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                  Wochen bevor die Saison startete, rief mich Susanne an und sagte mir über das Telefon, dass mein Vater einen Schlaganfall hatte. Meine Arbeit ließ ich stehen und liegen und fuhr in Höchstgeschwindigkeit in das Krankenhaus. Die Ärzte konnten ihn stabilisieren, doch mein Vater war im Moment vom Hals ab gelähmt. Er schlief - Dad schlief so viel. Wie Mom damals. Jeden Tag besuchte ich ihn im Krankenhaus und schlief sogar an manchen Nächten in seinem Krankenbett. Während meiner letzten Nacht neben meinem Vater bemerkte ich die Hitze, die sein Körper besaß. Zuerst dachte ich, dass meine Hände einfach nur kalt waren, doch schon nach wenigen Sekunden bemerkte ich den Schweiß auf seiner Stirn. Dad besaß aufgrund diversen inneren Infektionen - die laut den Ärzten normal nach einem Schlaganfall waren - sehr hohes Fieber.

Dad verstarb bloß nur wenige Tage später.

Ich weinte nicht. Wie damals bei meiner Mutter, konnte ich nicht realisieren, dass mir auch nun die letzte Person genommen werden musste. Dad und ich besaßen große Pläne für diesen Sommer. Wieso konnte ich diese Pläne nicht mit ihm nachgehen?

Die ganze Organisation für die Beerdigung übernahm ich. Denn in solchen Situationen stürzte ich mich schon immer in Arbeit. Die nächsten Tage versuchte ich mich mit All möglichen Dingen zu beschäftigen. Ich erschien trotz Todesfall bei Meetings und Besichtigungsterminen. Nach wie vor arbeitete ich dazwischen im Restaurant und in der Eisdiele. Was hätte ich sonst tun sollen? Nachhause fahren? Zu wem? Ich hatte niemanden mehr.

Susanne, Dads Freundin, mied ich. Denn ich wusste, hätte ich ihr in dieser Zeit in die Augen gesehen, dann hätte die Realität mich eingeholt. Ich war damals nicht bereit für die Realität.

Doch sie holte mich ein - und wie die Realität mich am Tag des Begräbnisses einholte. Meine ganzen Freunde aus alten Zeiten waren anwesend - sogar Nate machte sich auf den Weg nach Nantucket. Der Tod meines Vaters blieb nicht geheim - die lokale Zeitung widmete meinem Vater einige Seiten und erzählte von seiner Arbeit. Ich wusste nicht wie ich darüber fühlte. Die Zeitung las ich in der Zeit das erste Mal nicht.

"Du bist so eine enorm starke Frau", flüsterte die Schwester meines Vaters in mein Ohr und umarmte mich von der Seite, während wir das Grab meines Dads anstarrten. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und schluchzte vor sich hin.

Von wo wusste sie, dass ich stark war? Nur, weil ich nicht vor ihnen weinte? Konnte sie denn nicht sehen, dass ich die Nacht davor weinend wach lag, weil ich niemanden mehr hatte? "Danke", flüsterte ich dennoch zurück und starrte die Blumen vor mir an. Meine Hand zitterte wie noch nie zuvor.

Jeder Strauß besaß eine Schleife mit einer kleinen Nachricht. Meine Nachricht war: "Ich liebe Dich." In meinem Blumenstrauß war ebenfalls ein Kuvert mit einem Brief. Ich schrieb meinem Vater, dass ich nicht wusste wie ich ohne ihn leben solle. Meine ganzen Gefühle schrieb ich nieder und bat ihm darum Mom zu sagen wie sehr ich sie vermisse und liebe. Als ich an meinen  Brief und den ganzen Tränen dachte, wollte ich wieder anfangen zu weinen. Doch ich blinzelte sie weg.

Denn ein anderer Strauß fiel mir ins Auge. "Ruhe in Frieden Mr. J - Sie werden vermisst." Es gab nur eine Person, die vor elf Jahren meinen Vater so nannte - Ethan Lewis. Sofort sah ich mich um - ich sah jeden, bloß nur nicht ihn. In diesem Moment wünschte ich mir so sehr Ethan hier zu haben. Denn nur er würde mich nicht mit einem bemitleidetem Gesichtsausdruck ansehen. Ethan würde mich einfach nur in seine Arme nehmen und nie wieder loslassen.

Das Schlimmste an diesem Tag war die Stille und Einsamkeit, als ich zuhause ankam. Den ganzen Tag war ich umgeben von Familienmitgliedern und Freunden, in diesem Haus jedoch war ich gefangen in Erinnerungen. Die letzten Tage schlief ich schon alleine im Haus meiner Eltern. Ich wusste nicht genau wieso, ich nahm an, weil ich ihnen hier am nähersten war.

Doch je länger ich in diesen vier Wänden verbrachte, desto komischer wurde das Gefühl in mir. Nach wenigen Minuten lief ich in das Badezimmer und übergab das wenige Essen, welches ich zuvor zu mir nahm. Meinen Mund spülte ich aus und spritze mir nasses Wasser ins Gesicht. Während ich tief nach Luft schnappte, starrte ich meine zitternden Hände an.

Der Strand.

Sofort machte ich mich auf den Weg auf die Veranda und ging den Sandstrand hinunter. Ohne nachzudenken, setzte ich mich so nah ans Wasser, dass bei jeder Welle meine Füße das Wasser berührten. Als ich spürte, dass sich mein Körper ein Wenig beruhigte, zog ich meine Knie nah an meinen Körper und platzierte meinen Kopf auf ihnen.

Es vergingen keine zehn Minuten und ich spürte die Aura einer Person in meiner Nähe. Bevor ich mich jedoch umdrehen konnte, setzte sich diese Person neben mich hin. Ethan Lewis legte seine Hand um meine Schulter und zog mich nah zu sich. Er drückte mir einen Kuss auf meinen Haaransatz und strich mir mit seiner Hand über meinen Oberarm.

Die Tränen, die ich heute zurückhielt, flossen nun über meine Wangen, während der Schmerz in mir größer denn je war.

Der Sommer gehört unsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt