- siebenundsiebzig -

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"Hey Ari", tönt Aidens warme und leicht lallende Stimme aus dem Lautsprecher meines Handys.

Er ist also nicht so nüchtern geblieben, wie ich ihn in Erinnerung habe.

"Ich bin zu Noah zurückgefahren und habe mit Phil geredet. Ich bin direkt auf ihn zugegangen und habe ihm gesagt, dass ich dich nachhause gebracht habe und er sich keine Sorgen um dich machen muss.

Phil war sauer auf mich. Er hat zwar versucht, es zu verbergen, aber ich kenne ihn schon ein bisschen länger. Auch John, der neben ihm stand, hat mir das Gefühl gegeben, als sollte ich mich schämen, Phil überhaupt anzusprechen.

Ich habe aber auch schnell herausbekommen, was ihr Problem ist. Als ich dich letztens von Phil abgeholt habe, nachdem ihr euch gestritten habt, hattest du das Trikot an, das Phil dir geschenkt hat. Im Flur hast du es ausgezogen und anstatt dass ich es weggeräumt habe, habe ich meine Sachen vor dem Duschen noch dazugeschmissen in der Absicht, alles gemeinsam in die Waschmaschine zu packen.

Als John mich abgeholt hat, ist er kurz hochgekommen, um pissen zu gehen, und hat da diesen Haufen von Klamotten gesehen, auf dem auch dein Shirt lag, und fälschlicherweise eins und eins zusammen gezählt. Phil dachte, dass wir wieder was miteinander haben und ich dich direkt nach eurer Trennung gevögelt habe. Ich habe ihm alles erklärt und auch klargestellt, dass ich einfach als Freund für dich da sein wollte, auch Phil zur Liebe, damit dir nichts passiert.

Er hat mir zum Glück geglaubt und sich dann auch ziemlich schlecht gefühlt, weil er mit Vivian rumgeturtelt hat. Er hat sie übrigens den restlichen Abend keines Blickes mehr gewürdigt.

Ernsthaft, ihr solltet dringend reden Ari. Fass dir ein Herz und klär das. Ihm geht's genau so mies wie dir mit der Trennung."

Ich muss schlucken. Wieder einmal bin ich kurz davor, mich in mein Bett zu schmeißen, mir die Augen auszuheulen und mich die nächsten Tage komplett von allem und jedem zurückzuziehen.

Doch bevor ich erneut in ein tiefes schwarzes Loch falle, fasse ich einen Entschluss und springe aus dem Bett.

Ich will das alles nicht mehr. Ich will mir nicht mehr selbst im Weg stehen, nie wieder.

Die letzten Tage und Wochen waren hart und es gab immer wieder neue Hindernisse und Hürden auf meinem Weg: ich wurde von Panikattacken geplagt, wurde mehrmals Opfer von psychsicher und physischer Gewalt und habe mich munter durch Drogen probiert, was ich fast mit meinem Leben bezahlt hätte.

Und als wäre das alles nicht schlimm genug, musste ich es teilweise ohne Phil an meiner Seite durchstehen, weil wir es nicht auf die Kette kriegen, vernünftig miteinander zu reden, sondern vor lauter Panik vor einer festen Beziehung und der wahren Liebe bei jeder Schwierigkeit das Handtuch schmeißen.

Ich vermisse Phil, unsere Seelen gehören einfach zusammen.

Erneut hallen mir Aidens Worte durch den Kopf: "Vielleicht solltest du das Phil genauso sagen."

Und das mache ich jetzt.

Ich stehe auf, nehme mir eine schwarze Nike-Leggings und ein dazu passendes rotes Nike-Croptop.

Dann schnappe ich mir eine Tasche, in die ich alles nötige reinstopfe, und schlüpfe in meine Sneakers.

Als ich im Auto sitze und den Weg zu Phil fahre, den ich in- und auswendig kenne, kommen mir ernsthafte Zweifel an dieser Aktion.

Was, wenn Phil gar nicht mit mir reden will?

Er hat ja schließlich mit mir Schluss gemacht.

Was, wenn er mich wegschickt und mir keine Chance gibt, mich mit ihm auszusprechen?

Ich schiebe diese Gedanken beiseite.

Ich bin es leid, mich so derart von negativen Gedanken und Gefühlen oder meinen Ängsten dominieren zu lassen.

Es ist an der Zeit, meinen inneren Schweinehund zu überwinden und um unsere Beziehung zu kämpfen.

Langsam lasse ich meinen kleinen weißen Wagen über die Auffahrt rollen und parke ihn hinter Phils Wagen, der nahezu beliebig auf dem Hof steht.

Als ich aus dem Auto steige und die Tür mit einem lauten Knall schließe, öffnet sich beinahe zeitgleich die Haustür der modernen weißen Villa.

Ich zucke unmerklich zusammen und halte einen Moment inne, bis ich sehe, dass es Phil ist, der gerade das Haus verlässt.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und mir bleibt die Spucke weg.

Phil hat seinen Blick starr auf sein Smartphone gerichtet und bemerkt mich in den ersten Sekunden gar nicht.

Er tippt gelangweilt auf dem Touchscreen herum und steckt sein Handy dann genervt in die Tasche der blauen Jeans, die er trägt.

Dann hebt er seinen Blick in Richtung seines Autos und entdeckt mich endlich.

Seine Augen treffen meine.
Honigbraun trifft grasgrün.

Wie vom Blitz getroffen verharrt er mitten in seiner Bewegung und starrt mich ungläubig an.

Mein Herz klopft noch schneller und meine Hände werden feucht. Es ist immer schön ihn zu sehen, aber heute ist es etwas ganz besonderes.

Langsam setzt er sich wieder in Bewegung und kommt auf mich zu.

"Ariana?", fragt er irritiert.

Ich laufe ihm langsam entgegen und lächele ihn verhalten an.

Ich fühle mich hilflos und plötzlich ziemlich überfordert. Ich weiß nicht, wie ich mich Phil gegenüber verhalten soll.

Er erwidert mein zartes Lächeln genauso unsicher und ich könnte schwören, dass ich in seinem Blick Hoffnung aufblitzen sehe.

Zu seiner zerissenen Jeans trägt er schwarz-weiße Nike Air Force Sneaker, ein weißes enganliegendes Shirt, welches seine Muskeln betont, sein volles Haar hat er unter einer schwarz-weißen Nike-Cap versteckt.

Ich könnte schwören, dass er noch besser aussieht. Es scheint wirklich, als werde er von Tag zu Tag schöner.

Ich stehe nah genug an ihm, um seinen besonderen Duft riechen zu können; eine Mischung aus Waschmittel, einem leichten Zigarettengeruch und dem Parfum, welches er immer trägt.

Ich mustere sein kantiges Gesicht, bevor ich ihm tief in seine schönen Augen schaue und mich für einen kurzen Moment in ihnen verliere.

Als ich mich wieder fange, nehme ich all meinen Mut zusammen und frage ihn voller Hoffnung: "Können wir bitte reden?"

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt