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Blitzschnell drehte ich mich zu der Stimme um und blickte meinen Gegenüber wütend an.
Meine Augen waren zu Schlitzen verengt, und meine Hände stemmte ich in meine Hüften.
„Sieht es so aus, als ob alles in Ordnung bei mir wäre?", brachte ich vorwurfsvoll heraus.
„Weißt du, ich stehe gerne vor diesem verfluchten Haus, bewerfe es mit Schneebällen und schreie es an, das ist eines meiner größten Hobbys!", meine Stimme triefte gerade zu vor Ironie.

Der junge Mann vor mir blickte mich nur überfordert an, selbst in meinem Furienmodus nahm ein Teil meines Gehirns wahr, dass er ziemlich gut aussah.
Doch darauf konnte ich mich jetzt nicht konzentrieren.
„Es tut mir wirklich leid, aber das war zu viel deutsch auf einmal", gestand er. „Ich bin noch nicht so gut darin."
Jetzt wusste ich, wer er war.

„Du bist der Engländer, oder?", wechselte ich mühelos ins Englische.
„Ja, genau der bin ich. Und du?", der Gute war sichtlich erleichtert, dass ich mich einigermaßen beruhigt hatte.
„Ich bin Felicia, und ich wohne da", mit einer Handbewegung deutete ich auf das Haus.
„Wie heißt du eigentlich?", fiel mir dann ein.

Der Fremde zögerte kurz, was mich etwas irritierte, und meinte dann: „Henry. Henry Stones."
Okay, vielleicht war der Engländer – nein, Henry – etwas seltsam drauf, aber wer war das hier in diesem Dorf nicht?
Und schon allein, dass er freiwillig hierher gezogen war, war ja etwas merkwürdig.
„Was treibst du da eigentlich?", hakte er nun nochmals nach und unterbrach damit meinen Gedankengang.

Seufzend verzog ich mein Gesicht.
„Ich hab mich ausgesperrt, und meine Familie kommt in etwa sechs Stunden wieder", gab ich ihm bereitwillig Auskunft.
Henry gab sich zwar äußerst Mühe, nicht zu grinsen, konnte es sich aber nicht komplett verkneifen.
„Lach nicht!", schnaubte ich, bückte mich und warf ihm einen Schneeball direkt ins Gesicht.

In Schockstarre blickte er mich an, seine Augen, welche in einem leuchtenden Grün erstrahlten, waren weit geöffnet.
Wie in Zeitlupe wischte er sich den Schnee vom Gesicht, sah mir fest in die Augen und ehe ich mich versah, traf auch mich ein Schneeball.
Zwar nicht direkt im Gesicht, aber trotzdem war sofort klar, dass das Rache geben würde.
Wie kleine Kinder tollten wir im Schnee herum, suchten Deckung hinter der Hausecke, zielten, trafen meist nicht und lachten.

Keuchend ließ ich mich schließlich auf einen Schneehaufen plumpsen und versuchte, irgendwie wieder zu Atem zu kommen.
Auch Henry atmete etwas schwer, war aber wohl bei weitem besser in Form als ich, musste ich zugeben.
Grinsend reichte er mir seine Hand, um mich hochzuziehen, doch schneller, als er reagieren konnte, lag er auch schon neben mir.
Beziehungsweise, eigentlich lag er halb auf mir, unsere Nasenspitzen trennten nur wenige Millimeter.

Sekundenlang wagte es keiner von uns beiden, sich auch nur um einen Zentimeter zu bewegen. Ich konnte meinen Blick nicht aus seinen Augen lösen.
Schließlich rollte Henry sich neben mich, und rappelte sich auf.
Nun waren wir beide von Kopf bis Fuß mit Schnee bedeckt und somit auch ziemlich durchnässt.

„Komm doch einfach zu mir mit rein", schlug mein neuer Nachbar mir dann vor.
Kurz zogen vor meinem inneren Auge Bilder von Morden, Vergewaltigungen und ähnlichem vorbei, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Henry so ein Mensch war.
Und wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich nicht wirklich eine Wahl.
Hier draußen konnte ich nicht die nächsten paar Stunden bleiben, nicht in diesen nassen Klamotten.
Also stimmte ich kurzerhand zu und folgte Henry ins Nachbarhaus.

Ich war noch nie hier drin gewesen, das Haus hatte schon Jahre vor meiner Geburt leergestanden.
Es war ungewohnt, es auf einmal so belebt zu sehen.
„Macht es dir was aus, wenn ich kurz unter die Dusche hüpfe, ich bin komplett durchweicht – oh."
Henry hatte wohl erst jetzt den Zustand meiner Kleidung bemerkt.
Auch wenn ich jetzt im Warmen stand, zitterte ich noch immer und meine Jeans klebte äußerst ekelhaft an meinen Oberschenkeln.
Aus meinen Haaren tropfte der mittlerweile geschmolzene Schnee und bildete kleine Pfützen auf dem Parkett.

Insgesamt musste ich wohl eine ziemlich klägliche Figur abgeben, dachte ich bei mir.
Ich verzog mein Gesicht zu einer entschuldigenden Grimasse und versuchte, nicht den kompletten Boden einzusauen.
„So kannst du definitiv nicht bleiben", stellte Henry nun ebenfalls fest.
„Aber", gerade wollte ich einwenden, dass ich hier keine Kleidung oder ähnliches hatte, als er mich einfach unterbrach.

„Kein aber. Ich bringe dir was zum Anziehen von mir, und dann zeig ich dir das Bad, dann kannst du dich auch kurz abduschen", entschied er einfach.
Da jegliche Art von Widerspruch zum Einen wohl kaum etwas gebracht hätte, wild entschlossen, wie Henry war, und zum Anderen auch einfach unvernünftig und dumm gewesen wäre, saß ich eine halbe Stunde später nach einer Dusche und einem kurzen Telefonat mit meiner Mutter in übergroßer Kleidung auf der Couch in Henrys Wohnzimmer.
Meine Unterwäsche hatte ich trocken geföhnt und wieder angezogen, außerdem trug ich nun einen großen blauen Kapuzenpulli und darunter eine Jogginghose, bei der ich allerdings aufpassen musste, dass ich sie nicht verlor.

Meine eigenen Sachen hatte ich über die Heizung gehängt, in der Hoffnung, sie wären bald trocken.
Dabei musste ich aber zugeben, dass Henrys Kleidung extrem gut roch.
Nach Waschmittel und einem dezenten Parfüm... oder so.
Als mir die Richtung meiner Gedankengänge bewusst wurde, verdrehte ich über mich selbst meine Augen.

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