22. Kapitel - Yumah

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Nach der vergangenen Nacht und der Erinnerung an das Gespräch mit dem Alpha graute es mir vor dem Sonnenaufgang. Der Morgen würde eine unangenehme Konfrontation mit meiner Vergangenheit und meiner Wut bedeuten.

Wenn ich eins nicht konnte, dann ihm vergeben. Es stand mir weder zu, noch würde ich einem Monster wie ihm verzeihen können, was er unserem Rudel angetan hatte. Er war schuld an ihrem Niedergang. Auch wenn nicht mehr alle von ihnen heute leben würden – darüber war ich mir durchaus bewusst – hätten mit seiner Hilfe zumindest Einige von ihnen überleben können.

Allein der Gedankengang ließ einen eiskalten Schauer durch mein Fell jagen. Es war schaurig und die Kälte kühlte mich nicht ab, sondern steigerte meine Wut, die ich soweit versucht hatte in ihrem Kern zu ersticken. Allerdings hatte ich längst realisiert, dass ich diese kleine Flamme nie komplett auslöschen konnte, sondern ein bloßer Funken ausreichte, um sie schlagartig wiederzubeleben. Die Verantwortung für das Verenden meiner Familie trug immer noch ich; Ich ganz allein. Ganz gleich, wem ich die Schuld dafür zuschieben wollte.

"Yumah?" Nahe an meiner Seite erklang seine schläfrige und kratzige Stimme. Sie war am Morgen besonders tief, jedoch lange nicht so, wie meine eigene. Und ich vermisste es so sehr Sprechen zu können.

Ohne es wirklich zu wollen, schaffte ich Abstand zwischen uns Beiden und sah zu ihm herunter in das Moosbett. Er lag, wie die ganze letzte Nacht, eingekauert auf der Flanke mit festgekrallten Fingerkuppen im Grün, das sich unter ihm erstreckte.

"Was ist letzte Nacht passiert?" Auch ohne ein einziges Wort, ohne einen Austausch, ahnte er, dass etwas geschehen sein musste. Er kannte mich so gut und das liebte ich sehr an ihm, doch aktuell wollte ich meine Gedanken und Sorgen lieber totschweigen. Dennoch würde ich dies nicht können, sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne.

Ich konnte es ihm nicht sagen – und auch wenn wir miteinander sprechen könnten, würde ich es nicht tun. Es war schmerzhaft und obendrein ganz allein meine Angelegenheit. Lloyd würde all dies völlig aus der Bahn werfen, mehr als sowieso schon.

Wenn er den Alpha gleich sehen würde, dann hätte er seine Antworten ohnehin, auch wenn sie vermutlich weitere Fragen aufwerfen würden. Das er erkennen würde, dass er mein Vater war, stand für mich außer Frage. Er würde es bei seinem Anblick wissen, augenblicklich.

"Ich wünschte echt, wir können miteinander reden, damit ich dich wenigstens angemessen darüber ausquetschen könnte. Das nervt echt", grummelte er mürrisch, bevor er sich aufsetzte und sich verschlafen über das Gesicht und durch die Haare fuhr. "Nicht nur, dass ich ein schlechtes Gefühl habe, ich glaube dieses Mal könnte es wirklich ernst für uns werden."

Das glaubte ich auch. Ganz egal, was unser nächster Schritt sein würde, es würde ausnahmslos Ärger für uns bedeuten. Ob wir nun dem Rudel halfen oder ob wir auf Lloyds Familie und das Rudel treffen würden. Momentan konnten wir weder vor, noch zurück. Wenn man es so sagen wollte, dann saßen wir fest.

"Zuerst verwandle ich mich jetzt zurück, denke ich. Hat Jemand mitbekommen, dass ich ein Mensch geworden bin? Zwei Mal knurren für Nein und einmal für Ja." Ich knurrte einmal.

"Eine Person?" Wieder ein Knurren.

"Nicht der Alpha,oder?" Zwei Knurren.

"Zum Glück. Also war es die Luna?" Ich stimmte zu.

"Okay, ich weiß jetzt zwar nicht, wie ich darauf reagieren soll, aber naja", er zuckte mit den Schultern, "kann man wohl nichts machen. Allerdings scheint sie uns nicht böse gesinnt zu sein, deshalb mache ich mir darüber jetzt zur Ausnahme mal keine Sorgen." Er fuhr sich über die wunden Arme. An den Positionen der ehemaligen Bisswunden waren zuletzt große, rote Flecken geblieben und die alte Haut löste sich noch von den Rändern ab. Ob seine neue Haut diese Schandtat jemals überdecken würde, war bis zum heutigen Tag noch ungewiss. Vielleicht würden sie Male bleiben, die mich Tag für Tag an meine bisher schmerzvollste Erinnerung gedenken lassen würden.

LloydWo Geschichten leben. Entdecke jetzt