- einundzwanzig -

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Während der Fahrt schweigen Phil und ich, bis mir irgendwann klar wird, dass er nicht zu meiner Wohnung fährt. "Wo fahren wir hin?", erkundige ich mich kraftlos. Mir ist immer noch übel und ich fühle mich wahnsinnig ausgelaugt.

"Ich hole uns was zu essen. Du kannst entscheiden, ob wir danach zu dir oder zu mir fahren. Ich kann dich aber auch zuhause absetzen, wenn du lieber alleine sein möchtest", erklärt er mit ruhiger Stimme.

Neben uns am Straßenrand taucht ein riesiges Leuchtschild mit dem großen, gelben M auf. Phil nimmt den Fuß vom Gas und wirft mir einen kurzen Seitenblick zu. "Bock auf McDonalds?" Sein grauer Sportwagen verlangsamt sich und er zwinkert mir zu. Er weiß nur zu gut, dass ich auf diesen völlig unvertretbaren Fastfood-Quatsch stehe.

"Immer", grinse ich. Auf Phils Gesicht schleicht sich ein zufriedenes Lächeln, während er den Blinker setzt und in den Drive In fährt. Er lässt das Auto mit Schrittgeschwindigkeit die Auffahrt hochrollen, dreht sich zu mir und fragt: "Big Tasty Bacon Menü mit Pommes, Ketchup und Erdbeer-Milchshake?"

"Das hast du dir gemerkt?", frage ich überrascht. "Diese perverse Kombination werde ich nie wieder vergessen", antwortet er schmunzelnd.

Er hält am Schalter, lässt die Fensterscheibe runter, und bestellt jedem von uns ein Menü, dazu eine große Portion Chicken Nuggets und McFlurry mit Smarties zum Nachtisch.

Nur wenige Minuten später reicht die Mitarbeiterin mit der weißen Mütze Phil eine braune Papiertüte mit unserem Essen und einen Becherhalter aus Pappe durch das Fenster. Er gibt beides an mich weiter, damit ich es während der Fahrt festhalten kann.

"Wohin gehts jetzt?", hakt er nach. "Zu dir."

Ich fühle mich in meiner Wohnung momentan nicht mehr wohl. Besonders der Flur erinnert mich immer wieder an die grausamen Szenen, die sich hier letzte Woche abgespielt haben. Als die Bilder erneut vor meinem inneren Auge erscheinen, spüre ich, dass mein Herz anfängt zu rasen. Schnell verdränge ich die Gedanken an Colin.

"Hast du heute nichts anderes vor? Es ist doch Freitag?", frage ich ihn, wohlwissend, dass heute einer seiner Trainingstage ist und er genau wie ich die Abende am Wochenende nur selten zuhause auf der Couch verbringt.

"Hmm, wie man's nimmt", druckst er herum.

"Phil", ermahne ich ihn streng. "Sag die Wahrheit."

"Ich habe heute Nachmittag Training und heute abend wollte ich mit den Jungs aus meinem Football-Team im Chelsea feiern gehen. Aber ich will dich jetzt nicht alleine lassen, Ari, ich sage das alles ab, ist kein Pro.." "Nein", falle ich ihm entschieden ins Wort. "Auf gar keinen Fall. Du schwänzt dein Training nicht meinetwegen, ich werde dich begleiten. Wird eh Zeit, dass ich dich mal spielen sehe, du sollst ja gar nicht so schlecht sein", feixe ich

Verlegen grinst Phil. Wir wissen beide, dass er einer der besten Spieler des Teams ist.

"Du wirst dich furchtbar langweilen", wendet er ein. "Ach Quatsch. Ich frage Emily, ob sie mich begleitet. Zwei Stunden lang ungeniert Alex anschmachten wird ihr bestimmt gefallen."

Als ich mich in Phils Appartement auf die Couch fallen lasse, öffnet er die braune Papiertüte und breitet das fettige Fastfood auf dem gläsernen Wohnzimmertisch aus.

Nach dem Essen räume ich die Verpackungen zusammen und werfe sie in den Mülleimer in der Küche. Anschließend nehme ich ein paar Stücke Zewa und eine Flasche Glasreiniger, um die Fettflecken vom Tisch zu wischen.

"Daran könnte ich mich glatt gewöhnen", sagt Phil mit einem breiten Grinsen und lehnt sich zurück. Seine Brustmuskeln zeichnen sich unter dem weißen Shirt ab, als er die trainierten Arme hinterm Kopf verschränkt. Seine braunen Augen leuchten amüsiert.

"Woran genau? An jemanden, der dir hinterherputzt? Das macht doch schon deine Haushälterin," antworte ich schulterzuckend, knülle die Zewatücher zusammen und werfe sie ihm mit einem Lachen an den Kopf.

"Ey", protestiert er prompt.

"Ganz schön schlechte Reflexe für einen Footballprofi", necke ich ihn. "Ich hoffe, heute Nachmittag lieferst du besser ab."

"Für dich werde ich mich ausnahmsweise mal anstrengen, okay?"

"Okay", antworte ich schmunzelnd.

"Aber nur..", sagt er und ein schelmischer Ausdruck schleicht sich auf sein Gesicht. "Nur wenn du mich auch richtig anfeuerst. 'Go, Phil, Go!' Oder zumindest ein Plakat mit #99"

"Auf gar keinen Fall, ich bin doch keins deiner Cheerleader-Groupies", protestiere ich.

Phil zieht eine enttäuschte Schnute.

"Wenn ich mal zu einem deiner Spiel komme, okay? Ist jetzt 'n bisschen schwer, das so kurzfristig zu organisieren", lenke ich ein und schenke ihm ein Lächeln.

Ich bringe das Putzmittel wieder in die Küche, wasche meine Hände und lasse mich dann neben Phil auf die Couch fallen. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und er streicht mir flüchtig über den Kopf.

"Es tut mir leid, wenn ich vorhin zu hart zu dir war", sagt er nachdenklich. Sein Gesicht liegt voller Reue.

"Nein, ich bin froh, wenn du mir die Wahrheit sagst."

"Aber auch nicht immer", wendet er ein und sieht mich herausfordernd an.

"Was meinst du?", frage ich irritiert.

"Na, dass du zugenommen hast, deine Haare nicht liegen oder dein Make-up scheiße aussieht, soll ich dir nie sagen."

Ich greife nach einem der Sofakissen und haue es ihm vor den Kopf. "Sowas sagt man auch nicht, Phil West", erwidere ich empört. Phil lacht und ich schlage ihn wieder und wieder mit dem Kissen. Nach dem fünften Mal hält er das Kissen fest und zieht es mir lachend aus der Hand.

Triumphierend schaut er mich an, holt aus und haut mir selbst das Kissen leicht auf den Kopf.

"Was war das denn?", frage ich frech. "Mehr hast du nicht drauf?"

"Wenn ich fester haue, kippst du Haihappen doch von der Couch."

Ich springe auf, schnappe mir zwei weitere Sofakissen, stelle mich über ihn und haue nun mit zwei Kissen gleichzeitig auf ihn ein. Ich gackere wie ein kleines Kind und Phil stimmt mit ein. Irgendwann wird es ihm zu bunt und er packt meine Beine und zieht mit einem Ruck an ihnen, sodass ich umkippe.

Kurz habe ich Angst, nun tatsächlich von der Couch zu fallen, doch Phil packt mich im letzten Moment und zieht mich an sich. Atemlos grinse ich ihn an. Seine Arme sind fest um mich geschlungen und er fixiert mich mit seinen braunen Augen.

Ein verräterisches Kribbeln macht sich in meinem Magen breit. Die Zeit bleibt stehen, alles um mich herum verschwimmt und ich sehe nur noch seine Augen. Wieder verspüre ich den unbändigen Willen ihn zu küssen. Mein Blick wandert zu seinen vollen, perfekt geschwungenen Lippen. Was würde ich dafür geben, sie auf meinen zu spüren..

Es sind nur wenige Zentimeter, die mich von der Erfüllung dieses Wunsches trennen. Mein Herz klopft aufgeregt gegen meine Brust.

Nur ein paar Zentimeter.

In dem Moment begreife ich, was hier gerade passiert. Ruckartig entziehe ich mich ihm und stehe auf. "Ich muss noch Emily anrufen, bevor sie mich sucht", erkläre ich, auch wenn Phil weiß, dass das nur eine schlechte Ausrede ist, um aus der Situation zu flüchten.

Ich muss damit aufhören.

Phil ist mein bester Freund und ich darf mir das unter keinen Umständen kaputt machen.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt