- siebenundvierzig -

6.9K 216 67
                                    

Als ich erschöpft vom Schleppen der schweren Einkaufstüten meine Wohnung betrete, bin ich zwar aus der Puste, aber ich fühle mich gut. Ich bin stolz auf mich, dass ich mich raus getraut habe und erleichtert, dass alles so reibungslos geklappt hat. Keine Panikattacke.

Außerdem bin ich stolz auf die Entscheidung, mich nicht auf Noahs Anmache eingelassen zu haben, obwohl er echt ein süßer Kerl war.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und alte Verhaltensmuster loszuwerden ist schwierig. Ich habe monatelang meine Selbstzweifel und Probleme durch bedeutungslosen Sex betäubt und heute habe ich es geschafft, zu widerstehen und mich meinen alten Gepflogenheiten nicht hinzugeben.

In der letzten Zeit habe ich, nicht zuletzt durch Phil, gemerkt, dass der emotionslose Sex mit zufällig ausgewählten Typen mich nicht glücklich macht und darüber hinaus auch gefährlich ist, wie ich schmerzlich am eigenen Leib lernen musste.

Ich bin der Meinung, dass man im Leben keine Fehler macht. Entweder man gewinnt, und sei es nur an Erfahrung, oder man lernt. Auch wenn ich falsche Entscheidungen getroffen habe, habe ich zumindest daraus gelernt, dass es falsch war.

Außerdem hat mir die schwere Zeit gezeigt, wer meine wahren Freunde sind: Emily, Alex, John und Phil - und neuerdings auch Elijah. Jetzt sollte ich mich nur darum kümmern, diese Menschen nicht zu verlieren.

Ich bringe die zwei randvollen Tüten in die Küche und verräume die Lebensmittel in den Kühlschrank. Die restlichen Sachen bringe ich ins Badezimmer.

Am Nachmittag rufe ich Elijah zurück und sage zu, dass ich heute Abend mit ihm feiern gehe. Er freut sich einen Ast ab und verspricht um 21 Uhr bei mir zu sein. Wir wollen zusammen was trinken und gegen 23 Uhr zum Chelsea fahren.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Schon 16 Uhr und ich habe heute noch nichts gegessen. Die letzte Mahlzeit hatte ich gestern zum Frühstück, Hunger verspüre ich dennoch keinen. Mein Körper hat sich scheinbar schon an die Unterversorgung gewöhnt.

Ich laufe ins Bad um mich im Spiegel zu betrachten. Meine Knochen treten immer spitzer hervor, an meinem Bauch befinden sich kaum noch Fettreserven und man kann jede Rippe und jeden Wirbel erkennen. Kein optischer Zustand, der mir gefällt.

Ich stelle mich auf die Waage und erschrecke mich. Ich kann kaum glauben, was sie anzeigt und stelle mich gleich noch ein zweites Mal darauf, aber das Ergebnis bleibt dasselbe. 47,8 kg.

Bei einer Größe von 1,72 m wiege ich nicht mal mehr 48 kg. Normalerweise lag mein Gewicht zwischen 55 kg und 57 kg, und das war schon ziemlich schlank.

Ich suche mir einen BMI-Rechner im Internet, tippe meine Werte ein und mein böser Verdacht bestätigt sich nach kurzem Warten. Mit einem BMI von 15,9 liege ich deutlich im Untergewicht.

Ich laufe zurück in die Küche und beginne mir Spaghetti zu kochen. Dazu mache ich eine Sauce aus Avocado und Frischkäse und füge dem ganzen einige halbierte Cherrytomaten hinzu.

In bester Absicht packe ich meinen Teller ganz voll und setze mich mit der riesigen Portion ins Wohnzimmer. Ich muss wieder zunehmen. Ich schalte eine Doku im TV an und schiebe die erste Gabel in meinen Mund. Die Pasta schmeckt himmlisch. Schnell schaufele ich mir noch eine Gabel in den Mund. Ich muss weiter essen, bevor das Sättigungsgefühl einsetzt.

Nach der fünften oder sechsten Gabel ist Schluss. Ich bin pappsatt und mein Magen rebelliert regelrecht gegen weitere Nahrung. Das kann doch jetzt nicht wahr sein? So dünn gefalle ich mir nicht und gesund kann das auch nicht sein, aber wenn ich in so weiter esse, beziehungsweise nicht esse, wird sich dieser Zustand eher verschlimmern als verbessern.

Vor lauter Wut auf mich selber kommen mir die Tränen. Zornig knalle ich meine Gabel und auf den Teller. Als hätte ich nicht schon genug um die Ohren, kommen immer noch mehr Probleme dazu.

Verzweifelt werfe ich den Kopf in den Nacken und lasse meinen Tränen freien Lauf.

Ich habe Elijah letztens gebeten, mir einen Joint für "Notfälle" zu geben. Als ich mich daran erinnere, hole ich die Haschischzigarette aus einem Windlicht in meinem Wohnzimmerschrank und zünde sie an.

Ich habe das Gefühl, gleich durchzudrehen und auf die nächste Panikattacke zuzusteuern, und muss dringend dagegen ankämpfen. Auch wenn es traurig ist, dass aus "nur einmal kiffen" plötzlich eine Ariana geworden ist, die alleine zuhause einen ganzen Joint am helllichten Tag raucht.

Mit jedem Zug, den ich nehme, durchflutet neben dem süßen Rauch auch die Entspannung meinen Körper. Die lauten Gedanken in meinem Kopf werden stiller und rücken in den Hintergrund. Heute nicht. Heute werde ich feiern und mein Leben genießen.

Das Kiffen hat einen positiven Nebeneffekt: nach dem rauchen bekomme ich Heißhunger und habe in Nullkommanix die restlichen Spaghetti und sogar noch einen Pudding zum Nachtisch gefuttert.

Nach dem Essen frische ich meine Locken und mein Make-up auf und stelle mich der Wahl meines Outfits. Mein Kleiderschrank ist prall gefüllt, aber die Gewichtsabnahme schränkt das Angebot stark ein - alles schlabbert oder sitzt zu locker.

Ganz hinten im Schrank finde ich eine Hotpants, die ich zuletzt mit 16 Jahren getragen habe. Auf dem Schild steht XXS. Ich probiere sie an und sie passt wie angegossen. Meine dürren Beinchen sehen noch länger aus, als sie eh schon sind, aber wenigstens rutscht mir das Höschen im Gegensatz zu den anderen nicht runter.

Dazu wähle ich ein schwarzes Seidentop mit Spitzenapplikationen, welches ich sonst als Unterhemd trage. Es fällt locker und umspielt meinen mageren Oberkörper. Ich stecke es am Bund in die Hose und bin einigermaßen zufrieden mit der Wahl.

Pünktlich um 21 Uhr klingelt Elijah und kommt grinsend mit einer Vodkaflasche in der Hand die Treppen hoch. Als er mich sieht, weiten sich seine Augen und er stößt einen anerkennenden Pfiff aus.

"Wow, du siehst richtig gut aus!", begrüßt er mich überrascht. Wer kann ihm das verübeln, er hat mich bei den letzten Treffen immer nur ungeschminkt und im Gammellook gesehen.

Wir hören Musik, halten Smalltalk, trinken mehrere Gläser Vodka-O und rauchen noch einen Joint, bis wir uns gegen 23 Uhr angeheitert und guter Laune zu Fuß auf den Weg zum Chelsea machen.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt