Jeder Mensch ist einzigartig, richtig?

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Perplex und ohne Absicht, mich in den nächsten Momenten vom Fensterglas abzuwenden, starrte ich gebannt dem Herbstgewitter zu, das in seinem Inferno jegliches loses Material und sogar Blütenblätter der Gärten unterhalb mit sich riss. Ein angsteinflößendes und doch solch schönes Schauspiel der Natur. Ich liebte Regen und den Wind. Sie waren ästhetisch, wild und frei.

„Wieso bist du so eingenommen von dem kleinen Unwetter draußen, hm?" Der Dunkelhaarige hatte sich neben mir niedergelassen, während er mit dem Handtuch auf seinen Schultern begann, seine Haare trocken zu rubbeln. Schon zuvor war mir der Geruch seines Duschmittels in die Nase gestiegen. Ein Gemisch aus verschiedenen Ölen und seinem Reinigungswasser, das er nach dem Rasieren auftrug. Die genaue Bezeichnung für dieses war mir wieder einmal entfallen, aber ein solches besaß ich ebenfalls. Es war nur gegenüber seinem deutlich herber, nussiger und roch nicht nach frischer Minze.

„Das Wetter ist schön", teilte ich ihm daraufhin nach einem intensiven Genuss unseres Schweigens und der Nähe. Denn nachdem er das Handtuch auf dem Boden neben uns gesenkt hatte, lehnte er nun mit seiner Schulter an meinem Oberarm.

„Ach ja, Regen ist ja besonders ästhetisch, ich vergaß", spaßte er, doch hielt inne, als er realisierte, dass ich mir nicht danach zu Mute war. „Ist wirklich alles in Ordnung?"

Weil ich mir selbst keine Worte entlocken konnte, nickte ich lediglich. Mein Nebenmann schien dennoch weiterhin zutiefst beunruhigt, weshalb ich meine Arme um seinen Nacken schlang und näher zu ihm rutschte.

„Ich habe über", ich stockte und überlegte, wie ich mich am Geeignetsten mitteilen konnte, "mich nachgedacht." Aus dem Augenwinkel konnte ich genau sehen, wie er die Stirn kräuselte und damit begann, an einer seiner Haarsträhnen zu drehen.

"Über dich", wiederholte er nachdenklich. "Inwiefern?" Sofort schien er deutlich interessiert an meiner Gedankenwelt und wollte mehr über sie in Erfahrung bringen.

Er war sehr aufmerksam und ich konnte immer mit tiefen, teils auch dunklen Überlegungen, die meinen Kopf an so manchen Tagen einnahmen, bei ihm Rat suchen. Und wenn ich keine Hilfe brauchte, dann philosophierten wir über die unterschiedlichsten Themen oder er leistete mir einfach still Gesellschaft, wenn mir nicht nach Reden zu Mute war. "Wenn du darüber sprechen willst."

"Es gibt so Vieles, dass ich immer noch nicht verstehe", gestand ich. "Es wird davon gesprochen, dass jeder Mensch einzigartig ist, aber sind sie das tatsächlich? Sind wir nicht eigentlich alle in unserem Kern gleich?"

"Jeder ist einzigartig, weil schlussendlich doch Niemand wie ein Anderer ist oder sein kann. Wir sind zwar aus den selben Bauteilen, jedoch unterscheiden wir uns untereinander teilweise gewaltig. Sicher, die Menschen entspringen ein und der selben Art und zwischen ihnen besteht eigentlich kein Unterschied. Egal, ob man einen Mann, eine Frau, ein Kind oder ein Baby betrachtet. Es ist außerdem eigentlich irrelevant, ob man eine Behinderung oder eine Krankheit hat, eine andere Haar- oder Hautfarbe trägt, eine andere Sprache spricht und ob man auf das selbe Geschlecht steht. Doch Menschen sind neben ihrem Wunsch nach Individualität manchmal auch einfach nur gleichgültige Monster."

Irgendwie hatte ich nach seinen Worten das dringende Bedürfnis, ihn fest in meine Arme zu schließen. Dies tat ich beinahe unbewusst und strich über seinen Handrücken, den er auf meinem angewinkeltem Knie positioniert hatte.

"Wieso akteptieren Menschen einander nicht? Ich weis, Wölfe in einem Rudel tun dies auch nicht gerade auf den angenehmsten Wegen, aber sie töten Niemanden. Zumindest nicht in meinen bisherigen Rudeln und aus meiner Erfahrung heraus. Weder den Omega, noch den grausamsten Anführer. Im Großen und Ganzen halten sie zusammen – und man hat immer die Chance aufzusteigen, abzusteigen oder auszusteigen."

LloydWo Geschichten leben. Entdecke jetzt