9

107 6 0
                                    

Gähnend stellte ich den Audi auf dem LIDL-Parkplatz ab.
Dummerweise konnte ich, wenn ich einmal angefangen hatte zu gähnen, nicht mehr damit aufhören.
Dies bemerkte auch Henry: „Sag bloß, dass ich dich heute Morgen geweckt habe?"
„Naja... ist ja nur gerecht, ich hab schließlich dich gestern geweckt", gähnte ich.

Henry konnte wohl nicht mehr mit ansehen, wie ich halb schlafend herumlief, weshalb er mich kurzerhand hochhob und in den Einkaufswagen setzte.
Überrascht entfuhr mir ein leises Quieken, welches mich erröten ließ.
Während Henry mich hochgehoben hatte, waren mir wieder einmal seine trainierten Arme aufgefallen, er war einfach zum Anbeißen.

Kurz darauf war ich umringt von allen möglichen Lebensmitteln, welche komischerweise nicht mehr allzu viel Platz im Wagen hatten.
Als ich jedoch die bunten Zuckerstreusel sah, hielt mich nichts mehr in dem Gefährt.
Breit grinsend begann ich Pi mal Schnauze Zutaten für Weihnachtsplätzchen in den Einkaufswagen zu stapeln.
Henry unterstützte mich dabei tatkräftig, nachdem ich ihn über mein Vorhaben aufgeklärt hatte.

„Wenn du möchtest, kannst du auch mit dem kompletten Kram heute Nachmittag zu mir rüber kommen, dann wird deine Küche nicht verwüstet.
Außerdem wäre es nur gerecht, ich habe mich bei dir ja schon fast einquartiert", lud ich ihn ein. Ja, dass ich so oft bei ihm war, und das, obwohl er eigentlich nach Kirchwald gezogen war, um seine Ruhe zu haben, war mir immer noch sehr unangenehm.
Henry schien das zu spüren, denn er winkte fröhlich ab.
„Du kannst wirklich gerne zu mir rüber kommen, da habe ich wirklich nichts dagegen. Aber wenn es dich glücklich macht, backen wir bei dir", mit diesen Worten legte er noch einige Mandeln auf den ordentlichen Haufen, den wir später irgendwie noch ins Auto verfrachten mussten.

Mein Nachbar bestand auch darauf, die Lebensmittel alle zu bezahlen, auch wenn ich der Meinung war, ich sollte wenigstens die Hälfte der Plätzchenzutaten bezahlen.
Der Lockenschopf ignorierte aber alle meine Einwände völlig, weshalb ich ihn dann einfach gewähren ließ.
„Was backen wir dann eigentlich?", fragte er, als wir schon wieder auf dem Heimweg waren. „Hmm... wie heißen die denn auf Hochdeutsch? Verdammt, mir fällt's nicht ein", grummelte ich, meinen ab und dann doch durchkommenden Dialekt verfluchend.

„Meine Oma hat sie immer „Ausstecherle" genannt, das sind ganz einfache Mürbeteigplätzchen. Außerdem möchte ich noch Bärentatzen, Lebkuchen, Vanillekipferl und Kulleraugen machen, Mandelplätzchen wären auch nicht schlecht und-"
„Und dafür soll das reichen? Außerdem, an einem Mittag kriegen wir das doch niemals hin, oder?", holte Henry mich wieder etwas auf den Boden der Realität.
Doch ich ließ mich nicht beirren.
„Wenn wir das heute nicht alles schaffen, müssen wir halt nochmal ran. Und wenn es nicht reicht, gehen wir nochmal einkaufen, ist doch kein Problem."

„Gut, ich bin bereit, womit fangen wir an?", rieb der Dunkelhaarige tatkräftig seine Hände.
Wir hatten nach dem Mittagessen sorgsam alle Zutaten ein Haus weiter verfrachtet und standen nun in unserer Küche.
Meine Mutter hatte uns viel Spaß gewünscht und den Wunsch geäußert, ihre Küche möge nach unserer Backaktion doch bitte noch ganz sein.
Dies hatte ihr Henry auch mit einem charmanten Lächeln versprochen, sein Deutsch wurde tatsächlich von Tag zu Tag besser, so hatte ich das Gefühl.

Nichtsdestotrotz mussten unsere Unterhaltungen schon alleine wegen dem ständigen Wechsel zwischen Englisch, Deutsch und - zur Not nutzten wir diese Sprache auch noch - Französisch sehr lustig mit anzuhören sein.

„Traditionsgemäß der Familie Hofer starten wir mit den Ausstecherchen.
Also, wiegst du schon mal die Zutaten ab und ich suche die Förmchen?", streckte ich ihm das Rezept entgegen.
„Aber natürlich, wie Sie wünschen", verbeugte er sich lachend.
„Backt ihr das wirklich jedes Jahr als Erstes?", wurde ich wenige Minuten später gefragt.

MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt