Ich verstand nicht, was mit mir geschah. Gerade war mir die komplette Kontrolle entglitten, der Wolf hatte sie übernommen. Gnadenlos, ohne eine Chance auf Einwand oder Widerspruch.
Da war kein Ich mehr gewesen – und das bereitete mir Angst. Gerade, weil ich so lange ein Mensch gewesen war. Als Wolf war ich keine einzelne Person, sondern lediglich ein Tier, ohne ein Gespür für ein Selbst.
Es war mir nie aufgefallen, wie die Instinkte und Triebe immerzu die Überhand genommen hatten. Keine Entscheidungen. Keine Widersprüche. Keine Meinung. Keine eigenständige, wahrhaftige Kontrolle.
Es war schrecklich. All die Jahre hatte ich nichts anderes gekannt, aber jetzt konnte ich mich nicht mehr bedingungslos darauf einlassen.
Es tat weh.
Ich hätte ihm gerne erwiedert, dass ich es nicht erklären konnte, doch es war mir nicht möglich. Unsere Verbindung war gekappt, als hätte sie eine Funkstörung. Es ging nicht so, wie es all die Jahre über funktioniert hatte. Zwar hatten wir sie nicht oft verwendet in der letzten Zeit, aber sie konnte nicht schlagartig verschwunden sein. Wir brauchten sie jetzt.
"Yumah? Kannst du mich nicht hören? Wieso sagst du nichts?" Der junge Mann ließ seine Hand mit den vier Fingern zu meiner Pfote sinken. Seine Linsen fokussierten die Gelben, die meinen Sehern innewohnten.g
"Gib mir ein Zeichen, wenn du mich hören kannst." Das Zeichen gab ich ihm, indem ich die freie Pfote anhob und ein kleinlautes Fiepen von mir gab. Er nickte.
"Kannst du nicht mit mir sprechen?" Erneut das Signal, jedoch riss er erschrocken seine Augen auf. "Das ist schlecht", drang es in meine Ohren. Ich stimmte ihm leise zu.
"Kannst du dich zurückverwandeln?" Schweigen – und es ließ mich innerlich Leiden, so wie ich es auch ihm ansehen konnte, obwohl es als Wolf schwieriger war, ihn vollkommen zu verstehen. Die kleinsten Details seiner Mimik blieben auf der Strecke.
Still presste ich meine Schnauze an sein Kinn und strich mit dem Fell über seine feine Haut.
"Hey, das kitzelt!" Es kamen weiße Zähne zum Vorschein, die jedoch abgekantet waren und nicht annähernd so scharf und spitz, wie die Meinen sein konnten.
Dennoch schlang er einen Arm um meinen Hinterkopf und legte die Andere vorsichtig unter meinem Kiefer an. So drückte er mich fester an sich.
"Was machen wir denn nun?" Wenn ich, ein Wolf, es wüsste, hätte ich es ihm längst irgendwie verständlich gemacht. Jedoch konnte ich Erstens nicht sprechen und Zweitens hatte ich selbst keinen Rat oder einen Plan von dem Ganzen. Ich hatte das ja auch nicht gewollt.
"Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht, aber es gefällt mir ganz und gar nicht." Mir auch nicht. Das war die richtige Beschreibung für diese ganze Lage. Vielleicht hätte man dafür aber noch ausfallener werden dürfen.
Jaulend gab ich ihm meine vollste Zustimmung, ehe er meine Schnauze zudrückte. Es war eine schnelle Bewegung, der ich gerade so mit den Augen folgen konnte, jedoch keineswegs grob.
"Du musst leise sein", dabei gab er einen zischenden Laut von sich. "Die Nachbarn werden sonst sicher noch blöde Fragen stellen oder gar die Polizei rufen." Ich erinnerte mich daran, dass die alte Dame davon erzählt hatte, dass sie erst hier hergezogen war, als ihre Katze verstorben war. Sie wurde immer sehr traurig, wenn sie davon erzählte. Da man hier in unserem Gebäude keine Haustiere halten durfte, hatte sie sich auch nicht wieder ein junges Kätzchen in ihr Leben holen können.
Als meine Sicht zu flimmern begann, legte ich kurzerhand meinen Kopf auf den Pfoten ab und senkte meinen Körper hinab auf den glatten, kalten Küchenboden. Erneut schmerzte mein Kopf. Dieses Mal waren es wenigstens nicht meine gesamten Glieder. Dennoch kam diese unerträgliche Hitze wieder.
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Lloyd
WerewolfNachdem Lloyd und Yumah vor Jahren den Fängen des Rudels entkommen sind, haben sie sich ein Leben fernab ihrer Vergangenheit aufgebaut. Doch nicht nur ein Freund der beiden Gefährten, sondern auch weitere Vorkommnisse sorgen dafür, dass sie die Spu...