N E U N

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Hinter mir knallte ich die Türe zu und verwandelte mich. Zuerst versteckte ich jedoch meine Kleidung und das Buch unter einem Felsen. Wenn ich nicht mehr weiter wusste, ist mein Wolf der einzige Ausweg. Als ich endlich wieder einmal auf allen Vieren stand und durch den Wald streifte, atmete ich erleichtert ein und aus. Ich machte mich auf den Weg zur Quelle.

Ich wusste nicht mehr weiter, er ist der einzige der diesem Ort das kleines bisschen Glück bereitete. Ich kannte ihn kaum, wo sollte ich den noch suchen. Er könnte schon über alle Berge sein. Ich trabte durch den Wald und bemerkte wie froh mein innerer Wolf war, aus sich heraus zu kommen.

Einen kurzen Moment, als ich so durch den Wald streitfte, vergaß ich alles. Damon. Greeze. Dieser Ort. Ich vernahm das plätschern der Quelle. Diese wunderbare Quelle machte er nicht gerade besser. Erinnerungen quelten mich förmlich. Ich setzte mich an den Rand des entspringenden Baches und beobachtete so die Umgebung. Die Bäume die mit der frischen Brise wippten, kleine weiße Blumen die den Waldboden zierten. So täuschend schön.

Aus dem Wald ertönte das brechen von Ästen. Ich blickte neugierig in die Richtung, woher das Geräusch kam. Der Geruch kam mir bekannt vor. Ein sanftes, nicht bösartiges räuspern kam aus den Gebüschen.

Ein Mann wagte sich durch die Gebüsche. Der freche Typ in der Bar vorhin. Wenn er sich entschuldigen will, dann soll er das machen wenn ich bei besserer Laune bin.

Knurrend stand ich auf und steppte davon. Als ich einige Meter von ihm entfernt war und zurück blickte, sah ich ihn nur aufgelöst da stehen. Kopfschüttelnd rannte ich wieder zurück, da wo ich meine Sachen unter dem Fels versteckte. Diesen Kerl brauchte ich jetzt nicht mehr.

Angekommen an dem Fels, verwandelte ich mich zurück, zog mir meine Kleidung an und schnappte mir das Skizzenbuch. Kurz richtete ich mir die Haare und versuchte so schleunigst wie möglich von diesem Platz abzuhauen.

"Hey!", hörte ich ein nachrufen. "Warum läufst du weg?"

Genervt biss ich die Zähne zusammen und drehte mich zu dem Mann um. "Wir haben sich einander noch gar nicht vorgestellt.", sagte der Typ mit den platinblonden Haaren, dem blassen Gesicht und den erstaunlich tiefblauen Augen, als er bei mir ankam, zu mir. "Du kennst mich doch schon.", antwortete ich stumpf. "Achso stimmt. Ich bin Vincent D'Angelo, aber nenn mich ruhig Vinc.", reichte mir Vincent seine Hand. Ich sah ihn verwirrt an und ging einfach weiter. Er zog etwas enttäuscht seine Hand zurück und steckte sie in seine Hosentasche.

"Tut mir leid, wegen vorhin..."

"Was willst du eigentlich von mir?", unterbrach ich ihn. "Ich war ein Arsch. Was hätte ich denn tun sollen, da war ne horde Köter. Ich wollte nicht schon ab der ersten Sekunde wie ein Schwächling da stehen.", rechtfertigte er sich. "Dein ernst? Um dich zu beweisen musst du meine komplette Identität aufdecken und dich auch noch wie einen Anti-Feminist darstellen. Sorry, aber diese Nummer kauf ich dir nicht ab."

"Sei froh! Du hast hier ansehen. Vor dir haben die Leute wenigstens Respekt.", motzte er und blieb vor mir mit verschränkten Armen stehen. "Denkst du an so einem Ort wie diesem, haben Köter respekt vor einer Frau?", lachte ich gestellt. "Vor so einer wie dir schon."

