1. Kapitel - Yumah

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Es war Freitag, doch er kam nicht zur gewohnten Zeit zurück. Das er sich unangekündigt verspätete, war bisher niemals vorgekommen, sodass mir seine lange Abwesenheit Sorgen bereitete. Und diese waren nicht gerade klein.

Das Abendessen, das ich für uns gekocht hatte, stand immer noch unberührt auf dem Herd. Inzwischen war es sicher eiskalt und hoffentlich schmeckte es später nicht noch grausamer, als sowieso schon. Er wusste, dass ich kein begabter Koch oder etwas Dergleichen war, ebenso wie ich mir selbst darüber bewusst war. Dennoch wollte ich wirklich nur, dass er das mochte, was ich ihm vorsetzte.

Um nicht irgendeinen nervösen Tick zu entwickeln, schnappte ich mir kurzerhand das dünne Buch vom Wohnzimmertisch und begann zu lesen. Neben der Ablenkung, die mir diese Beschäftigung spendete, versuchte ich mir aufmerksam einen Sinn auf die Buchstaben vor meinen Augen zu reimen.

Diese ganzen Fachwörter waren wirklich zu hoch für meinen derzeitigen Wissensstand. Dabei las ich in einem Tierbuch. Auch, wenn man mir von allen Seiten gut zusprach, wusste ich, dass es für Kinder geschrieben worden war. Und es frustrierte mich, egal was Lloyd oder Nikita mir einreden wollten.

Eine völlig fremde Sprache zu lernen war nicht einfach. Das Reden war einfacher für mich, da ich es täglich benötigte und ihm ausgesetzt war, aber Lesen war da eine ganz andere Nummer.

Verstehen konnte ich mittlerweile auch mehr Menschen, was vor knapp drei Jahren nur bei Lloyd der Fall gewesen war. Dazu zählte nicht nur Nikita, sondern auch weitere Menschen in meinem Umfeld, wie der netten alten Dame, die ich des Öfteren im Gemeinschaftsgarten antraf. Jeder der Mieter hatte einen kleinen Teil des Gartens zur Verfügung, wenn auch nur ein paar wirklich kleine Quadratmeter. Dort traf ich sie öfters während der Gartenarbeit an.

Mein Gedankenstrang lief aus, sodass ich seufzte und dabei tiefer ins Sofa sank.

Ich wusste, dass Lloyd bald zurückkommen würde. Er war immer zu mir zurückgekehrt. Schließlich hatte ich einmal fast zwei Jahre auf seine Rückkehr gewartet. Und er war damals – ohne überhaupt richtig von meiner Existenz zu wissen – heimgekehrt.

Trotzdem drückte ich kurz darauf die Taste meines Handys, sodass sich der Bildschirm entsperrte. Keine neue Nachricht. Keine neuen Anrufe.

Auch wenn ich es hasste, wählte ich die einzige eingespeicherte Nummer in den Kontaktdaten des kleinen Kastens. Dieses mechanische Teil bereitete mir ein unangenehmes Kribbeln, als ich es an mein Ohr hielt und ein konstantes, lautes Tuten ertönte.

Ich konnte es nicht ausstehen, weil das Handy die Stimmen jeglicher Personen verzerrte – gerade die von Lloyd. Und ich mochte dessen Klang viel zu sehr, als das man ihn abartig verändern durfte.

"Der angerufene Teilnehmer antwortet nicht. Möchten Sie eine Nachricht hinter-", würgte ich die Ankündigung der monotonen Frauenstimme am anderen Ende der Leitung ab.

Ich seufzte erneut. Er war nicht zu erreichen.

Wenige Minuten hielt es mich noch auf dem Sofa, dann erklang das für mich erlösende Klingeln. Sofort sprang ich auf und lief schnellen Schrittes zur Tür, um sie zu öffnen.

"Hi, kann ich reinkommen?", fragte mich ein eingemummter Nikita, der sich bereits seiner Mütze und des Schales entledigte. "Was ist los? Du wirkst enttäuscht."

Zustimmend nickte ich, trat dennoch einen Schritt zur Seite, damit der Braunhaarige eintreten konnte. Dieser wandte sich mir wieder zu, nachdem er seine Winterjacke aufgehangen und seine Schuhe auf das Handtuch in der Zimmerecke abgetreten hatte.

Ohne diesen Stoff wurde der Boden immer nass von dem Schnee und das mochte ich nicht. Lloyd war schon einmal ausgerutscht, weshalb wir daraufhin jedes Jahr, wenn es schneite, eines unserer Handtücher auslegten, damit das getaute Wasser von diesem aufgesaugt wurde.

LloydWo Geschichten leben. Entdecke jetzt