Wenn Lloyd zuvor deprimiert gewirkt hatte, dann war es nach den Worten von Darius nun um eine ganze Ecke schlimmer geworden. Das letzte Mal, als er so niedergeschmettert und traurig erschien, war unser Vater gestorben. Nicht einmal, als Yumah ihn verletzt hatte, war dieser Ausdruck auf seinem Gesicht gemalt gewesen. Und die Verletzungen, sowie die Situation mit Yumah, hatte nicht nur ihn stark mitgenommen, sondern auch mich und die anderen Mitglieder unserer Familie.
Gerade war sein Zustand so unberechenbar schlecht, dass ich es nicht einmal wagte, ihn anzufassen oder anzusprechen, geschweige denn ihn gar anzusehen. Nicht nur Angst floss durch meine Venen, sondern auch ein undefinierbares Gefühl, dass mich in den Wahnsinn trieb.
Zion war die ganze Zeit im Hintergrund geblieben und traute sich anscheinend ebenfalls noch nicht, mich anzusprechen, doch er hatte seine Arme für mich geöffnet, als ich zu ihm ging. Er brauchte keine Worte, es reichte diese kleine Geste für mich. Gerade würde ich sowieso keine Worte finden und ich würde sie auch nicht aussprechen wollen, denn dann würde ich ihre Bedeutung anerkennen und sie würden feststehen. Das eben Gesagte würde wahr, die Realität, werden.
„Wenn das wahr ist, dann – dann müssen wir wenigstens seinem Rudel helfen", durchschnitt plötzlich eine Stimme die unangenehme Stille. Lloyd hatte sich nicht aus dem Griff von Darius befreit, wandte sich diesem nun jedoch vollständig zu, um dessen Aufmerksamkeit zu erhalten.„Bitte, wir müssen ihnen helfen. Wenn ich schon nichts für ihn tun kann, dann wenigstens für seine Familie und das Rudel."
Darius gab nach, als sich ihre Blicke kreuzte. Mein großer Bruder meinte es ernst. Wie es aussah, nahm er schlussendlich das Schicksal an, was ihnen vorbestimmt war. Die Natur und ihre Herkünfte trennten sie voneinander und schlugen nun langsam eine metertiefe Schlucht zwischen sie. Lloyd wollte sicher gehen, dass es Yumah und diesem Rudel gut ging, falls es wirklich aus sein würde zwischen ihnen.
Ich wusste nicht, was schrecklicher in diesem Moment war. Das wir Yumah verlieren würden und er nicht mehr mit uns, sondern als Wolf leben würde – oder die Tatsache, dass mein Bruder mit solch einer Durchdachtheit und Kontrolle an diese Situation heranging. Vermutlich war es Letzteres, während ich zitternd da stand und mich selbst nicht mehr verstand.
„In Ordnung."
„Danke, Darius. Euch allen, danke." Lloyd verneigte sich leicht und schien, neben den Tränen, die seine Augen füllten, ihnen jedoch nicht entkamen, sehr glücklich über unsere Hilfe zu sein. Sein schmales Lächeln war traurig, aber echt.
„Erzähl uns von dem Rudel und dem Problem, wir werden unser Bestmögliches tun", versprach der Beta und wir anderen Mitglieder schlossen uns ihm mit Kopfnicken an.
„Sie wurden aus ihrem Gebiet von Menschen vertrieben. Ich schätze, dass sie etwas auf den Grund und Boden bauen und dabei die Wölfe ein Störfaktor waren. Hier draußen gibt es allerdings keine guten Jagdgründe, sodass sie am Minimum leben. Sie werden sterben, wenn sie hier bleiben müssen."
Seine Worte schockten mich und ich fühlte, mehr denn je, den Drang, unbedingt helfen zu wollen. Unsere Unterstützung war hier gefragt, vermutlich gerade deshalb, weil wir selbst mehr Mensch als Wolf waren und die Menschen eher verstehen konnten. Wobei ich dies nicht vollständig tat und jemals tun könnte, doch es lag auf der Hand, dass wir der Schlüssel zur Kommunikation zwischen den Wünschen des Rudels und den Interessen der Menschen waren.
„Wir sollten das Gespräch suchen, schätze ich", beendete Lloyd kurz darauf und bekam von Darius ein Nicken.
„Genau, das denke ich auch", sprach er darauf, „oder wir müssen sie umsiedeln. Dafür gibt es im Moment allerdings keine richtige Alternative, die mir einfällt. Dieser Wald liegt zwischen einer Schneise von Menschensiedlungen." Er zeigte in den Osten und dann in den Westen. „In der Richtung, in der ihr altes Gebiet beginnt, ist vermutlich mit der größten Entfernung zu Menschen zu rechnen, wie ich annehme. Überall, wo Menschen leben, zieht sich die Natur zurück und damit gerade ihre Nahrungsquellen."
„Du bist doch Anwalt, kannst du da nichts für sie reißen?", brachte sich zu meiner Überraschung Zion hinter mir ein. „Wir könnten das Land kaufen oder sie irgendwie abwerben."
„Ich werde es versuchen, aber ich glaube nicht, dass es so einfach wird. Das Land wird wohl verkauft worden sein und einem Investor gehören, wenn die Bauarbeiten tatsächlich bereits eingeleitet wurden. Sie zu stoppen und das Land in den Ursprungszustand zurückzusetzen, wird kein einfaches Unterfangen, das kann ich euch verraten. Wenn der Bauantrag genehmigt wurde, gibt es nicht gerade viele Möglichkeiten für uns, wenn sie nicht gerade schon schwindend gering sind." Der Beta schien nachdenklich, jedoch bestärkte er meinen Bruder, in dem er ihm auf die Schulter klopfte. „Lasst es uns versuchen."
Lloyd verfiel wieder in ein wiederholtes Danke, bevor ich ihn an die Hand nahm und mit uns zurück zum Wagen führte. Er wäre nicht von allein losgegangen, da Yumah zurückbleiben würde. Seine großen gelben Kulleraugen hatten von einem Abschied gesprochen und nach einem kurzen Blickaustausch zwischen den Beiden, war es um meinen Bruder geschehen.
Allerdings war ich besorgt, weil er nicht, wie ich es erwartet hätte, weinte, sondern einfach nur leer auf einen Punkt am Boden starrte, der nicht zu existieren schien. Er folgte mir ohne Widerstand und ließ mich seine Hand komplett von meinen Beiden umschließen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich für ihn da war und er nicht allein sein würde. Und ich wollte ihm weis machen, dass wir nichts unversucht lassen würden, Yumah und ihm doch eine gemeinsame Zukunft zu ermöglichen. Gerade wünschte ich mir nichts sehnlicher. Man konnte zwei Gefährten doch nicht so brutal voneinander trennen, nicht einmal die Natur sollte so etwas überhaupt in Erwägung ziehen.
Nachdem ich meine Mutter - und in naher Zukunft auch Feli - so sehen musste, konnte ich nicht zulassen, dass meinem Bruder das selbe Schicksal ereilen sollte. Mit zweiundzwanzig konnte er nicht seinen Gefährten verlieren, dafür war er viel zu jung und hatte noch viel zu viel in seinem Leben vor sich.
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Lloyd
WerewolfNachdem Lloyd und Yumah vor Jahren den Fängen des Rudels entkommen sind, haben sie sich ein Leben fernab ihrer Vergangenheit aufgebaut. Doch nicht nur ein Freund der beiden Gefährten, sondern auch weitere Vorkommnisse sorgen dafür, dass sie die Spu...