"Du solltest besser auch Respekt haben.", sagte ich ernst und schob ihn mir vom Leib. "Und komm mir ja nicht auf die Idee, mir noch länger nach zu laufen wie ein Welpe!"

Vincent D'Angelo blieb mit erster Miene zurück, während ich mich mit großen Schritten von ihm entfernte. Sonderbarer Typ.

Mit dem Blick auf den Boden gerichtet schritt ich davon. Ich war doch eigentlich auch keinen Deut besser als er. Ich war genau so ein Arsch. Vielleicht hätte ich ihm einfach zuhören sollen, vielleicht was das was er zu sagen hatte nicht mal so falsch. Ich hab das Vertrauen verlernt. Womöglich auch besser so.

Es war leichter nicht zu vertrauen als zu vertrauen.

Vom ständigen schauen auf den Boden, während ich ging, fing plötzlich an sich alles um mich zu drehen. Erschrocken blieb ich stehen und schaute auf. Mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit rannte Vinc zu mir. Er legte seine Hand auf meine Schulter und fragte mich besorgt: "Alles okay?"

Mit aufgerissenen Augen bestätigte ich ihm: "Ja. Ja, klar." Ich blickte skeptisch auf meine Schulter, worauf er dann seine Hand davon nahm. Ich tat so als würde ich mich fragen warum er sich sorgen machte. Ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen. Aufmerksam blickte er zu mir. Ich schloss den Mund wieder.

Meine Beine bewegten sich von ihm weg. Die Hände umschlossen das Skizzenbuch fest und mit vorausschauendem Blick entfernte ich mich wieder von ihm.

Blut ist dicker als Wasser, bemerkte ich als es zu regnen begann. Die kalten Himmelstropfen prasselten auf die Erde hinab. Innerhalb einer Minute war ich durchgenässt. Mich störte es nicht, es kam mir vor wie eine Reinigung. Jedoch nur von außen, innen konnte man bei mir nichts mehr reinigen. Dreck, Letten, Blutverschmiert.

Platschnass angekommen an meinem Wohnwagen, ging ich erleichtert ins trockene und zog mich erstmal um. Mit den immer noch nassen Haaren, hockte ich mich auf die Bank in meinem Wohnwagen. Ich griff nach dem schwarzen Skizzenbuch, dessen Umschlag etwas nass war. Da es außen aus Leder war, schützte der Bund die inneren Seiten. Ich trocknete es mit meinem Shirt außen etwas ab und betrachtete es von außen ganz genau. Auf der Rückseite des Buches war im Leder rechts, ganz unten, kleingestickt ein Logo. Ein geschwungener Buchstabe zierte das rechte, untere Eck des Buches: B

Ich überlegte es mir wirklich zwei mal ob ich es öffnen sollte. Vielleicht würde ich es nicht ertragen Werke zu sehen, dessen Künstler ich ermordete. Doch meine Neugier siegte.

Vorsichtig schlug ich die erste Seite auf. Das Papier war von hoher Qualität. Es betrug bestimmt um die 250 Gramm. Mit Kohle malte Damon den Innenhof von Greezly's Laden. Die schöne Eiche. Das Kaffeetischlein. Das Backsteinpflaster. Damon zeichnete sehr realistisch und genau. Dieses Bild wirkte so friedlich. Als ich auf die nächste Seite blätterte, erkannte ich sofort Greezly. Er zeichnete sein Gesicht höchstdetailliert. Man sah jede Pore, jede Falte, jedes einzelne Barthaar. Er schaute so drein wie er immer blickte. Greeze.

Die nächste Seite hätte ich nicht aufschlagen sollen. Ich sah etwas oder jemanden, der voll mit Sünden war. Voll mit Schindluder. Voller Taten, die diese Person nicht begehen hätte sollen.

YUNA - the hidden omegaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt