40

76 3 0
                                    

Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, dass Violet und Lynn mich ignorierten, sobald sie mich sahen. 
Es tat weh, aber hey. Immerhin war ich nicht alleine. 
Ich hatte Clara und ich hatte Harry. Juli leistete mir per Handy Beistand, und eines Nachmittags überraschte mich eine Nachricht auf meinem Instagramprofil.

Hey, Harry hat mir erzählt, was passiert ist... Das tut mir extrem leid, wenn du mal jemanden halbwegs Objektiven zum Reden brauchst, kannst du dich gerne bei mir melden. Kopf hoch, lass dich von deinen Nachbarinnen nicht unterkriegen! Louis.

Damit hatte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. 
Vielleicht noch damit, dass Harry mit einem der Jungs darüber sprach, da diese ja ganz genau wussten, wie seine Situation war. 
Aber dass Louis mich einfach anschrieb? Und das auch noch mit einem unauffälligen, privaten Profil, das keinerlei Hinweise auf seine eigentliche Identität preisgab... 

Er ging dabei ein gehöriges Risiko ein, immerhin könnte ich rein theoretisch aller Welt kundtun, wer sich dahinter verbarg. 
Nicht, dass ich das tun würde, wir sprachen hier nur von theoretischen Möglichkeiten!

Einige Nachrichten später hatte sich herausgestellt, dass Louis wirklich gut im Zuhören und halbwegs objektiv sein war. 
Mit seinem ganz eigenen Humor brachte er mich wieder und wieder zum Lächeln, obwohl mir danach eigentlich gar nicht zumute war. 
Spätestens, als er mir ein Bild von angekokelten Nudeln mit dem Kommentar „Jetzt bin ich schon so lange erwachsen, schaffe es aber immer noch nicht, mich eigenständig zu ernähren... was läuft bei mir denn nur falsch? .-." schickte, begann ich ihn lieb zu gewinnen. 
Er war einer dieser Menschen, die es einem leicht machten, sie zu mögen. Und einen guten Freund mehr konnte ich im Moment weiß Gott gut gebrauchen.

Denn noch eine andere Sache ließ mich den Kopf zerbrechen. 

Harry. 

Obwohl ich ihm gesagt hatte, er solle sich keine Vorwürfe machen, tat er dies. 
Er war nicht mehr so unbeschwert, sondern eigentlich die ganze Zeit über angespannt.
Immer wieder diskutierten wir über Kleinigkeiten, konnten einen wirklichen Streit meist nur haarscharf umgehen. 
Bis heute. 

Harry hatte sich darüber beklagt, dass er bei seinem Auftritt im Radio die hohen Töne bei Sign of the Times nicht ganz getroffen hatte. 
Ich hatte nur versucht, ihn aufzumuntern und ihm klar zu machen, dass das doch kein Weltuntergang sei, bis er mir dann entgegengepfeffert hatte, ich verstünde doch eh nichts davon und hätte keine Ahnung von seiner Situation. 
Wieso ich mich nicht einfach auf die Sachen konzentrieren würde, von denen ich Ahnung hätte, und ihn nicht einfach mal in Ruhe lassen können. 
An der Stelle warf ich ihm dann vor, dass er ja mich eingeladen hatte, packte meine Sachen und ging. 

Eigentlich war mir ja klar, dass es nicht an mir lag. Sondern an all dem Frust, der sich in der letzten Zeit wieder angestaut hatte. 
Er konnte mich nicht einfach auf der Straße küssen oder meine Hand halten, es musste alles hinter verschlossenen Türen geschehen. 
In manchen Interviews wurden ihm so blöde Fragen gestellt, dass er eigentlich keine Chance hatte, ein gutes Gespräch zu führen, und das, obwohl er darin Profi war. 
Die versemmelten Töne waren also nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. 
Trotzdem hatte es weh getan. 

Erschöpft schlenderte ich durch die Straßen Londons. 
Wie immer waren viele Menschen unterwegs, die sich nicht von dem Dreckswetter aufhalten ließen. Schnelles Vorankommen war hier beinahe unmöglich, das hatte ich schon früh gelernt. 
Mit aller Kraft versuchte ich, meine aufkommenden Tränen zu unterdrücken, doch ich schaffte es kaum. 
Immer wieder wischte ich eine entflohene Träne weg, versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Im Grunde war das unnötig, da mich hier sowieso niemand beachtete. 
Die Menschen waren abgestumpft, auch die zahlreichen Obdachlosen waren für sie unsichtbar. Jeder achtete nur auf sich, man konnte schon froh sein, wenn man ein knappes „Sorry" zu hören bekam, nachdem man rüde angerempelt wurde. 
Wen sollten da also die Tränen eines einsamen Mädchens interessieren? 

