- achtzig -

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"Was ist los?", fragt Phil genauso alarmiert wie ahnungslos.

"Ich bin überfällig!", rufe ich panisch und schlage mir die Hände vor den Mund.

"Überfällig?", wiederholt Phil und sieht mich fragend an.

Ich starre ihn fassungslos an und kann nicht glauben, dass er nicht versteht wovon ich rede.

"Ü-ber-fäl-lig", wiederhole ich ganz langsam und ziehe die Worte wie Kaugummi.

In dem Moment sieht man Phil richtig an, wie auch bei ihm der Groschen fällt. Sein Gesichtsausdruck verändert sich von ahnungslos in überrascht.

"Aber wir nehmen doch immer ein Gummi?", fragt er vorsichtig.

"Dein Ernst? Ich hatte mit keinem anderen was", fauche ich ihn an, woraufhin er entschuldigend die Hände hebt.

"An dem Tag als Elijah zu mir kam, haben wir kein Gummi benutzt", denke ich laut.

Phil schlägt sich vor die Stirn. "Scheiße, stimmt. Das hab ich im Eifer des Gefechts völlig vergessen", gibt er entschuldigend zu.

"Und jetzt?", frage ich aufgelöst. Ich bin gerade zu keinem klaren Gedanken in der Lage und hoffe, dass Phil irgendeinen Masterplan in der Hinterhand hat

"Also ich war noch nie in so einer Situation..", stammelt er unbeholfen.

"Ja ich auch nicht!", unterbreche ich ihn gereizt.

".. aber ich würde vorschlagen, dass du erstmal einen Schwangerschaftstest machst. Wenn du magst, fahre ich in die Apotheke und kaufe einen, okay?", bietet er mit ruhiger Stimme an.

Phil ist wie immer völlig gefasst. Ich kann gerade nicht mal sagen, ob das wirklich seinem Zustand entspricht, oder ob es nur Fassade ist, aber es macht mich rasend vor Wut.

Wie kann er so ruhig bleiben?  Hier steht gerade unser ganzes weiteres Leben auf dem Spiel. Wenn ich wirklich schwanger bin, ändert das einfach alles. Es wird nie mehr sein, wie es war.

Sind wir überhaupt bereit dazu, Verantwortung für einen kleinen Menschen zu übernehmen, wenn wir manchmal nicht mal die Verantwortung für uns selbst tragen können?

Ist unsere kurze Beziehung, in der wir schon so oft gestritten haben,  überhaupt in der Lage dazu, zu bestehen und zu einer Familie zu werden?

Ich habe gar nicht bemerkt, dass Phil aufgestanden ist und sich angezogen hat.

Er steht in einem seiner blauen NY Giants Trainingsanzüge vor mir und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

"Ich bin in zehn Minuten wieder da. Versuch einfach, nicht durchzudrehen, okay?"

Dann eilt er aus dem Wohnzimmer und zieht die Wohnungstür mit einem dumpfen Knall hinter sich ins Schloss.

Das ist endgültig der Startschuss für mein Gedankenkarussell.

Ich war noch nie überfällig. Eigentlich ist der Test völlig unnötig. Ich brauche da nicht mal mehr drauf zu pinkeln.

Ich weiß es einfach.

Ich bin schwanger.

Von Phil.

Meiner großen Liebe.

Ist das nicht ein Grund glücklich zu sein?

Sollte ich nicht Luftsprünge machen und ausrasten vor Freude? Sollte ich nicht singend durch die Wohnung tanzen und Tränen des Glücks vergießen?

Stattdessen sitze ich zusammen gekauert wie ein Häufchen Elend auf der Couch und heule mir die Augen aus. Aus Angst, Verzweiflung und Überforderung - aber nicht vor Glück.

Ich habe kein abgeschlossenes Studium, wurde gerade exmatrikuliert und kann mich gerade so über Wasser halten.

Und auch Phil steht nicht wirklich mit beiden Beinen fest im Leben. Er studiert selbst noch, auch wenn er durch seinen familiären Background und seine Karriere als Profifootballer finanziell wesentlich besser aufgestellt ist, als ich. Aber wer weiß, ob er überhaupt bei mir bleibt?

Vielleicht will er kein Baby?

Nicht jetzt, nicht mit mir?

Vielleicht bin ich ja doch nicht schwanger. Und selbst wenn, kann ich auch immer noch abtreiben. 

Eigentlich war das für mich nie eine Option. Aber jetzt, in dieser Situation, ist es vielleicht die bessere Wahl?

"Reiß dich jetzt zusammen!", ermahne ich mich selbst wütend.

Vielleicht bin ich nicht schwanger. Ich habe noch nicht mal einen Test gemacht und drehe schon durch.

Es gibt schließlich viele Gründe für das Ausbleiben der Periode. Untergewicht, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Stress.. Alles Faktoren, die bei mir zum Tragen kommen können.

"Bin wieder da", ertönt plötzlich Phils sanfte Stimme und lässt mich erschrocken herum fahren.

Er hält eine kleine weiße Papiertüte in der Hand und kommt zu mir.

Wortlos umarmt er mich und ich schluchze und vergieße minutenlang unzählige Tränen an seiner starken Schulter, bis seine Trainingsjacke völlig durchnässt ist.

"Komm schon, Ari. Alles wird gut, okay? Egal was ist, du bist nicht alleine, hörst du? Lass uns den Test machen, dann haben wir Gewissheit und können weitersehen", redet er beruhigend auf mich ein.

Als ich zaghaft nicke, öffnet er die Papiertüte und zieht eine kleine Pappschachtel heraus. Er schiebt sie auf und faltet den Beipackzettel auseinander. Dann studiert er konzentriert den Text, bis er den Zettel achtlos auf den Wohnzimmertisch schmeißt und mir ein Plastikstäbchen reicht, der mit dem kleinen Display einem Fieberthermometer ähnelt.

"Du musst darauf pinkeln, und dann zeigt das Display nach drei Minuten "schwanger" oder "nicht schwanger". Keine Kreuze oder Striche, kein Rätselraten. Extra die teure Version für Idioten wie uns", erklärt er grinsend.

Kraftlos stehe ich auf und gehe mit dem Schwangerschaftstest ins Badezimmer. Ich muss mich anstrengen, überhaupt pinkeln zu können und drücke mir schwerfällig ein paar Tropfen raus.

Dann lege ich den Test auf den Wannenrand und atme tief durch. Ich gehe zu Phil, der aufgeregt im Flur steht und einen Timer auf drei Minuten stellt.

Diese drei Minuten sind die längsten meines Lebens.

Wir tigern beide aufgeregt durch den Flur und reden kein Wort miteinander.

Als nach qualvollen Minuten des Wartens der Signalton erklingt, gucke ich Phil mit panisch aufgerissenen Augen an.

"Ich kann das nicht, Phil, ich schaffe das nicht. Bitte sieh du nach!", flehe ich ihn hysterisch an.

Er nickt und stößt schwungvoll die Badezimmer auf. Ich sehe, wie er zur Wanne läuft und das blaue Plastikstäbchen in die Hand nimmt.

Er sagt kein Wort.

Mein Herz trommelt wie wild gegen meine Brust.

Ich atme so schnell, als hätte ich gerade einen Marathonlauf hinter mich gebracht.

Ich starre Phil an, doch er regt sich immer noch nicht.

"Und?", rufe ich panisch. Ich halte es einfach nicht mehr aus.

Phil fährt zu mir herum.

Seine Augen leuchten und auf seinem Gesicht liegt das breiteste Grinsen, das ich je gesehen habe.

"Wir bekommen ein Baby."

ENDE.

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt