- dreiundzwanzig -

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Emily und ich schauen den Jungs ganze zwei Stunden lang beim Training zu, ohne uns von unseren Plätzen zu bewegen. Es ist interessant, das rege Treiben der Männer zu beobachten. Auch wenn sie sich außerhalb des Platzes gern mal fetzen, bilden sie während des Footballs eine geschlossene Einheit.

Mein Blick bleibt immer wieder an Phil hängen, während er sich kraftvoll über das Feld bewegt. In seiner blau-weißen Trainingskleidung mit den roten Akzenten wirkt er noch beeindruckender, die schwere Ausrüstung betont seine muskulöse Statur. Ich beobachte, wie er den Football geschickt fängt, seine Bewegungen fließend und kontrolliert. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn, während er sich konzentriert auf das nächste Spielmanöver vorbereitet. Jeder Schritt, den er macht, strahlt Stärke und Entschlossenheit aus, und ich kann nicht anders, als ihn voller Bewunderung anzusehen.

Auch wenn ich nicht besonders viel Ahnung von dem Sport habe, sieht man auf den ersten Blick wie gut er ist. Er behält stets den Überblick, ist ein Teamplayer und scheut sich nicht davor, mit dem Gegner auf Konfrontation zu gehen.

Als die Jungs nach dem Training wieder zu den Kabinen laufen, erheben auch Emily und ich uns von unseren Plätzen und umrunden das Spielfeld.

"Ich komme gleich wieder, ich muss zur Toilette", informiere ich meine beste Freundin und trenne mich von ihr, um zu den sanitären Anlagen zu laufen. Ich schließe die Tür hinter mir ab und öffne gerade den Knopf meiner Jeans, als ich leise Stimmen höre.

Verwirrt schaue ich mich um, schließlich bin ich ganz alleine hier, und entdecke, dass sie aus dem Lüftungsschlitz kommen, welcher anscheinend die Damen- und die Herrentoiletten miteinander verbindet. Neugierig lausche ich und erkenne Johns Stimme.

"Phil, hast du einen Moment für mich?" "Hier auf Klo, Parker? Hältst du das für angemessen, während wir beide unsere Schwänze in der Hand halten?", antwortet Phil und ich höre, wie er lacht. Ich setze mich leise auf den Toilettendeckel und lausche gespannt.

"Das ist das erste Mal seit heute morgen, dass ich dich unter vier Augen erwische", rechtfertigt er sich. "Ich wollte dir nur sagen, dass Arianas und meine Zeit vorbei ist. Auch wenn ich mich tausendmal bei ihr entschuldigt habe, wird sie mir meinen Seitensprung nie verzeihen können. Aber du hast Einfluss auf sie, West, sie vertraut dir. Bitte kümmere dich um sie und hole sie von diesem Typen weg. Ich sage ihr schon die ganze Zeit, dass ihr Weg sie früher oder später ins Verderben führen wird, aber auf mich hört sie nicht."

"Ich habe ihr das schon so oft gesagt, John, auf mich hört sie genauso wenig. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie immer wieder aufzufangen und zu hoffen, dass alles gut geht. Du kennst Ari doch: sie ist stur, und wenn sie was will, lässt sie sich durch nichts und niemanden davon abbringen."

"Bro, ich bekomme doch mit, dass du derjenige bist, der sie immer wieder aus der Scheiße rausholt, in die sie sich blauäugig hineinmanövriert. Ich kenne dich, du bist nicht wie die anderen Jungs, du bist kein Frauenheld. Du bist nur mit Ari. Und ich sehe die Blicke, mit denen du sie ansiehst. Glaub mir, diese Blicke kenne ich zu gut, denn ich habe sie selbst so angesehen. Du hast dich in Ariana verliebt, Phil."

"Sie ist einfach meine beste Freundin", erwidert Phil leise. "Ach komm schon, West, das glaube ich dir nicht. Im Grunde geht es mich auch nichts an, ich will dich nur bitten, dass du auf sie aufpasst. Auch wenn sie in letzter Zeit den falschen Weg gegangen ist, sie ist ein gutes Mädchen."

"Okay", kommt es von Phil. "Versprochen?", höre ich John hoffnungsvoll fragen. "Versprochen", erwidert Phil. Dann eine Toilettenspülung, kurz darauf noch eine. Schritte, eine Tür wird zugeschlagen. Dann herrscht Stille.

Phils und Johns Worte wiederholen sich in meinem Kopf, so schnell, dass mir fast schwindelig davon wird.

Phil scheint tatsächlich mehr für mich zu empfinden als Freundschaft. Aber ob Gefühle allein reichen? Wir sind von Grund auf verschieden.. Unsere Leben, unsere Familien, alles an uns ist gegenteilig.

Ich verrichte mein Geschäft, wasche mir die Hände und trete nachdenklich nach draußen, wo Emily an einen Baum gelehnt steht und raucht.

"Alles okay bei dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", stellt sie besorgt fest.

"Ich erzähle es dir später", weise ich sie ab, hole aus meiner Tasche ein Feuerzeug und eine Zigarette und zünde sie an.

Nach guten zehn Minuten kommen die ersten Jungs aus der Umkleide. Nach und nach strömen immer mehr der Männer nach draußen, bis auch Alex die Kabine verlässt. Seine blonden Haare sind nass und seine Augen strahlen, als er Emily erblickt. Er geht auf sie zu und umarmt sie herzlich. Emily schmiegt sich glücklich an ihn.

Als die beiden sich voneinander lösen, dreht sich Alex zu mir und fragt: "Kommst du heute Abend auch mit ins Chelsea, Ari? Wir haben einen Neuen im Team und er gibt seinen Einstand."

"Ich weiß noch nicht, mal schauen. Mir ist heute irgendwie nicht nach so vielen Menschen."

"Ach komm schon, das wird garantiert lustig. Emily kommt auch mit", versucht er mich zu überreden. Ich lächele ihn an. "Danke, Alex. Ich sage euch noch Bescheid."

In dem Moment legen sich zwei Hände auf meine Augen, sodass ich nichts mehr sehen kann. Mein Herz beginnt zu rasen und ich merke, wie Angst in mir aufsteigt. Meine Atmung verschnellert sich. Gerade als ich kurz davor bin, in Panik zu geraten, lösen sich die Hände wieder von meinen Augen und die Dunkelheit verschwindet.

Panisch fahre ich herum und sehe in Phils lachendes Gesicht, doch als er meinen Zustand erkennt, erstirbt sein Lachen. "Alles okay, Ari? Geht's dir nicht gut?"

Ich atme immer noch viel zu schnell und mein Versuch, das zu regulieren, scheitert. Emily tritt neben mich und schaut mich besorgt an. "Ari, Phil hat doch nur einen Scherz gemacht. Was ist los? Du bist ja schon wieder total blass."

Wie ferngesteuert laufe ich los und werde immer schneller, bis ich die Toiletten erreicht habe. Ich reiße die Tür auf und schließe sie hinter mir.

Ich lasse mich an der Wand runter auf den kalten, dreckigen Fliesenboden gleiten und schließe die Augen.

Behutsam öffnet sich die Toilettentür. Emily kommt herein und kniet sich neben mich. Sie streichelt über meinen Kopf und reicht mir eine Wasserflasche. Dankbar nehme ich einen Schluck und beruhige mich langsam wieder.

"Hast du das öfter? Ist das seit.. seit der Sache mit Colin?", fragt sie vorsichtig.

"Zwei oder drei Mal seitdem, vorher hatte ich sowas noch nie", antworte ich zögerlich.

"Wenn das öfter vorkommt, solltest du dir Hilfe holen, Liebes. Das ist keine Schande", rät sie mir vorsichtig.

Ich fahre mir mit den Händen durchs Gesicht. "Das wird genauso schnell wieder weggehen, wie es gekommen ist. Ist bestimmt einfach immer noch der Schock", spiele ich die ganze Sache runter.

Erneut nehme ich einen Schluck aus der Wasserflasche und atme tief durch. Emily reicht mir ihre Hand um mir hochzuhelfen. Ich klopfe meine Hose ab und richte mich langsam auf.

"Fährst du wieder mit Phil oder soll ich dich nachhause bringen?", bietet meine Freundin fürsorglich an. Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange. "Womit habe ich dich nur verdient?", frage ich dankbar. Sie lächelt nur. "Ich fahre wieder mit Phil. Steht mein Auto bei mir?", antworte ich auf ihre vorherige Frage. "Ja", sagt sie und drückt mir meinen Autoschlüssel in die Hand. "Habe es mit Alex dahin gebracht, dann hat er mich nachhause gefahren", erzählt sie.

Als wir wieder rauskommen, stehen Alex und Phil vor der Tür und warten auf uns. Die meisten anderen Spieler sind schon abgehauen, der Parkplatz ist nahezu leer.

Phil läuft mir entgegen und zieht mich in eine warme Umarmung. Seine Arme umschließen und hüllen mich ein. Ich lasse mich gegen seine Brust sinken. Keine Spur mehr von Panik. Phil ist pure Sicherheit. Ich inhaliere seinen Duft, eine Mischung aus Duschgel, Weichspüler und seinem Parfum, welches ich so liebe.

"Es tut mir leid", nuschelt er in meine Haare. "Ich wollte dich nicht erschrecken."

"Schon okay", antworte ich und löse mich voneinander. Alex gibt Phil ein High Five und drückt mir einen schnellen Kuss auf die Wange. "Bis später?", fragt er hoffnungsvoll.

"Mal sehen", antworte ich bedrückt. "Ich denke nicht", ergänzt Phil.

Mahnend sehe ich ihn an. "Selbst wenn ich nicht gehe, du gehst auf jeden Fall", befehle ich ihm. Er ignoriert meine Worte und verabschiedet sich von Emily, was ich ihm kurz darauf gleich tue. Sie schenkt mir ein letztes Lächeln, bevor sie Alex einen Kuss auf den Mund drückt und in ihren Mini steigt.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt