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Draußen war es schon lange dunkel geworden, als ich mich endlich erhob.
Notdürftig versuchte ich, mein Haar zu bändigen, bevor ich noch einmal zu Juli ins Zimmer trat.

„Wünsch mir Glück", wisperte ich.
Mein Bruder, welcher konzentriert auf sein Smartphone gestarrt hatte, umarmte mich, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte eben so leise: „Ich weiß zwar nicht, was du vorhast, aber ich weiß, dass du es schaffen wirst. Ich glaub an dich. Und ich find's gut, dass du deinen Arsch hochgekriegt hast, nichts tun ist nämlich immer scheiße, egal worum es geht. Also, go girl!"

Schnell informierte ich noch meine Eltern, ich müsse noch weg, was diese nur mit einem Nicken und der Frage, ob ich das Auto nehmen würde, quittierten.
Als ich verneinte, meinte mein Vater nur, ich solle Henry schön grüßen, und Mama lächelte nur wissend.
Wenn die Beiden nur wüssten, flüsterte das Stimmchen in mir.
Doch bevor noch mehr Zweifel als eh schon vorhanden in mir aufkommen konnten, war ich auch schon zur Tür hinaus und stand vor dem alten Fachwerkhaus.

Ich atmete dreimal tief ein und aus, klingelte und wartete, bis Henry – oder Harry – mir öffnete. „Schön dich zu sehen", lächelte er.

Wie er da so vor mir stand, in Jogginghose und schlichtem T-Shirt, war ich der Meinung, noch nie jemand Schöneres gesehen zu haben.
In seinem Ausschnitt baumelte eine Kreuzkette, welche ich nun von vielen Fotos wiedererkannte.
Ich versuchte nicht zu lächeln, ich wusste, ich konnte nun kein Lachen vortäuschen.
Auch Henry/Harry schien zu bemerken, dass etwas mit mir nicht stimmte, mit einem Stirnrunzeln schob er mich in sein Wohnzimmer.

Nervös saß ich auf dem Sofa, pfriemelte an meinen Ärmeln herum und wich seinem Blick aus.
Der Lockenkopf hatte sich im Sessel gegenüber niedergelassen und blickte mich an.
Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, vielleicht war ich aber auch zu sehr mit der Frage, wie ich anfangen sollte, beschäftigt.
Zehn verschiedene Versionen schwirrten in meinem Kopf herum, für welche sollte ich mich nur entscheiden?
Hen- nein, Harry gab mir die Zeit die ich benötigte und saß einfach nur stumm und abwartend da.

Aus meinem Mund heraus flutschte allerdings die plumpeste aller Möglichkeiten: „Du bist Harry Styles."
Endlich schaute ich Harry an.
Ich sah genau, wie der Ausdruck der Resignation über sein Gesicht huschte, wie sich die Müdigkeit in seinen Augen widerspiegelte, bis sich eine Maske, die jegliche Gefühlsregung zu verschlucken schien, über seine Züge legte.

„Wer weiß alles davon?", selbst seine Stimme klang monoton.
„Niemand", meine Antwort kam hastig, fast zu hastig.
„Und was wirst du mit dieser Information anfangen?" „Nichts, schätze ich."
„Du könntest damit eine Menge Geld machen, wenn du dich an die Presse wendest", sein kalter Tonfall schnitt mir direkt ins Herz, doch ich ließ mich nicht beirren.
„Warum sollte ich das tun?" „Warum solltest du es nicht tun?" Ja, was hielt mich eigentlich davon ab? Warum wollte ich es nicht tun, warum widerstrebte es mir so sehr? Doch eigentlich wusste ich die Antwort auf diese Frage, ich musste sie nur noch aussprechen.
„Weil es unmenschlich wäre. Weil ich dachte, wir wären so etwas wie Freunde. Weil du mir in der kurzen Zeit, die wir uns kennen, wichtig geworden bist. Und weil all das so viel wichtiger ist als Geld." „Das ist ... bemerkenswert", Harrys Stimme klang immer noch nicht nach ihm selbst, war jedoch nicht mehr ganz so unterkühlt.
„Nein. Das ist eigentlich selbstverständlich.", stellte ich klar.
„Nicht in meiner Welt", murmelte er, zumindest glaubte ich, das zu verstehen.

Trotzdem beschloss ich, in diesem Moment nicht genauer darauf einzugehen.
„Du wirst also niemandem davon erzählen?", glücklich spürte ich die altbekannte Wärme in seiner Stimme.
Gleichzeitig nahm ich seine Hoffnung wahr, welche aber durch Bitterkeit abgeschwächt wurde. „Nein. Obwohl... Zwei Bedingungen hätte ich da", grinste ich schelmisch.
Harrys Kopf senkte sich leicht, schon allein diese traurige Geste tat mir so weh.
Schnell sprach ich weiter: „Ich möchte nie wieder von dir hören, dass du nicht singen kannst. Und wenn ich das nächste Mal komische Quietschgeräusche von mir gebe, bist du herzlich aufgefordert, mitzusingen. Dann komme ich mir nämlich nicht mehr ganz so seltsam vor."

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