- achtundvierzig -

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Das Chelsea ist wie an jedem Wochenende brechend voll. Schon beim Betreten des Clubs schlagen mir die stickige Hitze und der ohrenbetäubende Lärm entgegen. Wir schlagen uns durch zur Bar und holen uns was zu trinken.

Ich entscheide mich für Vodka-Energy, um beim gleichen Alkohol zu bleiben und nicht durcheinander zu trinken, und leere das Glas in einem Zug. Ich greife nach Elijahs Arm und ziehe ihn hinter mir her zu einem der vielen Stehtische, die rund um die Tanzfläche angeordnet sind.

Es vergehen keine fünf Minuten, da sehe ich das erste bekannte Gesicht und bereue sofort, hierhin gekommen zu sein.

"Da ist John", zische ich Elijah zu, der sich suchend umsieht. Als er John ebenfalls entdeckt, nickt er ihm grinsend zu.

Sein Gesicht beschleicht ein überraschter Ausdruck, dann kommt er mit schnellen Schritten geradewegs auf uns zu.

Er gibt Elijah die Hand und begrüßt ihn nüchtern, bevor er sich zu mir dreht. Seine Augen weiten sich leicht, als er mich prüfend mustert. "Wie siehst du aus?", fragt er scharf. In seinem Blick erkenne ich Besorgnis, doch in seiner Stimme spiegelt sich das nicht wieder. Sie ist kalt und beinahe wütend.

Ich atme tief durch und zwinge mich, ruhig zu bleiben. "Wie sehe ich denn aus, John?"

"Heiß", wirft Elijah grinsend von der Seite ein. John straft seinen Kommentar mit einem bitterbösen Blick. Wenn Blicke töten könnten, würde Elijah auf der Stelle leblos umkippen.

Er lehnt sich zu mir rüber, damit ich ihn besser verstehen kann, und er nicht über die dröhnenden Bässe hinweg schreien muss. Sein herben Parfum steigt mir in die Nase. "Scheiße siehst du aus."

"Na vielen Dank auch. Deinen Charme hast du nicht verloren", erwidere ich sarkastisch und drehe mich genervt von ihm weg.

Ich kann mir vorstellen, worauf das Gespräch hinauslaufen wird. John hat neuerdings ein Faible dafür entwickelt, mich belehren zu wollen. Genau das wollte ich vermeiden, als ich sagte, ich will die Jungs nicht treffen.

John greift nach meiner Hand. "Komm, lass uns draußen eine rauchen gehen."

"Ich habe keinen Bock, ich bin gerade erst gekommen", entgegne ich bockig. Auf die Standpauke, die mich erwartet, kann ich verzichten. Ich weiß genau, was er sagen wird. Wieso hast du mir nicht geantwortet? Warum meldest du dich nicht bei Phil? Du hast mir versprochen, dass du ihm alles erklärst.

"Das war keine Bitte, Ariana. Los, komm", sagt John in einem Befehlston, der deutlich macht, dass er keinen Widerspruch duldet.

"Ich komme auch mit raus", erklärt Elijah lässig. Er scheint im Gegensatz gar nicht zu checken, worum es John wirklich geht: nicht um eine Zigarettenpause, sondern um ein Gespräch unter vier Augen.

"Nein, kommst du nicht", knurrt John und wirft ihm wieder einen vernichtenden Blick zu. Sein Kiefer ist bedrohlich angespannt und seine Augenbrauen wütend zusammengezogen. Elijah zuckt gleichgültig mit den Schultern.

Mein Exfreund verstärkt den Griff um meine Hand und zieht mich ungeduldig mit sich.

Auf dem Parkplatz vor dem kleinen Club ist es kalt. Der Platz liegt frei und der eisige Wind pfeift von allen Seiten über den grauen Schotter. Ich habe meine Jacke an der Garderobe abgegeben und stehe nur in meinem dünnen Top und meiner Hotpants hier draußen und reibe mir fröstelnd mit meinen Händen über meine Oberarme, um mich wenigstens etwas zu wärmen. Schützendes Fettgewebe, was diese Aufgabe normalerweise übernimmt, ist nicht mehr viel vorhanden.

John wirft mir einen prüfenden Blick zu und schiebt mich dann mitleidig zu seinem roten Ferrari, der nahe der Eingangstür steht. Erst jetzt bemerke ich, dass er im Gegensatz zu mir komplett nüchtern ist.

Mir fallen Elijahs Worte wieder ein, dass die Giants morgen ein wichtiges Spiel haben. Scheinbar hat er sich die Ansage vom Coach zu Herzen genommen und schaltet wirklich einen Gang zurück.

