Epilog - Wo ich hingehöre

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Es war für die Beiden ein nervenaufreibendes Gefühl, zurück zu dem Anfang, an den Ort ihres ersten Treffens, zukehren. Sie waren fast an ihrem Zielort angekommen, durchquerten den Wald und trafen am Waldrand auf bekannte Gesichter, die ihre Präsenz bereits gewittert hatten.

Seine Familie. Die kleine Schwester und seine Mutter warteten bereits seit Minuten auf ihr eintreffen, denn ihre Sinne hatten die Ankunft des Paares bereits angekündigt, bevor sie sich überhaupt gegenüber gestanden hatten.

Diese stiegen aus dem schwarzen Geländewagen, der ein Andenken an Lloyds verstorbenen Vater war, wie der Ältere der Beiden wusste. Draußen wurde der Hellhaarige von der Größeren, jedoch zugleich Jüngeren, der beiden Frauen umarmt, während die Ältere ihren Sohn begrüßte. Es war eine lang ersehnte Wiedervereinigung der Familie, denn ihr Sohn war mehrere Wochen auf der Suche nach seinem Gefährten gewesen. Sie waren allesamt sehr beruhigt, als sein Anruf kam und ihnen mitgeteilt wurde, dass er Yumah wiedergefunden hatte.

Dieser wurde ebenfalls von der Dame des Hauses umarmt und gleichermaßen in Empfang genommen. Die Familie war wieder zusammen und diese ungeschriebene Tatsache erwärmte alle Herzen.

„Kommt rein, die Anderen warten schon auf euch. Und es gilt ein neues Familienmitglied zu begrüßen." Lloyd lachte leise, als er den verdutzten Ausdruck auf dem Gesicht seines Gefährtens erblickte. Allerdings setzte er gar nicht zum Erklären an, sondern zog den Langhaarigen rasch hinter den beiden Frauen hinein in das Haus seiner Kindheit.

„Langsam, langsam", bat er den Kleineren sanft. Dennoch grinste er über das Verhalten, das Lloyd an den Tag legte. Sie waren erst seit einigen Stunden wieder vereint und doch schien ihm immer noch alles so fern.

Das sein Gefährte lebte. Das er mit zu ihm zurück zu dessen Familie gereist war. Und das nun alle auf ihn, seine Rückkehr, gewartet hatten. Der liebevolle Empfang, als wäre er schon immer ein Teil ihrer Familie gewesen.

Er war schier überwältigt und glücklich.

Drinnen wurden sie augenblicklich von den Zwillingen und Mika in Beschlag genommen, die Yumah zwar zum wahrlich ersten Mal sahen oder richtig kennenlernten, doch sehr herzlich zu ihm und seinem Gefährten waren, nachdem nach kurzer Zeit das Eis gebrochen war.

Es folgten Lloyds Geschwister, Akio und Lydia, zusammen mit Erik, der sie ebenfalls begrüßte und in die Arme schloss.

Dann erstarrte der Hochgewachsene, als er den langjährigen Freund der Beiden erblickte. Dieser realisierte viel schneller seinen Blick, als es Yumah lieb war und grinste. Er grinste, mehr tat er nicht. Und Yumah wusste, dass alles in Ordnung war, das ihm Niemand etwas nachtragen würde, wie er die ganze Zeit über befürchtet hatte.

Felicia war ebenfalls anwesend und wog ihr jüngstes Enkelkind in den Armen. Das Paar kam zuletzt zu ihr, weil sie im hinteren Teil des Wohnzimmers verblieben war. Vermutlich aus dem einfachen Grund heraus, das das kleine Bündel schlief und nicht aufgeweckt werden sollte.

„Hallo, ihr Zwei." Die Braunhaarige sprach ruhig, lächelte sanft, obwohl tiefe Augenringe ihr Gesicht zierten und es ihr offensichtlich nicht gut ging. Die Beiden wussten, dass sie ihren Ehemann, ihren Gefährten, verloren hatte und es betrübte kurzzeitig auch ihre Gemüter.

Denn vor mehreren Monaten war Lloyd vor seinen Augen gestorben und bis vor einigen Stunden hatte er sich in genau dem selben Stadium befunden. Es war vielleicht nicht unbedingt unterschiedlich, wenn Menschen eine geliebte Person verabschieden und gehen lassen mussten, wenn man die anderen Mitglieder eines Rudels und die Familie des Verstorbenen fragte. Allerdings wurde zwischen Gefährten ein tiefes, seelisches Band aufgebaut, dass sie miteinander verband. Zwar war es keine physische Verbindung, jedoch eine psychische und überaus spirituelle. Dieses Band zu kappen glich dem eigenem Tod. Vermutlich war die einzige Rettung die Familie und der Halt, den Freunde und das Rudel diesen Personen entgegenbrachten.

Yumah wusste, dass er sich vor dem Abgrund des Todes befunden hatte. Er war auf dem Rand balanciert, hatte jeder Zeit riskiert, zu fallen – und es wäre ihm egal gewesen. Bis Lloyd erschien, hatte er tatsächlich Nichts und Niemanden gehabt, der ihn noch an diese Welt gebunden hatte.

Dabei war ihr Band nur eine Weile gekappt gewesen und hatte sich wieder nahtlos verbunden, als sie einander wiedergesehen hatten. Zumindest hatte es sich danach angefühlt, es war für Beide schwierig, diese Gefühle zu beschreiben, doch es war da und ihre tobenden Seelen hatten endlich ihren Frieden gefunden.

So würde es auch Felicia ergehen. Nach dem Tod von Samuel würde es sicherlich nicht einfach werden, doch Alannah und Erik, sowie ihre Schwiegertochter und die beiden Kleinen würden ihr sicherlich in dieser Zeit zur Seite stehen. Sie würde nicht alleine sein, würde in ihnen Halt und den Mut finden, um weiter zu machen. So wie es die gebürtige Irin nach dem Tod ihres Mannes, dem Vater ihrer sechs Kinder, geschafft hatte.

„Seht euch die Kleine an." Sie schaute herunter zu dem kleinen Mädchen, das in eine rote Decke gewickelt worden war. Ihre Wangen waren rosig und sie war unfassbar klein, was natürlich selbstverständlich für ein Neugeborenes war, allerdings erweckte es bei allen einen starken Beschützerinstinkt, wenn man es nur ansah. „Ist sie nicht niedlich?"

„Unfassbar niedlich", bestätigte der Schwarzhaarige und strich mit dem Zeigefinger vorsichtig über die Wange des Babys. „Sie sieht aus wie Lyn auf den alten Kinderbildern von uns."

„Oder wie Mika. Sie sehen Beide ihrer Mutter unheimlich ähnlich", fuhr sie fort, „aber Mika hat trotzdem einen gewissen Touch von Erik, gerade was ihre Persönlichkeiten anbelangt. Ein kleiner Wildfang."

„Wie heißt sie?", wagte Yumah sich zum ersten richtigen Satz seit ihrer Ankunft. Nach ihrem Wiedersehen und den zahlreichen Worten, war er heiser verblieben. Er hatte keine Rücksicht auf seine eingerosteten Stimmbänder nehmen können, der Augenblick hatte ihn nahezu überwältigt. Deshalb hatte er bisher vorwiegend geschwiegen und seine Stimme geschont.

„Samira", flüsterte sie mit einem traurigen und bittersüßen Lächeln. „Der Name ist von Samuel hergeleitet und soll an ihn erinnern. Erik hat es sich gewünscht."

„Eine schöne Idee", wandte Lloyd ein und nahm seine Hand zurück von dem Bündel. Er drehte sich zu seinem Gefährten und lächelte diesen an. „Findest du nicht auch?"

„Ja", stimmte dieser leise zu. Damit verließen sie die Zwei und liefen direkt in ihr nächstes Gespräch.

„Sie mal Lloyd, ich habe Zion gefunden und jetzt könnt ihr endlich miteinander sprechen", prophezeite seine jüngere Schwester theatralisch und hielt mit dem jungen Mann im Schlepptau vor dem lachenden Pärchen inne.

„Stimmt, ich hatte bisher noch nicht die Gelegenheit, mich bei dir zu bedanken", stellte er fest. „Danke für die Rettung, ich bin dir etwas schuldig." Der Jamaikaner grinste verschmitzt.

„Etwas schuldig, hm? Also habe ich einen Gefallen bei dir offen?" Offensichtlich witzelte er nur, doch Lloyd spielte sein Spielchen liebend gerne mit, da er bereits ahnte, in welche Richtung es gehen würde.

„Ja, alles was du willst. Hast du da schon was im Kopf?" Er grinste zuerst ihn und dann seine rothaarige Schwester, die neben ihnen stand, an.

„Bekomme ich im Austausch für meine Taten deine kleine Schwester?"

„Zion!", fuhr Ari ihn mahnend an. Ihr schien es peinlich zu sein, denn ihre Wangen nahmen beinahe die selbe Farbe wie ihre Haare an. „Wir sind doch längst ein Paar – und ich kein Objekt, das mein Bruder frei nach seiner Verfügung als Wiedergutmachung verschenken kann!"

„So so", lachte Lloyd. „Ihr seid also ein Paar?" Wenn es möglich war, dann wurden ihre Wangen noch roter als ihre Haare. „Süß", betitelte er dies neckend.

„Darum geht es doch gar nicht!", versuchte Ariana weiterhin die Situation zu retten, allerdings war es dafür bereits viel zu spät, wie sie selbst wusste. „Zion, wir gehen." Damit verschwand sie mit ihm an der Hand so schnell aus dem Raum, das die Beiden kaum eine Möglichkeit hatten, darauf reagieren zu können.

„Ihr ist immer noch alles peinlich, meine Güte", kommentierte der Dunkelhaarige lachend und sah zu Yumah hinauf, der schmunzelte und erwiderte: „So wie dir?"

„Hey!", protestierte er, konnte jedoch keine wirklichen Widerworte geben. „Es ist doch nicht schlecht, dann wird dir nicht so schnell langweilig."

„Mit dir wird mir nie langweilig werden."

„Gut, du wirst mich auch noch dein ganzes Leben am Hals haben."

„Gleichfalls."

Sie verschränkten ihre Finger miteinander und traten schweigend zum Fenster, um den Sonnenuntergang zu bewundern, der die Bäume vor ihnen in rotes Licht tauchte.

Und zum ersten Mal, sah es für sie nicht so aus, als würde der Wald brennen. Die feurigen Strahlen der Sonne waren warm, aber nicht gefährlich, denn sie würden die Bäume nicht verletzten und ihre Kronen in Brand setzen. Es würde für Beide eine ruhige Nacht werden, vielleicht die Erste seit Monaten.


„Willkommen zurück zu Hause, Yumah."

LloydWo Geschichten leben. Entdecke jetzt