Ein letzter Versuch

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Ihn aufzuspüren war hingegen aller Erwartungen gar nicht so schwer.
Ja, als sie ihn da, über den Dächern der Stadt, an jenem Ort, an dem sie sich schon einmal begegnet waren, sitzen sah, kam es ihr beinahe so vor, als hätte er auf sie gewartet.
Sie erinnerte sich daran, dass sie ihm damals heimlich gefolgt war.
Er hatte gerade sein erstes Rennen gewonnen und das hatte sie neugierig gemacht.
Denn auch, wenn sie es damals zu verbergen wusste, sie war beeindruckt.
Er unterschied sich gänzlich von den Männern, die ihr bis dahin über den Weg gelaufen waren.
Denn entweder waren sie so arrogant und feige wie Hux oder man sah sie, nachdem sie ein oder zweimal in der Stadt aufgetaucht waren, nie wieder.
Je mehr sie begann darüber nachzudenken, desto bewusster wurde ihr, wie dankbar sie war, ihm begegnet zu sein.
Ben oder Kylo, wie er sich damals noch vorgestellt hatte, war ihr schneller ans Herz gewachsen, als sie erwartet hatte. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn man zum ersten Mal zu fühlen beginnt?
Rey mochte ihn, mochte ihre Freundschaft und das Gefühl, wann immer er in ihrer Nähe war.
Jetzt hieß es jedoch ersteinmal mit ihm zu reden. Denn es wurde Zeit, dass er ehrlich mit ihr war. Zumindest sehnte sie sich danach, ihn endlich zu verstehen.
"Brauchst du Gesellschaft?", fragte sie, wobei sie ein paar Schritte von ihm entfernt stehen blieb.
Es war offensichtlich, dass er gern allein sein würde. Diesen Wunsch kannte Rey von sich selbst, wann immer ihr gewisse Dinge über den Kopf stiegen. Und sie machte schon beinahe wieder kehrt, nachdem er nicht reagierte. Andererseits - und hierbei konnte sie sich wahrscheinlich glücklich schätzen - handelte es sich um Rey und das war so ziemlich die einzige Ausnahme, die er in diesem Moment gelten ließ.
"Wie hast du mich gefunden?"
Sie setzte sich neben ihn.
"Nun, du hast es mir nicht wirklich schwer gemacht", erwiderte sie und unterdrückte ein kleines Lachen.
Er nickte. Noch immer ein wenig abwesend.
Wahrscheinlich war er in Gedanken weit von der Realität entfernt und bevor sie mit ihm ein Gespräch führen könnte, galt es dies erstmal zu ändern.
"Ben?" Sie wusste nicht, wie man mit solchen Situationen umging. Immerhin hatte es in ihrem Leben wirklich wenige Momente gegeben, die diesem gleich kamen.
Schließlich siegte jedoch die Neugier und der Drang danach, endlich die Wahrheit zu erfahren.
"Warum bist du weggerannt?"
Die Frage war simple. Vielleicht auch ein wenig direkt. Und gerade deshalb verstand sie durchaus, dass es ihm schwer fiel, zu antworten.
"Weißt du", begann sie, um ihm ein wenig auf die Sprünge zu helfen, "bevor ich dir nach gelaufen bin, habe ich den anderen fast die selbe Frage gestellt."
Seine Stirn legte sich in Falten und er schien krampfhaft nachzudenken, was er darauf erwidern sollte.
Rey bemerkte dies und fuhr zögerlich fort. "Es tut mir leid."
Verwundert schaute er zu ihr. "Was?"
"Hätte ich gewusst, dass er dein Vater ist, dann hätte ich vielleicht anders gehandelt..."
Er schüttelte den Kopf.
"Du hast alles getan, um mich dort raus zu holen."
Er musterte sie eindringlich. Wie konnte sie denken, dass sie irgendetwas mit seiner miesen Stimmung zu tun hatte?
"Danke."
Er hoffte inständig, sie würde ihm glauben, wie sehr er es meinte.
Rey nickte, lächelte, aber beide spürten, dass diese Unterhaltung noch lange nicht vorbei war.
"Ich weiß ja, dass ihr nicht die beste Beziehung zueinander habt. Aber ich denke es wäre gut, wenn ihr zumindest versuchen würdet, miteinander zu sprechen."
Sie versuchte alles, um ihre Bitte so vorsichtig zu formulieren, wie nur möglich. Doch Bens Miene verhärtete sich, noch bevor sie den Satz zuende gesprochen hatte.
"Nein, Rey. Ich habe mit der Vergangenheit abgeschlossen. Es ist schon genug passiert."
Es reichte schon, dass Gregor scheinbar nichts besseres zu tun hatte, als dieses kleine Familientreffen zu arrangieren, aber Rey - so hoffte er - sollte ihn damit in Ruhe lassen.
Sie atmete einmal tief durch.
Um nichts in der Welt wollte sie riskieren, ihn heute noch einmal so wütend zu machen, wie sie ihn weniger als eine Stunde zuvor erlebt hatte.
"Ich soll dir ausrichten, dass es ihm Leid tut. Dass es deiner Mutter Leid tut. Sie vermissen dich, beide."
Unsicher schaute sie zu ihm auf.
Sein Blick lag in den Wolken, doch er schaffte es nicht, den Konflikt in seinen Augen zu verbergen.
Denn trotz allen Streitigkeiten, die sich vor seinem innerem Auge abspielten. Trotz all den unzähligen Momenten, in denen er die Familie, in die er hineingeboren wurden war, verfluchte. Die Worte gingen nicht ganz an seinem Herzen vorbei.
"Egal, was sie in der Vergangenheit falsch gemacht haben, egal, wie sehr ihr euch über die Jahre verloren habt, sie verdienen eine zweite Chance. Ihr alle verdient eine zweite Chance."
Er seufzte.
"Ich habe ihnen nichts mehr zu sagen."
Es fiel ihm schwer, die Worte über seine Lippen zu bringen, aber es war notwendig, wenn er in Frieden leben wollte.
"Aber das ist noch lange kein Grund, ihnen eine Gelegenheit zu verwähren, sich bei dir zu entschuldigen."
"Ich glaube nicht, dass mein Vater noch in der Stadt ist."
Das war die Aussage, auf die sie gewartet hatte.
"Aber ich weiß es! Bitte Ben, gib ihm nur eine Chance."
Flehend sah sie ihn an.
"Nur dieser eine Versuch."
Er hätte es wissen müssen.
Innerlich kämpften in ihm die  unterschiedlichsten Gefühle, doch schließlich nickte er.
"Nur ein Versuch. Er wird seine Chance bekommen, aber verlange nicht von mir, ihm zu verzeihen."
Sie schluckte, besann sich jedoch bald wieder mit der Hoffnung, dass schon alles gut gehen würde. Denn das Schicksal konnte es nicht weiter schlecht mit einer Familie meinen, die schon so viele Jahre miteinander kämpfte.
"Du wirst es nicht bereuen", murmelte sie beinahe zu sich selbst und als sie Ben in die Augen sah, meinte sie beinahe ein kleines Lächeln zu erkennen.
Er fürchtete sich vor der Begegnung. Und auch, wenn ihm das möglicherweise nicht bewusst war, sie verstand ihn. Ja, sie verspürte sogar ein wenig stolz bei dem Gedanken, dass er sich seiner Vergangenheit stellte.
Plötzlich spürte sie Bens Hand an ihrer Wange.
"Ich werde nie verstehen, wie du so glücklich darüber sein kannst", murmelte er.
Denn jene von Zufriedenheit und Hoffnung geprägten Gefühle lagen wirklich jenseits seiner Vorstellungskraft. Besonders, wenn es sich um etwas, wie seine Familie drehte.
"Danke mir einfach später", erwiderte sie leise und er nickte.
Als er seine Hand löste, fühlte sich ihre Wange unnormal kalt an.

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Heyy,
ich musste mich Mal wieder ein wenig zum Schreiben zwingen, aber letztendlich bin ich eigentlich immer ziemlich froh darüber.
Ich hoffe - wie so oft - ihr freut euch über das Kapitel.
Vielleicht kommt nachher noch ein Oneshot, wer weiß ^•^

I want to be a pilot // ReyloWo Geschichten leben. Entdecke jetzt