John zieht seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und öffnet per Knopfdruck den Kofferraum seines kleinen Sportwagens. Er zieht eine kuschelige, dunkelblaue Sweatshirtjacke mit Print der New York Giants heraus und reicht sie mir.

Dankbar nehme ich sie und schlüpfe herein. Ich versinke in der Jacke, sie reicht mir bis zu den Knien und ich würde locker dreimal reinpassen, aber ich bin froh, mich wenigstens etwas wärmen zu können.

John sieht mich mit vorwurfsvollem Blick an. "Ariana, du siehst wirklich scheiße aus. Du bist nur noch Haut und Knochen. Was ist denn los mit dir? Bitte such dir Hilfe, das kann doch so nicht weitergehen", beginnt er seine Ansprache. Verdammt, er klingt als wäre er mein Vater.

Ich verdrehe genervt die Augen. Ich bin es so satt, dass mir jeder vorschreibt, was ich sagen, denken, fühlen und tun soll. Wieso denken alle, besser zu wissen, was gut für mich ist, als ich selbst?

"Ich weiß, mir gefällt das selbst nicht, okay? Ich habe halt momentan keinen Hunger." John lacht verächtlich auf. "Du hast keinen Hunger? Du siehst eher so aus, als verhungerst du bald!" "Übertreib mal nicht", gebe ich schnippisch zurück.

"Ich habe dir geschrieben, Ari. Wieso hast du dich nicht gemeldet? Du hättest mir wenigstens kurz antworten können, oder? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du bist ja nicht mal mehr zur Uni gekommen", lamentiert er weiter.

"Ich werde auch nicht mehr zur Uni kommen", antworte ich trocken.

"Was meinst du damit?", fragt John mit großen Augen. "Scheißt du jetzt zu allem Übel auch noch auf dein Studium, oder was?"

Ich schüttele den Kopf. "Ich wurde für dieses Semester exmatrikuliert aufgrund von zu häufigem Fehlen."

John atmet laut hörbar aus. Dann fasst er mit seinen Händen an meinen Schultern und schüttelt meinen zerbrechlichn Körper grob. "Sag mal, merkst du eigentlich noch was? Du bist gerade dabei dein ganzes Leben zu verkacken, Ariana! Denkst du, deine Eltern hätten das für dich gewollt?"

Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. Er hat meinen wunden Punkt getroffen und das weiß er genau. "Halt deine Klappe, John!", zische ich wütend. "Lass gefälligst meine Eltern aus dem Spiel, hast du mich verstanden? Selbst wenn ich gerade mein ganzes Leben verkacke - was juckt es dich? Du bist schon lange nicht mehr mein Freund, weil du mich belogen und betrogen hast, also lass mich endlich in Ruhe und kümmer dich um deinen eigenen Scheiß!"

Ich will mich von ihm los machen und abhauen, aber Johns große Hände haben mich fest im Griff. Ich winde mich und versuche zu entkommen, als John plötzlich stutzt und innehält.

Er löst seine eine Hand und legt sie an mein Kinn. "Guck mich an", weist er mich in schneidendem Ton an. Ich senke provokant meinen Blick. Grob nimmt er mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und drückt meinen Kopf nach oben, sodass ich gezwungen bin, ihn anzusehen.

"Guck mich an!", sagt er noch lauter. Mit einem dramatischen Wimpernschlag hebe ich meinen Blick und starre ihm direkt in die Augen. Er begutachtet mich, stößt dann meinen Kopf leicht zurück. "Ariana, deine Augen.. Hast du gekifft?"

Jetzt reicht es mir. Ich reiße mich mit aller Gewalt von ihm los und hebe drohend einen Zeigefinger. "Und wenn schon, das geht dich einen Scheißdreck an, check das endlich! Das Recht, dich in mein Leben einzumischen, hast du dir verspielt, als du diese kleine blonde Hure gefickt hast und jetzt geh mir aus dem Weg!"

Ich reiße mir seine Jacke vom Körper, schmeiße sie ihm wutentbrannt entgegen, lasse ihn stehen und laufe mit schnellen Schritten zurück in den Club.

Ich will mich betrinken oder am besten noch einen Joint rauchen, um runterzufahren und den ganzen Scheiß direkt wieder zu vergessen.

Doch was ich dann sehe, reißt mir den Boden unter meinen Füßen weg und verstärkt den Schmerz in meinem Inneren ins Unermessliche. Es fühlt sich an, als würde mein Herz in tausend Teile zerspringen, ein scharfer Schmerz, der sich in jede Faser meines Körpers bohrt. Der Anblick raubt mir den Atem, als hätte ich einen Schlag ins Gesicht bekommen.

An der Bar steht Phil.
Nicht alleine.
Mit Vivian.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt