- vierundvierzig -

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Der nächste Tag verläuft genau wie der vorherige. Ich meide die Universität und auch sonst jegliche Aktivitäten, die ein Verlassen meiner Wohnung voraussetzen. Ich ignoriere weitestgehend mein Handy und lenke mich so gut es geht ab.

Umso mehr freue ich mich, als es gegen 18 Uhr an meiner Tür klingelt und Elijah gutgelaunt das Treppenhaus hochkommt.

Er zieht umarmt mich herzlich, streift die Schuhe auf der Fußmatte ab und betritt wie selbstverständlich meine kleine Wohnung.

In seiner Hand hat er eine braune Papiertüte, die bis oben hin gefüllt ist. "Heute habe ich vorgesorgt und was geiles zu essen mitgebracht, falls du wieder einen Fressflash kriegst. Und was hochprozentiges zu trinken habe ich natürlich auch dabei."

Zufrieden grinsend nehme ich die Tüte an mich und lünkere neugierig herein. Elijah hat nicht zu viel versprochen: Tiefkühlpizza, Schokoriegel, Mac and Cheese, Nachos mit Käsesauce und Salsa und zwei Tüten Weingummi. "Oh, das gefällt mir", antworte ich schmunzelnd und werfe ihm einen zufriedenen Blick zu.

Ich ziehe erst die Flasche Vodka, dann zwei Flaschen Saft und zwei Flaschen Cola aus der Tüte und drücke sie Elijah in die Hand. Er pflanzt sich gemütlich auf die Couch, ich hole noch Gläser und mache es mir dann neben ihm gemütlich.

"Wie war dein Tag heute?", frage ich interessiert und kippe den Inhalt einer Weingummitüte in eine kleine, weiße Schüssel.

"Ach hör auf", antwortet er und verdreht genervt die Augen.

"Geht's etwas genauer? Wozu haben wir denn sonst unsere Therapiegruppe hier?"

Damit entlocke ich ihm ein raues Lachen und er fängt an zu berichten: "Isaiah hat sich wieder richtig über mich abgefuckt. Er lässt gerne den großen Bruder raushängen und spielt sich im Laden als der Chef auf, dabei sind wir gleichberechtigte Partner. Das nervt mich extrem, deshalb knallen wir immer öfter aneinander. Ich habe sogar schon überlegt, mich einfach von ihm auszahlen zu lassen und den Autohandel aufzugeben. Aber das Geschäft ist das Erbe meines Dads, deshalb bringe ich das nicht über's Herz. Es ist sein Lebenswerk, er hat all seine Zeit und Arbeit da reingesteckt und es kommt mir schäbig vor, so leichtfertig hinzuschmeißen."

Ich nicke bedrückt. "Ich verstehe das, besser als du denkst." Ich merke, wie ein dicker Kloß meinen Hals versperrt und räuspere mich schnell.

"Wie war denn dein Tag?", erkundigt sich Elijah und ich bin mehr als dankbar für den Themawechsel.

"Langweilig. Sehr, sehr langweilig."

"Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?"

"Ach, ich habe geputzt, meine Schränke sortiert und ausgewischt, Wäsche gewaschen, etwas Sport gemacht und ein Bad genommen", zähle ich auf.

"Klingt wirklich langweilig", pflichtet Elijah mir bei. "Und wie geht es dir?", fragt er und sieht mir tief in die Augen. Die Frage kommt überraschend und macht mich kurz sprachlos. Es ist keine Floskel, er will es wirklich wissen und das bringt mich in die Bedrängnis.

Soll ich lügen oder die Wahrheit sagen? Ich entscheide mich für letzteres und sage kurz und knapp: "Scheiße."

Elijah greift als Antwort zu der Vodkaflasche und öffnet sie. Dann beginnt er den Schnaps in mein Glas zu kippen und fragt währenddessen: "Wie scheiße? Sag Stopp." Ich lasse ihn kippen und stoppe ihn erst, als das Glas halb voll ist. "So scheiße geht's mir", kommentiere ich.