Unaufhaltsam wurde mir klar, dass ich nicht hierhergehörte. 
Ich war kein Großstadtmensch, und schon gar kein Millionen-Stadt-Mensch. 
Zwar ging es mir hier gut, solange ich liebe Menschen um mich hatte, aber wer blieb mir denn hier noch außer Clara? Und deren Leben drehte sich nicht nur um mich, sie blühte im Orchester förmlich auf und übte beinahe Tag und Nacht. 

Ob meine Mutter jemals Zweifel gehabt hatte, als sie meinem Vater nach Italien gefolgt war? Und was sie mir jetzt wohl raten würde? 
Vermutlich so etwas wie „Krieg deinen Kopf aus dem Arsch und bieg es gerade. Egal, welches Gerade, aber gerade." 
Das würde ich auch. 
Nur musste ich mich noch entscheiden, welches Gerade ich wollte. 

Schniefend stapfte ich die Treppen nach oben, als sich gerade die Aufzugtüren öffneten. Grinsend und gut gelaunt stand Violet mir gegenüber. 
Ihre Lippen formten sich zu einem perfekten O, als sie mich so betrübt dastehen sah. 
Doch Violet wäre nicht Violet, hätte sie nicht gehandelt. 
Auch, wenn sie eigentlich sauer auf mich war und mich ignorierte, in diesem Moment umarmte sie mich einfach, schob mich in ihre Wohnung und stellte mir einen Tee und Kekse vor die Nase.

„Was ist denn passiert?", fragte sie dann. „Also nur, wenn du mir soweit vertraust", noch immer war ein etwas spitzer Unterton in ihren Worten, doch den ignorierte ich einfach mal. 
„Ich hab Stress mit meinem Freund", gestand ich dann. 
Vi hob nur eine Augenbraue, sagte aber nichts dazu. „Ja, er existiert. Und du kannst mir glauben, dass ich ihn euch auch vorgestellt hätte, aber das ist alles ein bisschen komplizierter, als du denkst", seufzte ich resigniert. 

„Ich verstehe einfach nicht, wieso das so kompliziert ist", erklärte mein Gegenüber leise. „Und es hat mich einfach ziemlich verletzt, dass du uns quasi nichts anvertraust." 
„Es tut mir leid", während ich sprach, zerbröselte ich einen der Kekse. 
„Ihr werdet es erfahren. Nach Möglichkeit bald, aber ich kann da nichts versprechen. Aber wenn ihr es wisst, werdet ihr verstehen, warum ich euch nichts sagen konnte." 

Violet legte den Kopf schief und hakte nach: „Ist er ein Mafiaboss?" 
„Gott, nein, warum fragt mich das jeder?", unwillkürlich musste ich schmunzeln. 
„Gut, das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ich nachts aus meinem Bett gezerrt und entführt werde, ist relativ gering. Dann bin ich mal beruhigt", auch Vi lächelte. 

Dann wurde es still. Keiner von uns wusste so genau, was er sagen sollte. 
Waren wir jetzt wieder Freunde? Ging das so schnell? Oder war noch immer Distanz angebracht? 
Wie es für sie typisch war, brach Violet das Schweigen. 
„Ach, komm her!", brummte sie, bevor sie mich in eine feste Umarmung zog. 
Diese erwiderte ich sofort, erleichtert und ein bisschen glücklicher. 

Wie es mit Harry und mir weitergehen würde, stand noch in den Sternen. 
Es lag bei ihm, denn er war mir jetzt wirklich eine Entschuldigung schuldig. 
Jeder konnte mal den falschen Ton erwischen, aber solche Worte konnte ich nicht so einfach vergessen und wegstecken.


Ein Problem ist mal halbwegs gelöst, dann kommt schon das Nächste... wird Harry sich entschuldigen? 

Sieht er ein, dass er Mist gebaut hat? 

Oder ist diese Beziehung schon zu Ende, bevor sie richtig durchgestartet hat? 

Ich versuche, morgen wieder ein Kapitel hochzuladen :)


MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt