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Viel zu schnell war der Abend vorbei. Kurz vor Mitternacht gingen wir alle vor die Hütte, bauten Raketen und Böller auf. Nur noch eine Minute trennte uns von 2020, irgendjemand begann den Countdown herunter zu zählen.
Harry stand dicht hinter mir, ich lehnte mich leicht an ihn.
Irgendwie hatte meine Hand den Weg in seine gefunden, es war unglaublich, wie klein sie in der seinen aussah.

Lichter erhellten den dunklen Nachthimmel, Raketen zischten durch die Luft.
Es war so weit.
Das neue Jahr war da, und mit ihm das neue Jahrzehnt.

Was es mir wohl bringen würde?

Lachend fielen wir uns alle in die Arme, wünschten uns ein gutes neues Jahr und stießen – in meinem Fall mit alkoholfreiem – Sekt an.
Doch Hot N Cold zog uns bald schon wieder auf die Tanzfläche. Meine Stimme war vom Mitgrölen und den lauten Unterhaltungen schon etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, meine Füße begannen zu schmerzen und ich spürte die Müdigkeit in sämtlichen Knochen, doch ich war glücklich.
Insgeheim wünschte ich mir, dieser Moment möge für immer anhalten.

Die Musik, das Lachen, Zusammensein mit Freunden, die Unbeschwertheit – und meine Hand in Harrys.
Ich war so glücklich, Gott sei Dank konnte man nicht vor Glück platzen, sonst hätte ich mir echt Sorgen machen müssen.
Alle Probleme schienen in diesen Stunden weit weg, ich konnte endlich mal wieder abschalten.

Gegen zwei Uhr morgens machten wir uns dann auf den Heimweg.
Wie schon auf der Hinfahrt brachte ich Clara noch nach Hause, dann saßen nur noch Harry und ich im Wagen.

„Ich find's schön, dass du heute dabei warst", sagte ich in die Dunkelheit hinein, die uns umgab. Ohne dass ich zu ihm blickte, spürte ich, dass Harry mich ansah.
„Ich auch", antwortete der Lockenkopf nach einigen Sekunden.
Dieses Mal lief der Radio nicht mehr, wir genossen einfach die Gegenwart des Anderen, wohlwissend, dass solche Momente rar und umso kostbarer waren.

Harry hatte keine Ahnung, wann er wieder zurück nach London musste, und ich hatte nur noch zwei Wochen vorlesungsfrei, dann würde ich wieder nach Ulm zurückfahren.
Natürlich konnte ich an den Wochenenden nach Hause kommen, doch das war nicht das Selbe.

Nachdem ich das Auto geparkt hatte, begleitete Harry mich noch bis zu meiner Haustür.
Einige Augenblicke lang standen wir uns nur gegenüber, blickten einander an.
Dann flüsterte ich leise: „Gutes neues Jahr – möge es dir nur das Beste bringen..."

Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, vielleicht lag es an der Neujahrsnacht voller Hoffnungen und Träume, doch ich beugte mich langsam vor und berührte mit meinen Lippen sanft Harrys Wange, nur wenige Zentimeter von seinen Lippen entfernt.
Dort verweilte ich einige Atemzüge, bis ich mich wieder zurückzog.
Wir wussten beide, dass dieser Kuss für einen normalen Wangenkuss definitiv zu nahe an seinem Mund platziert war und auch zu lange angedauert hatte.
Dann drehte ich mich um, wollte in das Haus gehen, als Harry mein Handgelenk umfasste und mich zu ihm zurückzog.

„Das wünsche ich dir auch", hauchte er, bevor seine Lippen auf meine trafen.
Wie von selbst legte ich meine Hände in seinen Nacken, während die seinen den Weg zu meinen Hüften fanden.
Der Kuss blieb sanft, war aber doch unendlich intensiv, unsere Lippen bewegten sich im Einklang miteinander, als tanzten sie einen wohlvertrauten Tanz.
Es war, als stünde die Welt still, als gäbe es nur noch mich und Harry.
Ich konnte noch ganz leicht den Sekt schmecken, den Harry getrunken hatte, doch vor allem war da dieser typische Harry-Geschmack, leicht herb, fein und doch allgegenwärtig.

Als wir uns schließlich voneinander lösten, trafen wir die stille Übereinkunft, heute nicht hiervon zu reden.
Ein Blick genügte, und wir wussten, wir mussten darüber sprechen, doch wir wollten beide nicht den Zauber der Nacht zerstören.
In einigen Stunden war noch genügend Zeit, sich über die Zukunft den Kopf zu zerbrechen, doch nicht jetzt.

