13

115 6 5
                                    

„Warum hat er meinen Lieblingsschlafanzug an?"
„Weil ich ihn ihm gegeben habe."
„Du hast ihm meinen Lieblingsschlafanzug gegeben?"
„Das habe ich doch gerade gesagt."
„Aber warum hast du -?"
„Jetzt sei doch einfach mal still, du weckst die Beiden noch auf!"
„Ja, das wollte ich ja auch, wir müssen aufstehen!"
„Fünf Minuten werden ja wohl nicht schaden."

Im Halbschlaf nahm ich zwei vertraute Stimmen wahr, welche sich im Flüsterton stritten, oder zumindest sehr heftig diskutierten.
„Juli, Clara, könnt ihr vielleicht einmal in eurem Leben die Klappe halten?", fragte ich entnervt, ohne die Augen zu öffnen.

„Ja klasse, jetzt hast du sie geweckt", empörte sich meine beste Freundin.
Zustimmend brummelte ich.
„Wie gesagt, das hatte ich ja auch vor!", giftete Julian.

„Was ist denn los?", grummelte es da neben mir.
Ach, Henry war auch noch da?
Das erklärte aber die Diskussion über Julis Lieblingsschlafanzug, diesen trug nämlich Henry, wie ich bei mehrfachem Blinzeln feststellen konnte.
Tatsächlich diente Henry mir schon wieder als Kissen, wurde mir bewusst.

Ups.

Konnte ja mal passieren, oder?
Wie war ich eigentlich überhaupt in mein Bett gekommen?
Mich musste irgendjemand in mein Zimmer getragen haben... Und da Juli sich gerade darüber beschwerte, dass sein Rücken weh tat, da er die ganze Nacht auf der Couch geschlafen hatte, weil niemand es für nötig gehalten hatte, ihn zu wecken und Clara gute zehn Zentimeter kleiner war als ich, blieb eigentlich nur noch einer übrig.
Henry.
Und Clara hatte es sich wohl in Julis Bett einquartiert, konnte ich heraushören.

„Leute, hört doch mal auf zu streiten! Es ist Weihnachten", griff ich schließlich ein.
„Ihr wisst schon, Fest der Liebe, des Friedens – na, klingelt was bei euch?"
Juli verzog zwar das Gesicht, aber gab dann doch nickend nach.
Auch Clara verdrehte die Augen und lenkte schlussendlich ein.

„Wenn das geklärt wäre, wäre ich für Frühstück", ergriff ich wieder das Wort.
Wie Entenküken dackelten mir die anderen Drei hinterher bis in die Küche.
Natürlich hatten die Diskussionen so viel Zeit geraubt, dass wir sehr spät dran waren und uns nicht mehr viel Zeit blieb.
Schnell zogen wir uns alle an, richteten uns einigermaßen präsentabel her – die meisten Leute dort in der Kirche waren eh schon so alt, dass sie nicht mehr gut sahen – und schlidderten den vereisten Weg zur Dorfkirche hinab.

„Wenn du es schaffst, die Kirche so einzuräuchern, dass nach dem Gottesdienst die Decke nicht mehr zu sehen ist, kriegst du zehn Euro", raunte ich meinem Bruder noch zu, ehe er in der Sakristei verschwand.
„Och nö, nicht das schon wieder", beklagte sich Clara.
„Kannst du dich nicht mal deinem Alter entsprechend verhalten?" Zu Henry gewandt erklärte sie: „Schon als Feli noch Ministrantin war, wollte sie die Kirche immer mit Weihrauch einräuchern. Diese Challenge hat sie jetzt an Juli weitergegeben, der ihr bestes Ergebnis natürlich toppen will."

Dies brachte Henry herzhaft zum Lachen. „Ihr seid echt unglaublich."
Ich blickte Clara nur mit großen Augen an: „Mein Klingelton auf deinem Handy sollte doch wohl alles sagen, oder?" Da meine beste Freundin mir das schon öfter spaßeshalber vorgeworfen hatte, hatte ich kurzerhand einfach „Act My Age" als meinen Klingelton eingestellt.
Irgendwie war das zu einem unserer Lieder geworden – und das schon vor langer Zeit, als wir noch gemeinsam die Schulbank drückten.

Leise ließen wir uns in der gleichen Kirchenbank nieder, wie immer.
Ja, bei uns hatte jede Familie ihre Stammbank in der Kirche, und wehe dem, der sich dort einfach niederließ.

„Wie kannst du den Weihrauchgeruch nur aushalten?", hustete Clara leise. Ich grinste nur schelmisch: „Ich war neun Jahre lang Ministrantin. Du darfst nur nicht zu viel auf einmal davon einatmen, dann geht es."
Auch Henry war da nicht so empfindlich, wie sich herausstellte.

„Ich habe auch ministriert. Aber wir waren halt verantwortungsvoller im Gebrauch von diesem stinkenden Zeug!", gab der Blondschopf neben mir zurück.
„Verantwortungsvoller? Ich erinnere mich an eine Ministrantin, die mit einigen anderen Ministranten die noch glühenden Kohlen in einen Busch geschmissen hat, weshalb fast die Kirche abgebrannt wäre", zwinkerte ich ihr zu.
Clara war zwar blond, hatte strahlend blaue Augen und sah allgemein aus wie das Engelchen höchstpersönlich, hatte es aber schon immer faustdick hinter den Ohren gehabt und war keinesfalls so unschuldig, wie sie oft wirkte.

„M-m-mir ist v-verdammt k-k-kalt, können wir heim?", bibberte Juli nach Gottesdienstende und hüpfte leicht auf der Stelle, was aber wohl nicht sehr erfolgreich war.
„Tja, hättest du halt mal einen dickeren Pulli angezogen, aber nein, der Herr wollte ja nicht", ach ja, große Schwester zu sein und Vorwürfe machen zu können war doch toll. Nichtsdestotrotz musste ich zugeben, dass es wirklich schon mal wärmer gewesen war. Freundlich wünschten wir noch sämtlichen Menschen, denen wir begegneten ein frohes Weihnachtsfest und machten uns auf den Weg ins Warme.

Henry verabschiedete sich von uns, nachdem er sich nochmals bedankt hatte.
Beinahe hätte ich ihm hinterhergeschaut, hätte nicht Juli mich ins Haus gezogen, wo wir dann Mama und Papa wieder trafen, Clara machte sich nun auch auf den Heimweg.

„Und, was gibt's Neues?", erkundigte ich mich neugierig.
„Nicht viel. Sophia und Tim haben für nächsten Monat eine Kreuzfahrt gebucht, Miriam hat sich eine neue Katze gekauft... Ach ja, Marions Mutter geht es nicht mehr so gut, es ist noch nicht klar, ob sie in ein Altersheim kommt oder ob Marion es mit ihrem Job schafft, sich auch noch um Petra zu kümmern", erzählte meine Mutter.
„Wie war euer Abend? Wer hat im Twister gewonnen?" Schwatzend und Tee trinkend machten wir uns es am Küchentisch gemütlich.
„Wann müssen wie eigentlich zu Oma und Opa losfahren?", fiel mir dann ein. „Wir haben noch Zeit", beruhigte mich meine Mutter.
„Und wenn wir etwas später kommen, ist das ja auch nicht schlimm", fügte sie dann noch an.

Einige Stunden später war auch das Familienessen vorbei, erleichtert ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und kramte mein Handy hervor.
Als ich sah, dass Henry mir geschrieben hatte, fing mein Herz sofort an, schneller zu schlagen. Na, was treibst du so?
Glücklich antwortete ich, woraufhin sich sofort eine Konversation entwickelte.

Nach dem Abendessen tauschten wir dann noch Geschenke aus, Juli setzte sich noch ans Klavier und stimmte einige Weihnachtslieder an.
Die Lieder, die er nicht konnte, sangen wir einfach a capella und ließen uns auch nicht davon stören, wenn ein Ton etwas schief war.
Diese Töne kamen zwar meistens von unserem Vater, doch an Weihnachten konnte man auch großzügig darüber hinwegsehen.
Ja, für ihn war es oftmals nicht leicht, in einer Familie zu leben, die ziemlich musikalisch und musikverrückt war.
Er mochte Musik zwar auch sehr gerne, aber selbst zu musizieren war nicht seine Stärke.

Den Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertags verbrachte ich in trausamer Dreisamkeit mit meinem Bett und meinem Handy.
Endlich hatte ich mal wieder Zeit, komplett sinnlose YouTube-Videos anzuschauen.
Über einigen Folgen Family Guy machten sich meine Gedanken aber selbstständig.

Was wohl Henry von mir dachte?

Ob er überhaupt mal an mich dachte?

Vermutlich schon, sonst hätte er mir ja nie geschrieben, oder?

Oder waren das vielleicht nur die allbekannte britische Höflichkeit und der Versuch, eine gute Nachbarschaft aufzubauen?

Aber zu einer guten Nachbarschaft gehörte ja definitiv nicht das Schlafen im gleichen Bett wie der Nachbar?
Und das schon gar nicht zweimal, nicht wahr?

Dazu kam, dass mir der gutaussehende, charmante Mann noch immer Rätsel aufgab, und das eigentlich in jeder verdammten Sekunde, die ich mit ihm verbrachte.
Seufzend rieb ich mir über die Stirn, während ich meine Aufmerksamkeit wieder meinem Handy zuwandte – und erstarrte.

Ein kleines Füllkapitel - ich hoffe, ihr habt Weihnachten gut überstanden und das bekommen, was ihr euch gewünscht habt;)
Meine liebe Cupcake, dir wünsche ich alles, alles Gute - du bist jetzt offiziell alt! <3



MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt