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„Das trifft sich ganz gut, schätze ich", sanft zog Harry meine Hände von meinem Gesicht, welches ich darin vergraben hatte.
„Ich liebe dich nämlich ebenfalls." Ganz beiläufig sagte er das, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres.
Lächelnd zog er mich in seine Arme und wie von selbst fanden meine Finger ihren Weg in die dunklen Locken, als sich unsere Lippen zu einem Kuss vereinten.

„Ich muss dir noch was sagen", Harry schluckte schnell noch seinen Bissen herunter, bevor er weitersprach. Aufmerksam blickte ich ihn an. „Was denn?"
„Meine Mutter und Gemma würden dich gerne mal kennenlernen. Und auch meine besten Freunde...", unsicher spielte er mit dem Wasserglas. Schmunzelnd erwiderte ich: „Das war ja zu erwarten, wo ist das Problem?"
Mein Freund verzog etwas gequält das Gesicht, sodass seine Grübchen wieder einmal sichtbar wurden.

„Ja, aber ich wollte dich damit definitiv nicht überrumpeln. Aber als die Chaoten erfahren haben, dass wir beide hier sind, haben sie angekündigt, einfach vorbei zu kommen. Und das in drei Tagen. Tja, dann hat Mum mitgekriegt, dass die Jungs dich kennenlernen und meinte, sie wolle dich aber vor ihnen noch kennenlernen. Gems konnte sie nicht mehr bremsen, und deswegen sind die Beiden morgen Abend da.", Harrys Blick war entschuldigend.
Doch ich wiegelte schnell ab: „Hey, das ist doch wirklich nicht schlimm – im Gegenteil, ich freue mich darauf, Anne und Gemma mal zu treffen, du hast schon viel von ihnen erzählt. Ich hoffe nur, dass ich ihren Erwartungen auch gerecht werde."
Bestimmt verflocht ich meine Finger mit Harrys langen.

„Wieso solltest du bitte ihren Erwartungen nicht gerecht werden?", zwei grüne Augen blickten mich entrüstet an. „Weil... keine Ahnung", zuckte ich mit den Achseln. „Nein, im Ernst. Bitte sei ehrlich", Harrys Mimik wechselte in Sekundenschnelle zu besorgt.
„Ich weiß auch nicht. Was ist, wenn sie mich nicht mögen?"
„Dich kann man doch nur mögen", zärtlich küsste Harry meine Fingerknöchel. „Mach dir nicht so viele Gedanken."
Halbwegs beruhigt begann ich Harry zu küssen, welcher bereitwillig seine Arme weit für mich öffnete.

„Clara? Wo um alles in der Welt ist" „Deine Haarbürste?", amüsiert nippte Clara an ihrem Kaffee. „Nein, die habe ich. Wo ist mein BH?", hektisch rannte ich ins Wohnzimmer. Meine beste Freundin schaute mich fassungslos an. „Ist das dein Ernst?" „Ja, warum nicht?", eilig wühlte ich mich durch die Kissen und Decken, die auf der Couch lagen.
„Weil du ihn anhast, Schatz!", die Blondine konnte nur den Kopf über mich schütteln.
Schnell reichte sie mir Collegeblock, Kuli und Handy, bevor ich dies noch vergessen hätte. Während ich in meine Schuhe schlüpfte und meinen Mantel überstreifte, drückte sie mir auch noch einen Schirm in die Hand, während Vi uns belustigt beobachtete.
Heute stand auch Lynn wieder neben ihr, missmutig wie eh und je.

„Geht es dir wieder besser?", erkundigte ich mich höflich. „Ja, passt schon", Lynns Blick war dermaßen kalt, dass ich sofort von ihr abließ und stattdessen mit Violet plauderte.
„Sag mal, wer war das denn, der dich gestern heimgefahren hat?", neugierig ruhten Vis große Augen auf mir.

Allein beim Gedanken an gestern Abend breitete sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus.
Noch immer konnte ich Harrys Hände überall auf meinem Körper fühlen, ebenso seine Lippen... Wie ich mit meinen Fingern sämtliche seiner Tattoos nachgefahren war...
Die Leidenschaft in seinen Augen, die auch jegliche Faser meines Körpers erfüllt hatte...

„Feli! Pass auf!", rasch zog Violet mich beiseite, bevor ich über eine Hundeleine stolpern konnte. „Ups", vielleicht sollte ich nicht so sehr an Harry denken, sondern vielmehr aufpassen, wo ich hinlief.
Könnte möglicherweise ganz sinnvoll sein, stellte ich fest, als ich auch noch einer Straßenlaterne ausweichen musste. „Also, gestern Abend? Du, mysteriöses, schickes Auto? Und nein, ich stalke nicht, ich habe nur gerade zufällig die Blumen gegossen", auch Violet umrundete die Straßenlaterne erfolgreich.
„Mein Freund. Der, wegen dem ich hierher gezogen bin", antwortete ich schließlich, bemüht, nicht an das Spiel seiner Muskeln zu denken, sondern fokussiert zu bleiben.

„Ach so. Du, lernen wir ihn auch mal kennen?", Violets Neugier hatte wohl wirklich keine Grenzen.
„Mensch Vi! Wir kennen Feli erst seit wenigen Tagen, jetzt willst du gleich ihren Freund kennenlernen? Mach mal halblang!", mischte sich jetzt auch Lynn ein.
Ich hatte eigentlich gedacht, dass sie nicht einmal zuhörte, aber anscheinend interessierte es sie doch mehr, als es den Anschein hatte.
Vis Wangen färbten sich sofort zartrosa. „Tut mir leid, ich weiß, ich neige manchmal dazu, etwas, nun ja, voreilig zu sein", entschuldigte sie sich prompt. „Das ist nicht voreilig, das ist aufdringlich und unglaublich neugierig", Lynn rollte mit den Augen.

„Ist schon okay, ich werde es überleben", antwortete ich, um die arme Violet zu erlösen.
Diese seufzte erleichtert auf, hakte sich bei mir und Lynn ein und fing schon wieder an, weiterzuquasseln.
Lynn und ich tauschten einen Blick, und zum ersten Mal lag so etwas wie Einvernehmen zwischen uns.

Erschöpft schloss ich die Wohnungstür auf und schmiss meine Tasche in die Ecke.
Eigentlich sollte ich noch so viel tun, doch nach Stunden an der Uni wollte ich keine Buchstaben mehr sehen.

Und keine Zahlen.

Und keine Menschen.

Wie konnte ein Studium so zermürbend sein? Heute hatte ich erstmals gemerkt, wie anstrengend es sein konnte, nur englischsprachige Menschen um einen herum zu haben.
Der Dozent hatte keinen allzu starken Akzent gehabt, aber in einem solchen Affentempo geredet, dass ich schlicht nichts verstanden hatte.
Ehrlich, er hätte auch chinesisch sprechen können, ich wäre jetzt genau so schlau. Dazu waren einige technische Probleme mit dem rauschenden Mikrofon gekommen, weshalb ich irgendwann einfach aufgegeben hatte.
Überraschend nett war Lynn gewesen, die mir kommentarlos ihren Mitschrieb in die Hand gedrückt hatte, bevor sie in ihrer Wohnung verschwunden war.

Gähnend schmierte ich etwas Margarine in eine Pfanne, und gab eine Scheibe Brot und ein Ei hinein.
Nach wenigen Minuten verfrachtete ich das Ei auf das Brot und biss genüsslich ab.

„Wie kannst du so was essen? Das ist doch Fett pur", ähnlich wie ich schmiss auch Clara ihre Sachen nur in die Ecke. „Dir auch Hallo. Wie war's?", erkundigte ich mich.
„Frag nicht. Schrecklich. Da ist so ein Typ, ein gottverdammter Idiot", Clara schnappte sich mein Brot und biss herzhaft hinein. „Der gibt immer so bescheuerte Kommentare ab, zu allem, was ich tue. Und er sitzt mir auch noch genau gegenüber, sodass ich die ganze Zeit sein Gesicht sehen muss, verdammte Orchestersitzordnung", frustriert ließ sie sich auf einen Stuhl fallen.

Ohne weitere Worte zu verlieren stand ich auf, holte zwei Weingläser und eine Flasche, die Blondine vertilgte währenddessen mein Essen. Ich verkniff es mir aber, auch nur einen Kommentar abzugeben, wenn sie in dieser Stimmung war, ich war schließlich nicht lebensmüde.
Während ich es Clara überließ, die Flasche zu entkorken, machte ich mir ein neues Ei-Brot. Gemeinsam aßen und tranken wir und beschwerten uns über die Welt, wie gemein sie doch sein konnte.

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