Obwohl es aussichtslos war, verfolgte ich den Geländewagen mit der rostigen Stoßstange und dem kaputten Scheinwerfer, bis zuletzt. Der Rand des Waldes und der Beginn der Menschensiedlung waren mein erstes Anzeichen, das ich innehalten sollte, doch ich tat es nicht.
Es war gefährlich, aber der Mörder meines Gefährten war immer noch am Leben, saß am Steuer dieses Autos vor mir, das ich nicht aus den Augen lassen konnte. Mir war es gleich, was geschehen würde, sobald Menschen mich bemerkten, denn ich hatte bis auf diesen Weg, keinen anderen zu beschreiten. Mir blieb Nichts mehr, außer an diesem Menschen festzuhalten. Nichts.
Als sich mehr und mehr Häuser zu meinen Seiten einfanden, wurde ich von dem Wolf, der mich die ganze Strecke über lautlos begleitet hatte, ausgebremst. Er stellte sich mir in den Weg – und dann ging er auf mich zu, senkte sein Haupt entschuldigend und mitleidig.
Ich wollte nicht mit ihm sprechen, wollte seine Emotionen nicht verspüren, wollte nicht, dass sie mich erreichten. Und doch taten sie es, ohne das ich mich großartig zur Wehr setzen konnte. Dann wusste ich, dass er mich nicht beruhigen wollte. Auch er verspürte Wut und in seinem Inneren herrschte ein heikles Chaos. Zwar hatte er nicht den selben Feind wie ich, zumindest sah er ihn nicht, wie ich es tat, in den Menschen, sondern in sich selbst.
Er wollte mir weis machen, dass mein schlimmster Feind nicht diese Menschen waren, die längst in ihrem Tempo aus unserem Blickfeld verschwunden waren, sondern ich. Ich würde mich hassen, wenn ich noch ein weiteres Leben nehmen würde. Zu Töten brachte die Toten nicht zurück, das wusste ich. Doch ich konnte weder Zusehen, noch Stillstehen.
Aber mein Vater hatte recht, so schmerzlich mir dies auch durchs Gemüt fuhr, weshalb ich ihm gehorsam zurück zwischen die Bäume des noch nahen Waldrandes folgte.
Ich wollte sterben, einfach von dieser Welt verschwinden. Dort sein, wo Lloyd war. Ganz gleich wo, es wäre ein besserer Ort als diese Hölle.
Der hochgewachsene Wolf, der mir in seiner Größe durchaus die Stirn bieten konnte, trotz seines fortgeschrittenen Alters, führte mich zwischen den Baumriesen hindurch zu einem Fluss, der fernab der Menschensiedlung lag.
Gerade war ich mir unsicher, ob er seinen Durst stillen oder mich bloß möglichst weit von der menschlichen Zivilisation fernhalten wollte. Vermutlich war es Letzteres, aber er trank am steinigen Ufer gierig, als wir angekommen waren.
Durst verspürte ich keinen, überhaupt keine Regung machte sich in mir breit. Nicht einmal meinen Schmerz konnte ich noch fühlen. Die Leere hatte mich eingenommen und füllte mich aus. So paradox es sich auch anzuhören vermochte, war es für mich.Leere füllte nicht aus. Lebende sollten sich nicht tot fühlen. Schmerz sollte gespürt werden, nicht betäuben. Mord sollte nicht die einzige Möglichkeit für das Leben verkörpern. Ein Tod sollte sich nicht wie Zwei anfühlen.
„Yumah", verlangte mein Vater schlussendlich doch nach meiner Aufmerksamkeit, doch er sprach nicht mehr, als bloß meinen Namen. Unseren Namen, wenn man es genau nehmen wollte.Dennoch folgte ich seiner indirekten Forderung und nahm einige Schlücke aus dem Flussbett, dessen Wasser undenkbar kühl und rein war. Meiner dunklen Gedanken, meinem Inneren komplett entgegengesetzt. Nur aus diesem Grund schmerzte das Trinken jedes einzelnen Tropfens, obwohl es zugleich angenehm meine Kehle benetzte. Der belebende Tod. Ich hasste es und doch brauchte ich es.
„Das Wasser hat dir nichts getan, mein Sohn", prophezeite der Wolf hinter mir erschwinglich. „Es tut mir Leid, was geschehen ist."
Und ich war nicht einmal wütend auf ihn. Seine Anwesenheit und die Tatsache, dass er nie erwähnt hatte, des Nachts auf diese Baustelle geschlichen zu sein und die Arbeiten behindert zu haben, waren unwichtig geworden. Es war nicht mehr von Bedeutung, eine unglückliche Fügung des Schicksals oder wie man es nennen wollte.
Meine Existenz war eine unglückliche Fügung. Mir war alles Glück dieser Welt widerfahren, damit es mir schlussendlich wieder genommen werden konnte. Wenn dies mein Schicksal sein sollte, dann verhasste ich die Göttin für die Qualen durch die sie mich schickte. Wieso? Wieso gerade Lloyd?
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Lloyd
WerewolfNachdem Lloyd und Yumah vor Jahren den Fängen des Rudels entkommen sind, haben sie sich ein Leben fernab ihrer Vergangenheit aufgebaut. Doch nicht nur ein Freund der beiden Gefährten, sondern auch weitere Vorkommnisse sorgen dafür, dass sie die Spu...