33. Kapitel - Yumah

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Ich wusste erst, wie viel Zeit verstrichen war, als die Bäume Knospen trugen und sich um mich herum der Frühling längst ankündigt hatte. Die Monate der klirrenden Kälte und des Hungers würden vorbei sein, so hoffte ich. 

Der Winter hatte einige Opfer gefordert, denn gerade die alten und schwachen Wölfe hatten ihm nicht viel entgegenzusetzen und waren verschieden. Sie waren nun ein Teil des Waldes, der sich unter unseren Pfoten und in unserer unmittelbaren Nähe befand. Er war nie fort, genauso wenig wie ihre Seelen, die er sich zurückgeholt hatte. Der Wald nahm, der Wald gab, so ging es seit Anbeginn der Zeit vonstatten.

Müde von einer weiteren fast schlaflosen Nacht, schlossen sich meine Augen fast automatisch und genossen den Wind, der an meinem Fell strich und leise flüsterte. Er erzählte von den Waldtieren, der wiederbelebten Natur und brachte den betörenden Duft der Blüten mit sich, die in den letzten Tagen zurück ins Leben gefunden hatten.

Frustriert schnaufte ich, denn mir war dieses Glück vergönnt geblieben. Ich hatte weder einen richtigen Grund zum Leben, noch einen guten Grund zum Sterben. Nicht einmal dies verdiente ich.

Aktuell hielt mich mein Vater an diesem Ort und meine kleinen Halb-Geschwister, die Führung bedurften. Sie waren jung und unerfahren, hatten hoffentlich in den letzten Monden einiges für ihr Überleben von mir lernen können. Ihr Training war meine Aufgabe gewesen, jetzt sollten sie mir beweisen, dass diese Mühe und Zeit nicht falsch investiert worden war.

Sie suchten die Fährte eines Waldtieres, das sie erlegen konnten, genau genommen die eines Hirsches oder Rehs. Es war ihre von mir aufgetragene Prüfung, um ihre kleine Ausbildung abzuschließen. Sie sollten zu Zweit, als Team, eines aufspüren und erlegen. Wenn sie dies schafften, dann würde ich mir sicher sein, dass sie für zahlreiche andere Situationen gewappnet waren.

In ausreichender Entfernung folgte ich ihnen, konnte sie teilweise jedoch nur wittern und nicht mehr erkennen im Unterholz vor mir. Es war helllichter Tag, doch auch meine Sicht war durch das Geäst, die grünen Pflanzen und die frischen Blätter stark beeinträchtigt.

Die Wölfin preschte wild voran, einer Fährte hinterher, wie es schien, während ihr dunkelbrauner Bruder fast lautlos über den Waldboden glitt. Auch er hatte die Spur aufgenommen, jedoch ging er deutlich dezenter vor, als seine ungestüme Schwester. Diese war bereits in das Umfeld des Wildes getreten und hatte sich in ein Gebüsch gekauert, um dem Tier aufzulauern.

Ich war allgemein froh, dass sie mittlerweile auf ihren Bruder wartete und darauf achtete, wie er handelte. Inyan erinnerte mich stark an meinen großen Bruder. Kenai war auch bedacht und mit Vorsicht an die Dinge herangegangen, während ich, wie Sikari es tat, als junger Wolf immerzu der Gefahr ins Gesicht gelacht hatte. Es war mehr als widersprüchlich, dass er verstorben war und ich immer noch auf dieser Welt verweilte. Dennoch hatte ich sein Verhalten mit der Zeit übernommen und war vorsichtiger geworden, hatte begriffen, dass Neugierde und Übermut nicht unbedingt eine sichere und erfolgversprechende Kombination waren.

Beide waren im Gestrüpp untergetaucht und warteten auf einen passenden Moment, den sie abpassen wollten, nachdem sie die Lage analysiert hatten. Sie handelten, wie ich es ihnen beigebracht hatte. Nach den zahlreichen Erklärungen und Mahnungen, dass sie gemeinsam interagieren mussten, war es erleichternd zu sehen, sie endlich als Team jagen zusehen.

Sikari gab ihrem Bruder ein Zeichen und kroch aus ihrem Versteck hervor, um die Herde auseinander zutreiben. Dies geschah augenblicklich, als diese den Feind erblickt hatten und der Wölfin war nur ein kleiner Bruchteil an Zeit vergönnt, bis sie sich für ein Opfer gezielt entscheiden musste. Ihre entscheidungsfreudige Art tat ihr hierbei einen guten Dienst. Sie selektierte ein Reh, das durchaus gesund, jedoch bereits in die Jahre gekommen war. Es war eine gute Wahl, meiner Meinung nach, vor allem wenn man bedachte, dass sie nur zu Zweit jagten.

Der dunkelbraune Wolf hatte sich von hinten genähert, um dem Tier den Weg abzuschneiden und es zusammen mit seiner Schwester einzukesseln. Sie umkreisten das Reh, das verschreckt in der Mitte verweilte und verzweifelt einen Ausweg suchte.

Inyan setzte zum Sprung an, täuschte diesen jedoch schlichtweg an und erhob sich gar nicht in die Luft. Das Reh reagierte, allerdings auf den falschen Angreifer, denn die Wölfin stürzte sich im selben Moment auf das Ziel. Es ging zu Boden, nachdem sie dessen Kehle erwischt und ihr Bruder sich an einem der Beine festgebissen hatte. Danach nahm das Leid ein schnelles Ende, als Sikari die Luftröhre durchtrennte und das Tier kurzerhand das Leben verließ.

LloydWo Geschichten leben. Entdecke jetzt