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Schließlich lösten wir uns doch aus dieser innigen Umarmung und widmeten uns unserem ursprünglichen Plan.
„Ich muss dich noch was fragen", begann ich dann, Harry blickte mich aufmerksam an. „In dem Mix sind auch einige Lieder von One Direction. Löschen oder drinlassen?"
„Lass sie ruhig drin, das geht schon klar. Aber jetzt zeig mal her", forderte der Lockenschopf neugierig. Grinsend scrollte er durch die lange Liste.

„Oh, Best Song Ever, das hab ich glaub schon mal gehört." Der Herr beliebte also zu scherzen, schmunzelte ich in mich hinein.
„Ja, soll von irgend so einer britischen Boyband sein, ursprünglich bestehend aus einem Mexikaner, einer Blondine, einem der gern mit Omas Lockenwicklern experimentiert und zwei, die mit L anfangen", ging ich darauf ein. Harry warf mir nur einen gespielt verletzten Blick zu und wandte sich dann wieder dem Mix zu. „Macarena? Süß. Und ernsthaft der Ketchup Song? Aber was ist denn bitte KIKA Tanzalarm?", las er die Highlights vor. „Das ist so ein Kinderlied, auf das wir immer abgegangen sind", gab ich leicht errötend zu. Tatsächlich fanden sich aber auch normalere Popsongs auf der Playlist, Katy Perry, Rihanna, Avril Lavigne und viele andere waren vertreten.
„Okay, Señorita muss auf jeden Fall hinzugefügt werden", beschloss ich. „Wie wäre es mit Don't Start Now?", schlug Harry vor.

Ich nickte, während ich mein Gehirn nach weiteren neuen Hits durchforstete.
Der Nachmittag endete damit, dass wir kichernd Macarena tanzten, Karaoke sangen – wobei wir die Lyrics, die wir nicht wussten, einfach mit Lalala ersetzen – und wie in jedem schlechten Highschoolfilm meine Haarbürste und mein Deo als Mikro benutzten.
Mit anderen Worten, wir lebten schon beinahe krampfhaft im Moment, versuchten, jeden Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft zu verdrängen und klammerten uns an die Gegenwart.

Die darauffolgenden Tage bekam ich Harry kaum zu Gesicht. Er meinte, er telefoniere hauptsächlich mit seinem Management, welches wollte, dass er unverzüglich wieder nach London kam.
Er hingegen hatte andere Pläne und wollte diese auf jeden Fall auch durchsetzen.
„Ich habe das Gefühl, ich weiß so langsam wieder wer ich bin, aber ich kann auf keinen Fall jetzt schon wieder zurück", vertraute Harry mir eines Abends an. „Ich würde daran vermutlich kaputt gehen."
Ich vergrub mich in meinen Büchern, blendete so gut wie alles außerhalb meines Zimmers aus und schaffte es, auch Harry aus meinen Gedanken zu verdrängen.

Ich wollte nicht in ihn verliebt sein.
Das konnte nicht gut gehen.
Aber wie, um alles in der Welt, sollte ich von ihm wegkommen?
Ich vermisste seine Stimme, wenn ich sie wenige Stunden nicht gehört hatte, erwischte mich selbst dabei, wie ich Interviews von ihm anhörte, nur um ihn reden zu hören, und Liedern lauschte, die er sang, nur um mich ihm nahe zu fühlen.
Jedes Kreuz, das ich sah, erinnerte mich an sein Tattoo und an seine Kette.
Jedes grüne Etwas ließ in meinem Geiste das Bild seiner wunderschönen Augen aufsteigen, mit deren Grün sich nichts messen konnte.
Ich vermisste ihn so unendlich, und das, obwohl er keine hundert Meter entfernt war.

Harry war meine persönliche Droge, und ohne es selbst zu merken, war ich von ihm abhängig geworden, wurde mir klar.
Dieses Gefühl hasste und liebte ich zugleich.
Ich liebte es, weil ich es bei ihm fühlte.
Und ich hasste es, weil es mich so unglaublich verletzlich machte.
Ich hatte nicht die Kraft, mein Herz schon wieder zusammenzusetzen, sollte Harry es mir auch noch brechen. Dazu waren die Narben noch zu frisch.

Bald schon war Silvester da.
Ich hatte den Entschluss gefasst, alles einfach auf mich zukommen zu lassen. Was sollte ich auch sonst tun?
Gefühle ließen sich nicht so leicht kontrollieren, mir blieb nichts als abzuwarten und Tee zu trinken. Also präparierte ich unser Auto mit Kuscheldecken, zog mir selbst einen dicken Pulli an und fuhr gemeinsam mit Harry zu Clara.

„I don't really really wanna fight anymore, I don't really really wanna fake it no more", „Play me like the Beatles, baby, just let it be", „So come on, put the blame on me!", schallte es durch das Auto. Ja, Harry hielt sein Versprechen und sang ebenfalls mit.
Bei Clara luden wir jede Menge Getränkekisten in den Kofferraum und setzten dann unsere Fahrt fort.
Mia lebte ebenfalls in einem relativ kleinen Dorf, das Gebäude, in dem wir uns trafen, lag aber etwas außerhalb.
Schon als Kinder hatten wir in der ehemaligen Scheune gespielt, hatten sie schließlich in den Sommerferien gemeinsam renoviert und jede freie Zeit dort verbracht. Auch wenn es dort keine Sanitäranlagen gab, hatten wir wenigstens Strom. Und wenn wir mal aufs Klo mussten, machten wir uns eben auf den kurzen Weg zu Mia nach Hause.
Die schönsten Nächte damals hatten wir dort verbracht, wir hatten dort gelernt, gespielt und uns so erwachsen gefühlt, da wir alleine dort bleiben durften.

Langsam bog ich auf den vertrauten Feldweg ein, bald schon tauchte vor uns das weiße Gemäuer auf.
In der Feuerstelle wenige Meter neben dem Eingang flackerte schon ein Feuer, und in die gefrorene Wiese hatte Mia einige Fackeln gesteckt und diese ebenfalls angezündet. Kaum hatte ich den Motor abgestellt, streckte Mia auch schon den Kopf aus der Tür und winkte uns freudig zu.
„Schön, dass ihr da seid! Soll ich euch beim Tragen helfen? Ich bin übrigens Mia", fügte sie hinzu, als sie Harry erblickte. Dieser stellte sich ebenfalls vor, dann verluden wir schnell die Getränke ins Haus.

„Wow", entfuhr es Harry, als er zum ersten Mal durch die Tür trat.
Stolz lächelnd blickte auch ich auf unser Refugium.
Vor einigen Jahren hatten wir in einer Ecke eine Art Tresen aufgestellt, welcher bei Anlässen wie dem heutigen als Bar diente, dahinter hatten wir sogar ein Regal aufgestellt. Einige, nicht zueinander passende Barhocker standen dabei, dieses Durcheinander verlieh dem Schuppen aber gerade seinen Charme.
Ungefähr die Hälfte des Raums war mit verschiedensten, ebenfalls wild zusammengewürfelten Sitzmöglichkeiten vollgestellt. Da gab es meine alte Couch, ein weiteres Sofa, ich wusste nicht mehr, wo wir das herhatten, Sessel, Sitzsäcke und auch einige Strohbuscheln, über die Mia nur einige Decken gelegt hatte.
Der Tisch dazwischen war eine Platte, welche wir mit Hilfe von Mias Vater an der Decke befestigt hatten. Es war immer ganz lustig, wenn sich die Leute daran lehnten und erschraken, wenn sich der Tisch auf einmal bewegte.

Die Boxen würde Joschi noch mitbringen, er war bis jetzt noch nicht aufgetaucht, deshalb war eine Ecke noch sehr leer.
Von einer schmalen Treppe, die nach oben auf den Dachboden führte, kam Selina herunter geeilt, welche mich in eine feste Umarmung schloss und dann Harry neugierig musterte.
„Du bist Henry, vermute ich mal? Ich bin Selina", lächelte sie dann auch ihn an.
Clara linste unterdessen in die großen Töpfe, welche sich schon neben den bereitgestellten Herdplatten befanden und quietschte erfreut auf. „Chili con und sin carne? Sel, Schatz, du bist die Beste, weißt du, wie lange ich das schon nicht mehr gegessen habe? Und dein Chili ist einfach das beste, das es gibt...", geriet sie ins Schwärmen.
Mia war unterdessen wieder davon geeilt.

Es tut mir leid, dass das Kapitel etwas kürzer ist, aber dafür kann ich euch versprechen, dass das nächste Kapitel ein bisschen besonders wird;)

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