Jetzt legte ich meine Lippen nochmals auf die seinen, vertiefte den Kuss, drängte nach mehr. Doch nicht nur ich, Harry kam mir genau so entgegen, unsere Körper pressten sich aneinander, nicht eine Seite Papier hätte zwischen uns gepasst.
Auch wenn mein Gehirn nicht ganz wusste, was es wollte, und Zweifel und Sorgen auflistete, es wurde von meinem Herzen übertönt, welches ganz genau wusste, was es wollte – Harry.

In dieser Nacht schlief ich mit einem Lächeln im Gesicht ein, und wachte auch so wieder auf. Summend schmierte ich mir reichlich Nutella auf mein Brot, während mich meine Familie wissend betrachtete.
Doch als ich mit der Zeit immer wacher wurde, schwand meine Freude.
Was würde jetzt geschehen?
Würde Harry den Kuss – nein, die Küsse – als Nichtigkeit abtun?
Oder würde er sie zwar wertschätzen, aber vernünftig entscheiden, dass wir einfach keine Zukunft hatten?
Und wollte ich das überhaupt, eine Zukunft mit Harry?
Ja, mit Harry eigentlich schon, aber eben nur mit Harry. Mit dem Harry hier in Kirchwald, abseits jeglicher Öffentlichkeit.

Die letzten Bissen meines Brotes würgte ich hinab, meine Kehle war wie zugeschnürt.
Juli beobachtete mich kritisch, verkniff sich aber zu seinem Glück jeglichen Kommentar.
Als ich mich fertig gemacht hatte, stapfte ich über die Straße zum Nachbarhaus.

Unfassbar, das dieses vor wenigen Wochen noch leergestanden hatte.
Jetzt konnte ich es mir gar nicht mehr ohne Harry vorstellen.
Er hatte sich einfach so mir nichts, dir nichts mitten in mein Leben und in mein Herz geschlichen, und das, ohne mich zu fragen! Gut, aufgehalten hatte ich ihn ja auch nicht wirklich...

Aber trotzdem, wie hieß es so schön? Maybe it's the way (s)he walked/straight into my heart and stole it/through the doors and past the guards, just like (s)he already owned it.
Jap, das passte doch wie die Faust aufs altbekannte Auge.
Und zurückgegeben hatte er mir mein Herz natürlich auch nicht. Nö, das lag sicherlich irgendwo im Haus rum, und wenn er zurück nach England ging, nahm er es bestimmt mit.

Eventuell hast du dein Herz auch einfach bei ihm liegen lassen, und er musste es gar nicht klauen?, rief ich mich selbst zur Räson.
Ja, eventuell war da schon was Wahres dran, doch wer gestand sich das gerne ein? Ich jedenfalls nicht.
Außerdem, wie konnte man sich denn bitte nicht in Harry verlieben?

Schließlich fiel mir auf, dass ich mitten auf der Straße stehen geblieben war.
Genervt schüttelte ich über mich selbst den Kopf und spürte die Erleichterung darüber, dass in Kirchwald am Neujahrsmorgen noch niemand irgendwo hin wollte und mich als Galionsfigur für die Motorhaube aufgegabelt hatte.
Niemand, außer mir.

Als ich auf Harrys Klingel drückte, fühlte es sich für einen kurzen Moment so an, als wappnete ich mich für eine entscheidende Schlacht.
Mit gestrafften Schultern und verkrampften Fingern wartete ich darauf, dass Prinz Charming mir öffnete.
Als Harry mich hereinbat, spürte ich die Anspannung, die auch von ihm ausging.

Hatten wir mit diesem Kuss alles ruiniert?
Unsere einvernehmliche, lockere Freundschaft?
Aber so sehr, wie ich mich zu ihm hingezogen gefühlt hatte, hätte eine bloße Freundschaft nicht lange anhalten können – das wäre weder für mich noch für ihn gesund gewesen.

„Ich schätze, wir sollten reden", sprach ich das Unvermeidliche aus.
„Oh Mann, ich hasse diesen Satz – aber du hast Recht", grummelte der Lockenkopf. „'Türlich habe ich das", schmunzelte ich leicht, ein schwacher Abklatsch unserer üblichen Neckereien.

Da schließlich deutlich wurde, dass keiner von uns den Anfang machen wollte, fasste ich mir ein Herz und begann.

Weil ich heute spontan schulfrei habe, hatte ich endlich mal wieder Zeit zu updaten! Wie fandet ihr Felis und Harrys ersten Kuss? Und wie wird das Gespräch wohl verlaufen?
Ich versuche, mich bald wieder zu melden, versprochen;)

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