"Oh, die Lage ist also ernst", stellt Elijah fest. Ein sanftes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. "Saft oder Cola?"

"O-Saft bitte." Elijah füllt den Rest meines Glases mit der gelben Flüssigkeit auf und reicht es mir. Wir stoßen an und trinken.

"Ariana, sorry wenn ich zu neugierig bin, du musst mir auch nicht antworte, aber ich versuche die ganze Zeit zu verstehen, was da zwischen dir, John und Phil passiert ist? Ich steige echt nicht durch, in was für einem Verhältnis ihr zueinander steht."

Ich zwirbel eine Strähne meiner langen braunen Haare zwischen meinen Fingern. Sie sind frisch gewaschen und riechen herrlich nach Kokosnuss. "Reicht dir eine Kurzfassung? Eine detaillierte Erzählung verpacke ich emotional noch nicht."

Elijah stimmt zu und so gebe ich ihm ein kurzes Briefing von meiner Beziehung zu John in der Highschool und deren Ende, weil er mich mit Vivian betrogen hat. Wie wir dann auf die Uni gekommen sind, wo ich Emily und Phil kennengelernt habe, und durch Phil auch Alex. Ich erzähle, wie ich John eins auswischen wollte und begonnen habe, die halbe Upper Eastside zu vögeln und dass das ganze ein wenig außer Kontrolle geraten ist. Ich erzähle ihm sogar,  wie Phil zu meinem besten Freund wurde, zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben, auf den ich mich blind verlassen kann.

"Besonders gemerkt habe ich das, als ich vor einigen Monaten Colin kennengelernt habe. Wir haben uns nur ein paar Mal getroffen, bevor er sich als gewalttätiger Psychopath mit Frau und Kind entpuppt hat, der mich zum Grande Finale zusammengeschlagen hat. Phil war immer für mich da, hat mich vor ihm beschützt, getröstet und immer wieder aufgefangen", beende ich meine Erzählung mit brüchiger Stimme. Mein Herz schmerzt wenn ich darüber nachdenke, wie sehr ich den großgewachsenen Mann mit den warmen braunen Augen vermisse.

"Und du willst mir sagen, ihr seid nur Freunde? Das klingt für mich nach mehr", zieht Elijah ein Fazit aus meinem vorherigen Monolog.

"Noch vor drei Wochen hätte ich dir einen Vogel gezeigt und dir erklärt, dass Phil mein bester Freund ist und das für alle Zeiten bleiben wird, aber in den letzten Wochen hat sich irgendwie mehr zwischen uns entwickelt. Wir haben uns geküsst, sind uns sehr nah gekommen und haben viel intensive Zeit zu zweit verbracht. Wir haben sogar betrunken miteinander geschlafen."

"Und wieso seid ihr jetzt nicht zusammen?", hakt Elijah nach.

Ich seufze laut und beiße mir dann auf die Unterlippe. "Weil dann alles schief gelaufen ist. Ich will gar nicht darüber reden, aber es liegt an Missverständnissen, Unehrlichkeit, enttäuschten Gefühlen, verletztem Stolz und vor allem daran, dass wir es nicht schaffen, offen und ehrlich miteinander zu reden."

Elijah nickt nachdenklich. "Weißt du, was mich wundert? Phil weiß doch sicherlich, dass John dich mit Vivian betrogen hat, oder?" Ich nicke. "Klar, wieso?" "Na weil es mich wundert, dass er dann ausgerechnet mit ihr abhängt.."

Mein Herz stockt und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. "Was meinst du?", frage ich nervös, meine  Stimme überschlägt sich. Was soll das heißen, Phil hängt mit Vivian ab?

"Ich habe Phil gestern zufällig mit dieser Vivian in der Stadt gesehen. Sie saßen zusammen in einem Café und haben sich angeregt miteinander unterhalten, rumgealbert und gelacht. Für mich sahen die beiden ziemlich glücklich miteinander aus."

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt