren einfach nur ein böser Alptraum.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt