- neunundzwanzig -

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Als Phil seinen grauen Bugatti auf dem Parkplatz vor dem Chelsea parkt, hört man die laut dröhnenden Bässe bis nach draußen. Ich verdrehe die Augen und stöhne lautlos auf. Ich hasse EDM, ich kann es einfach nicht ändern.

Alex parkt seinen weißen BMW i8 rechts neben Phils Auto, sodass er neben mir aussteigt. Mit einer grinsenden Handbewegung lasse ich ihm den Vortritt, woraufhin er aussteigt und mir im Gegenzug die Autotür öffnet. Freundschaftlich legt er seinen Arm um mich und geleitet mich so zum Eingang.

"Wo ist Em?", frage ich. "Ach, die wollte nicht mit", zuckt er mit den Schultern, in seiner Stimme schwingt Enttäuschung mit. "Sie muss übermorgen ihre Hausarbeit abgeben und will deshalb früh ins Bett, um sie morgen fertigzustellen."

Wir laufen quer durch den Club und lassen uns an einem kleinen Tisch im VIP-Bereich nieder. Phil holt die erste Runde Getränke, während ich mich wieder Alex zuwende. "Wenn wir alle trinken, wer fährt dann? Ich kann ja laufen, aber ihr wohnt doch ein ganzes Stück weiter weg."

Alex zuckt mit den Schultern. "Taxi."

Phil stellt ein schwarzes, rundes Tablett mit acht prallgefüllten Gläsern auf dem Glastisch ab und setzt sich neben mich.

"Was ist das alles?", frage ich ihn über die laute Musik hinweg. Er zeigt nach und nach auf die Gläser und zählt auf: "Whiskey-Cola, Vodka-Energy, Bacardi-Sprite."

Die Jungs greifen zielsicher nach den Gläsern mit der bräunlichen Flüssigkeit, ich entscheide mich hingegen für den Bacardi. Wir stoßen miteinander an und leeren zügig unser erstes Glas.

Elijah sieht mir grinsend in die Augen und fragt zuvorkommend: "Ariana, du hast die Wahl: Was willst du als nächstes?" Ich nehme wortlos einen Vodka-Energy und die Jungs teilen begleitet von einer kurzen Diskussion die restlichen drei Gläser unter sich auf.

Nachdem wir auch die zweiten Gläser in kurzer Zeit geleert haben, fordert Elijah uns auf: "Lasst uns tanzen gehen." Ich wehre mich kurz, aber lasse mich breitschlagen und folge den drei Männern auf die Tanzfläche, wo im Laufe der Zeit auch die dritte und die vierte Mische folgen.

Je mehr Alkohol meine Kehle herunterfließt, desto lockerer werde ich, aber auch alle um mich herum. Langsam wird sogar die Musik immer erträglicher.

Nach dem fünften Glas tanze ich mit Phil. Er legt seine Hände an meine Hüften und bewegt sich im Takt der Musik. Meine Haut beginnt selbst durch die Kleidung an den Stellen zu kribbeln, an denen er mich berührt.

Mit einer kräftigen Bewegung zieht er mich an sich. Ich schlinge meine Arme um seinen Bauch und lege meinen Kopf an seine Brust. Wie automatisch bewegen sich unsere Körper weiter im Takt der sanften Electrobeats.

Ich hebe langsam den Kopf, sehe Phil in die Augen und frage: "Ich dachte, wir wollten das mit uns erstmal geheim halten?"

"Das mit uns", lasse ich mir auf der Zunge zergehen. Wieso ist mein Mund nur immer schneller als mein Kopf? Ich bin so ein Idiot.

Phil grinst schief, weil er meine Unsicherheit bemerkt. "Und ich habe dir gesagt, dass es mir scheißegal ist, was andere Leute denken." Dann legt er seine Hand in meinen Nacken, zieht meinen Kopf zu sich und drückt seine Lippen kurz, aber liebevoll auf meine.

Als er sich wieder von mir löst, schenke ich ihm einen bösen Blick. "Phil, du speist mich den ganzen Tag schon mit so halbherzigen Küsschen ab, jetzt küss mich wenigstens richtig."

"Nichts lieber als das", antwortet er schmunzelnd und küsst mich. Er öffnet seine Lippen und schiebt zärtlich seine Zunge in meinen Mund. Ich schließe meine Augen und blende alles um uns herum aus. Ich höre nicht mal mehr die vielen Stimmen oder die brummenden Bässe.

Phil schmeckt nach Alkohol und seine Lippen fühlen sich himmlisch auf meinen an. Der Kuss ist intensiv und unendlich lang. Als er mich freigibt, muss ich erstmal tief durchatmen.

"Das war der schönste Kuss meines Lebens", flüstere ich Phil benebelt ins Ohr. Er schenkt mir wieder ein atemberaubendes Lächeln. Er ist so schön, wieso ist mir das all die Jahre nicht aufgefallen? In meinem Bauch breitet sich eine angenehme Wärme aus und mein Körper kribbelt vom Scheitel bis zu den Zehen.

"Ich komme sofort wieder, ich muss mal zur Toilette", raunt Phil mir zu und drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe, bevor er im Gedränge der Menschemassen aus meinem Blickfeld verschwindet. Ich drehe mich zu unseren beiden Freunden um. Alex sieht mir mit einem fetten Grinsen im Gesicht prüfend in die Augen. "Arianaaa", ruft er und wackelt mit den Augenbrauen. Ich lache ein glockenhelles Lachen, verdrehe die Augen über Alex' kindliche Freude und weiche seinem Blick aus, indem ich meine Augen demonstrativ durch den Club schweifen lasse.

Plötzlich gefriert mir das Blut in den Adern und mein Herz beginnt zu rasen. Durch den halben Club hinweg starren mich zwei stahlblaue Augen an, verschlingen mich beinahe mit einem eiskalten Blick, sodass es mich zu frösteln beginnt.

Colin.

Ich will meinen Blick von ihm lösen und wegschauen, aber ich schaffe es nicht. Er hält mich gefangen. Colins Gesicht beschleicht ein überlegener Gesichtsausdruck. Seine Augen funkeln böse und gefährlich in der schummrigen Dunkelheit des Clubs.

Mir wird schlagartig heiß und es fällt mir schwer zu atmen. Mein Herz rast immer schneller. Fassungslos starre ich Colin noch immer an.

Dann zwinkert er mir zu. Es ist aber kein freches oder gar anzügliches Zwinkern, es ist bedrohlich, als wolle er mir sagen: Du wirst noch sehen, was du davon hast.

Plötzlich kommt mir dieser Club viel zu eng vor. Die Luft ist zu dünn und die Musik ist nur noch Ohrenbetäubender Lärm, lauter als meine eigene Gedanken. Ich muss hier weg.

"Ich muss frische Luft schnappen", informiere ich Alex kurzangebunden. Mein Herz rast. Prüfend sieht er mich an. "Was ist los, Ari? Geht's dir nicht gut? Du bist total blass."

"Mir ist.. total übel. Ich muss hier raus. Ich komme gleich wieder", antworte ich hektisch und halb im Gehen.

Ich will einfach nur hier raus. Weg. Weit weg von Colin. Nachhause. In Sicherheit.

"Okay, soll ich dich begleiten? Du siehst echt nicht gut aus", bietet Alex fürsorglich an. Ich lehne dankend ab und laufe Hals über Kopf nach draußen.

Hätte ich Alex gesagt, dass ich nachhause will, hätte er mich niemals gehen lassen. Er hätte darauf bestanden, dass ich auf Phil warte und der mich nachhause bringt.

So viel Zeit habe ich aber nicht. Ich musste da raus. Ich schmeiße hektisch die Tür des Clubs auf und stürme in die Dunkelheit. "Hey, mach mal langsam, Ari!", ruft mir einer der Türsteher amüsiert nach, aber ich ignoriere ihn. Mir ist jetzt nicht nach Scherzen.

Als die kalte Nachtluft meine Lungen füllt, fühle ich mich ein wenig besser. Gleichzeitig merke ich auch, dass der krasse Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen mir den Alkohol noch mehr zu Kopf steigen lässt und mir wird schlagartig übel. Ich weiß nicht, ob es vom Alkohol kommt oder von der Panik, die sich in mir breit gemacht hat, aber ich verspüre den Drang, auf der Stelle auf den Bordstein zu kotzen.

"Nicht jetzt, Ariana. Du bist gleich zuhause. Nur noch die Straße runter. Du hast es gleich geschafft. Du bist gleich zuhause und dann kannst du kotzen und heulen so viel du willst", murmele ich leise wie ein Mantra vor mich hin, um mich zu beruhigen.

Ich biege gerade um die Ecke und sehe schon meine Haustür wie einen strahlenden Rettungsring vor mir, als die Stille der Nacht von einer scharfen Stimme durchschnitten wird. "ARIANA!"

ArianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt