- sechsundvierzig -

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Am nächsten Morgen wache ich früh auf, entschlossen, meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Ich kann es nicht mehr ertragen, in der Wohnung zu sitzen und mich zu verstecken. Es muss sich etwas ändern.

Mein Kühlschrank ist leer, das Shampoo aufgebraucht, selbst Toilettenpapier ist fast alle. Elijah war gestern nicht lange da und fuhr gegen 23 Uhr nach Hause. Zum Glück konnte ich, so high wie ich war, schnell einschlafen.

Bevor ich es mir anders überlege, stehe ich auf und steige direkt unter die Dusche. Danach mache ich mich extra schick: ich style meine Haare mit kleinen Wellen und schminke mich stark, sogar Fake Lashes klebe ich auf. Nach langen Tagen in Oversize-Hoodie und Leggings habe ich das Bedürfnis, mich endlich wieder schön zu fühlen.

Ich ziehe eine dunkelblaue Röhrenjeans an, die normalerweise eng sitzt, heute jedoch an meiner Taille und den Hüften schlabbert. Dazu wähle ich ein bauchfreies weißes Shirt und eine Daunenjacke. Mit einem hellgrauen Schal und schwarzen Stiefeletten runde ich das Outfit ab.

Ich stecke meinen Haustürschlüssel und mein Portemonnaie in eine kleine Tasche und verlasse, ohne weiter nachzudenken, die Wohnung.

Als ich unten angekommen bin, fällt mein Blick auf meinen Briefkasten, den ich schon länger nicht mehr geleert habe. Ich öffne ihn und ziehe drei Umschläge heraus. Eine monatliche Rechnung von meinem Internetanbieter und eine von meiner Kfz-Versicherung, völlig unspektakulär.

Der dritte Brief erregt jedoch sofort mein Aufsehen. Wenn ich nicht schon hellwach war, bin ich es spätestens jetzt. Schnell reiße ich den Umschlag auf und fingere das Schreiben heraus.

"Sehr geehrte Frau Nolan,

Aufgrund ihres vermehrten Fehlens in diversen Pflichtveranstaltungen und dem damit verbundenen Überschreiten der zulässigen Fehlstundengrenze müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass sie dieses Semester nicht mit Abschluss an unserer Universität fortsetzen können. Gerne können Sie zum Sommersemester die nötigen Kurse erneut belegen.

Mit freundlichen Grüßen
Die Universitätsleitung"

Meine Gedanken überschlagen sich. Genau das galt es eigentlich zu vermeiden. Was für eins Scheiße. All die Mühe, die ich bis vor kurzem in dieses Semester investiert habe, war umsonst, all die Zeit verschwendet. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich stopfe die Briefe achtlos in meine Handtasche und schiebe die Gedanken beiseite. Mich nun auch noch mit dieser Katastrophe auseinanderzusetzen packe ich nicht.

Wie geplant fahre ich in einen großen Supermarkt und gehe einkaufen. Ich kaufe neue Reinigungsmittel, da ich durch meine Putzexzesse einiges aufgebraucht habe, und Nachschub an Hygieneartikeln wie Deo, Duschgel und Shampoo. Als ich mit meinem Einkaufswagen gerade weiter zu der Lebensmittelabteilung laufe, klingelt plötzlich mein Handy.

Eingehender Anruf: Eli 🐻

Ich muss schmunzeln, als mein Blick auf den Teddy-Emoji fällt. Elijah hat sich selbst so eingespeichert und ich habe bis jetzt keinen Grund gesehen, das zu ändern. Ich nehme den Anruf an und flöte "Hallo Eli" ins Telefon. Mich aufzubrezeln und rauszugehen war eine gute Entscheidung.

"Hi Ari, was geht? Du klingst so gutgelaunt", tönt Elijahs Stimme aus meinem Handy. "Ich bin gerade einkaufen, und du?", antworte ich und lege zwei Kiwis in den Einkaufswagen.

"Ich muss noch ein bisschen arbeiten, aber ich wollte dich fragen, ob du Lust hast heute Abend wegzugehen? Ich dachte, es tut dir vielleicht gut, ein wenig rauszukommen und was anderes zu sehen.


"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist", antworte ich zweifelnd. Einkaufen, okay, aber Party machen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das fühle.

"Ach komm schon, wenn es scheiße läuft, können wir immer noch abhauen", versucht Elijah mich zu überreden. "Wo willst du denn hin?", hake ich nach. Ich greife nach einer Packung Basmatireis und lege sie zu den restlichen Einkäufen.

"Ins Chelsea", antwortet Elijah. Ich stöhne auf und schüttele automatisch den Kopf. "Auf gar keinen Fall! Da chillen Phil, John, Alex und Konsorten doch immer und ich habe echt keine Lust die zu treffen."

"Nein, die werden heute nicht da sein, die haben morgen ein wichtiges Match", versucht Elijah das Argument zu entkräftigen.

"Hä, ja und du? Du doch auch, und du gehst auch feiern", erwidere ich lachend.

"Ne, ich bin nicht mehr im Team", erwidert Elijah nüchtern. "Was?", frage ich deutlich zu laut. "Du verarschst mich!"

"Nein, echt nicht. Ich erkläre dir das heute Abend in Ruhe, wenn du mit mir feiern gehst. Komm schon, Ari. Ich will dich so gerne dabei haben", bettelt er.

"Ich überlege es mir und rufe dich gleich noch mal an, okay? Ich muss mich eben auf meinen Einkauf konzentrieren, sonst vergesse ich die Hälfte. Bis gleich", wimmele ich ihn ab.


Ich laufe mit dem reichlich gefüllten Einkaufswagen um die Ecke und checke währenddessen noch mal die Einkaufsliste, die ich mir zuhause auf meinem Handy geschrieben habe. Meine Augen sind auf das Display gerichtet, während ich mich durch die engen Gänge schlängele, bis ich plötzlich von einem lauten, metallischen Knall aufschrecke.

Ich bin hebe den Blick von meinem Handy, wie ich es schon viel eher hätte tun sollen und sehe in zwei Augen, die so grün strahlen, dass sie meinen Konkurrenz machen könnten.

Ich bin frontal und ungebremst mit dem Einkaufswagen eines wirklich attraktiven Mannes gestoßen, der mich offensiv angrinst. "Immer langsam, junge Dame und Augen auf im Straßenverkehr. Du hast mich böse gerammt!", gibt er gespielt empört von sich.


"Tut mir leid, ich war gerade in meine Einkaufsliste vertieft", entschuldige ich mich und habe wirklich ein schlechtes Gewissen.

"Kein Problem, ich bin ja nicht aus Zucker. Ich denke, ich werde den schweren Unfall überleben", antwortet er und zwinkert mir zu. "Ich scheine auch nicht lebensgefährlich verletzt zu sein."

"Gott sei Dank", ewidere ich grinsend und fasse mir erleichtert an die Brust. "Ich wäre untröstlich gewesen, wenn dir was passiert wäre." Ich steige voll auf sein Spiel ein.

"Ich denke, es würde allerdings zu meiner Genesung beitragen, wenn du einen Kaffee mit mir trinken gehst", bemerkt der junge Mann frech.

Ich mustere ihn kurz. Er hat strahlend weiße Zähne, ist groß und relativ schlank. Seine Augen sind grün und strahlend, seine Haare hellbraun und zum Undercut frisiert. Er trägt eine Jeansjacke und eine schwarze Jeanshose, dazu einen weißen Strickpullover und Chucks. Ziemlich leger, aber trotzdem nett anzusehen.

"Ich bin übrigens Noah", schiebt er hinterher. "Ich bin Ariana", antworte ich, um etwas Zeit zu gewinnen und schenke ihm ein strahlendes Lächeln.

Kurz spiele ich mit dem Gedanken, mich einfach darauf einzulassen, mich mit Noah zu treffen, ihn aufzureißen und mit ihm zu vögeln. Kopf ausschalten, Beine breit machen. Etwas Bestätigung gewinnen, aber noch mehr von mir verlieren.

Bestimmt schüttele ich den Kopf. "Tut mir leid, Noah, du bist bestimmt ein netter Kerl, aber ich habe in meinem Leben momentan genug Chaos. Sorry nochmal für's Anrempeln, mach's gut." Dann drehe ich mich um, packe noch die letzten benötigten Sachen in meinen Wagen und gehe zur Kasse.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt