Es ist nur für eine Woche, zum Ausprobieren" Es war der nächste Tag, Samstag und ich saß neben Mum auf dem Autositz auf dem Weg zum Arzt. Arztbesuche waren mittlerweile zu einer Routine geworden, da konnte ich leider nichts gegen machen, auch wenn ich es hasste. Allein deshalb war meine Laune sowieso im Keller, aber jetzt noch den Gedanken, dass nachher die Familie Haley einziehen würde ließ mich wahrscheinlich zum genervtesten Menschen der Welt werden. Mum hatte bisher, seit wir losgefahren waren, versucht, mich davon zu überzeugen, dass wir ja eine glückliche Familie werden würden, Andreas super nett war und ich meine Meinung auf jeden Fall ändern würde. Ich wusste, dass sie noch sauer wegen gestern war, aber sie wollte nicht, dass sich sowas wiederholte, deshalb setzte sie wahrscheinlich alles daran, mich friedlich zu stimmen. Tja, nur schade, dass das nicht funktionieren würde. "Eine Woche reicht schon", gab ich zurück. Mum seufzte. "Ich verstehe gar nicht, was du hast. Andreas ist doch total nett" "Um den gehts auch nicht." "Um wem dann? Seine Söhne? Die sind doch genauso!" "Nein!" Erneut seufzte Sie, während wir rechts abbogen. "Was magst du an den beiden nicht?" Ich gab keine Antwort und starrte aus dem Fenster. Zum Glück hakte Mum nicht weiter nach und so blieb es erst einmal still. "Wie lief's in der Schule?", durchbrach sie dann die Stille. "Mum, ich war gestern und vorgestern da und du fragst mich jetzt?" Jetzt war sie es, die schwieg. Irgendwie waren wir uns doch ähnlicher, als ich dachte.
Mum parke das Auto auf dem Parkplatz und wir betraten das Krankenhaus. Mittlerweile kannte ich den Weg zur Krebsabteilung schon fast auswendig und den gingen wir jetzt auch. Ein sehr alter Mann kam an uns vorbei, Tränen liefen ihm übers Gesicht, während er immer wieder murmelte: "Sie ist fort" und dann schluchzend zusammenbrach. Sogleich kam eine Schwester herbei gelaufen. Ich wandte den Blick ab und zwang mich weiterzugehen. Oh Gott ich hasste Krankenhäuser! Die Atmosphäre schrie förmlich vor Trauer und Elend und drückte schwer auf meine Lunge, sodass ich das Gefühl hatte, ich müsste ersticken.
Jetzt hatten wir das Wartezimmer erreicht, Mum sprach mit der Rezeptzionsfrau und ich setzte mich auf einen der Plastikstühle. Gegenüber von mir saß ein Mädchen, vielleicht 8 Jahre alt. Unter der Nase war ein Sauerstoffschlauch und Ihr Kopf war kahl, was auf eine Chemo hindeutete, doch mich faszinierten ihre Augen. Der ganze Körper war schmal, zerbrechlich und kränklich, doch die blauen Augen strahlten und schienen den Raum mit Licht zu füllen. Als ich merkte, das das Mädchen mich ebenfalls ansah, senkte ich schnell den Blick. Ich wusste selber, wie blöd es ist, wenn man angestarrt wird. "Welche Art?", fragte sie dann unverwandt. Ihre Stimme war zart und hell, wie ein kleiner Vogel. "Metastasen am Magen", antwortete ich zögernd. "Du?" "Lungenkrebs", war die Antwort. Doch sie sagte das nicht traurig, als ihr Leben bald enden würde, sie sagte es stark und voller Selbsbewusstsein. Ich fing an, das Mädchen zu bewundern. Ich dachte, ich hätte Probleme, ich bin 17, habe Magenbeschwerden und kaum Äußerliche Veränderung. Und hier vor mir saß eine 8jährige mit Glatze und Sauerstoffschlauch und strahlte vor Lebensfreude.
"Ich bin Zoe", sagte das Mädchen jetzt und sah mich neugierig an. Ich schaute ihr immer noch in diese faszinierenden Augen. "Warum guckst du so?", wollte sie wissen. "Deine Augen sind wunderschön", antwortete ich lächelnd. "Oh" Das hatte sie nicht erwartet. "Die meisten haben Mitleid, weil sie den Krebs sofort sehen. Noch nie hat mir jemand sowas gesagt." "Das sollten sie aber." Jetzt lächelte auch sie. Ihr Lächeln war schüchtern, ganz zart und zerbrechlich, doch es war so ehrlich und schön. "Wie alt bist du?" "17." "Fast erwachsen", murmelte sie. Dann sah sie mich an und das Lächeln war aus ihrem Gesicht gewichen, stattdessen sah ich Traurigkeit. "Mein größter Wunsch ist es 18 zu werden", flüsterte sie leise. "Noch 10 Jahre" Ich stand auf und setzte mich neben sie, sodass ich näher bei ihr war. "Ich verspreche dir, das wirst du.", versicherte ich ihr. Ich wusste nicht was, aber irgendetwas an diesem Mädchen fesselte mich und drang mich dazu, sie zu beschützen. "Die Ärzte sagen, ich werde höhestens 10" Ihre Stimme war kaum hörbar, und doch spürte ich einen Schimmer Hoffnung heraus. Ich nahm ihre Hand und strich darüber. "Weißt du", flüsterte ich. "Es ist ganz egal, was die Ärzte sagen. Du bist wichtig, Zoe" Dankbar sah sie zu mir hoch und in diesem Moment rief Mum: "Bella! Komm bitte her, wir sind soweit!" "Ich muss los", sagte ich entschuldigend und stand auf, um zu Mum hinüber zu laufen. Auf dem Weg drehte ich mich nochmal um. Da saß sie, klein und zerbrechlich. "Ich heiße Bella" Dann verschwand ich im Behandlungsraum.
"Hallo Bella", sagte Dr. Maria, die Ärztin. So stand es zumindest auf ihrem Namensschild, das an ihren weißen Kittel gepinnt war. "Wie geht es dir?" Ich setzte mich auf den Plastikstuhl (Warum konnten die nicht bequeme Stühle haben?) und erwiderte: "Davon abgesehen, dass ich Krebs habe, klasse" Dr. Maria sah mich interessiert an. "Wie ich höre, hast du Nierenkrebs T2 (Stadium) und HEP (Leber) Metastasen" Ich nickte. "Nun, ich habe hier deine Papiere und wir wollen jetzt mal schauen, ob es mehr geworden sind" Sie führte mich mich zum MRT Gerät, das kannte ich schon. Kernspintomografie nannte man das, das war sowas ähnliches wie Röntgen, nur genauer und nicht so schädlich. Während ich unter dem weißen Bogen lag und das Gerät ratterte und rumorte schloss ich die Augen und stellte mir vor, ich wäre in Amerika am Strand und das gleißende Licht, das selbst durch meine Augenlider drang, wäre die Sonne.
Nach 15 min durfte ich wieder aufstehen und Dr. Maria sah sich die Bilder auf dem Monitor an. Sie lächelte. "Wir haben gute Nachrichten. Der Nierentumor ist nicht aggressiver geworden und es sind auch keine neuen Metastasen dazugekommen. Du schlägst dich gut." Erleichtert drückte Mum meine Hand und auch ich war froh. Es ist schon komisch, denn wenn man weiß, das man stirbt, freut man sich über jede Chance, mehr Zeit zu bekommen. Mehr Zeit. Wozu eigentlich? "Wir werden jetzt noch Blut, Speichel und Urinproben nehmen und sie ins Labor schicken", erklärte Dr. Maria dann.
Als ich 20 min später den Raum verließ sagte sie noch: "Du bist stark Bella". Ja, stark. Das sagen mir viele. Alle sagen, dass ich stark bin, aber bin ich das auch? Vielleicht wünsche ich mir nur so sehr, stark zu sein, sodass ich glaube, ich wäre es. Das Wort stark hatte für mich inzwischen eine neue Bedeutung angenommen.
Ich nickte und schloss dann die Tür hinter mir und Mum. Gegenüber kamen Zoe und eine blonde Frau aus einem Zimmer, wahrscheinlich die Mutter. Tränen liefen ihr übers Gesicht und Zoe drückte sich an sie und griff tröstend ihre Hand.
Hatte ich schon erwähnt, dass ich Krankenhäuser hasse?
Auf der Rückfahrt wiederholte Mum ständig, wir toll das doch wäre, dass es nicht schlechter geworden war. "Vielleicht wirst du gesund", sagte sie zuversichtlich. Ich warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu. "Bella, sei doch mal optimistisch" "weiß er es schon?", fragte ich. "Wer?" Verwirrt sah Mum mich an. "Andreas. Dass ich krank bin" "oh" Mum senkte den Blick und hob ihn dann wieder. "Najaa", sagte sie unwohl. "Das heißt also nein", seufzte ich und sie nickte. "Du hast Angst, dass er uns verlässt nicht war? Wegen mir." "Bella! Natürlich nicht! Das würde er nicht machen." Doch sie wich meinem Blick aus und ich wusste, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. "Ist schon ok.", sagte ich, als wir in die Einfahrt fuhren."Ich weiß, dass ich Probleme mache." Dann stieg ich aus und schloss dir Haustür auf. Jaden stand in der Küche und stellte gerade eine Umzugskiste ab. Er trug nur eine Jogginhhose und scheiße, sah er gut aus! Aber das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Jetzt drehte er sich um und er zog die Augenbrauen hoch, als er mich sah. "Wo wart ihr denn?" "Ehhhm..Einkaufen" "Aha" Ich wusste, dass er mir nicht glaubte, aber was sollte ich sonst sagen? "Könntest du dir eigentlich mal ein Shirt anziehen?", fragte ich dann angesäuert. Er wusste genau, wie gut er aussah und das regte mich auf! "Wieso? Mach ich dich geil?", grinste er und wackelte mit den Augenbrauen. Ich funkelte ihn genervt an. "Nein! Ich fänd es nur gut wenn du angezogen rumläufst, wie jeder normaler Mensch!" Jaden antwortete nicht und ging mit einem Karton aus der Küche.
Ich schnaubte und verschwand dann ebenfalls die Treppe hoch.
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wenn Liebe fliegen lernt
Romance"Das Leben ist vielleicht nicht immer fair. Aber es hat mir dich geschenkt. Und dafür bin ich ihm unglaublich dankbar." "Die Dinge, die nur für die, die sich die Zeit nehmen und genau hinsehen, sichtbar sind, sind die allerschönsten. Wie die kleinen...