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Als der Summer ertönte, drückte ich die Tür auf und trat ein. Im Flur angekommen, hörte ich auch schon lautes Gelächter und ein Rumpeln. 

„Neil, du kannst immer noch nicht zielen!", spottete eine mir unbekannte Männerstimme. Sie war verhältnismäßig hoch und etwas rau. 

„Pfff, ich habe extra so geworfen. Und nenn mich nicht Neil, wie oft denn noch?", kam prompt die Antwort. Das war wohl Niall gewesen, schlussfolgerte ich. 
Unterdessen war mir Harry entgegengekommen und begrüßte mich freudig mit einem Kuss. „Schön, dass du da bist", lächelte er mich an. 
„Es ist mir ein Vergnügen", schmunzelte ich, gespannt, was mich im Wohnzimmer erwarten würde. 

Dort rumpelte es nämlich immer mehr und mehr. „Erinnere mich bitte daran, das nächste Mal alle Kissen wegzuräumen, bevor die Jungs hier auftauchen", grummelte mein Freund halb amüsiert, halb verzweifelt. 
Alle Kissen wegräumen? 
Verwundert zog ich meine Stirn in Falten, doch als wir das Wohnzimmer betraten, ergab Harrys ominöser Kommentar Sinn. 
Die flauschigen Kissen flogen nämlich kreuz und quer durch die Luft, meist begleitet von höchst charmanten Kommentaren wie: „Also bitte, das war zehn Meter daneben!" „Selbst blind würde ich noch besser werfen als ihr!" und „Das kriegst du zurück du Hornochse!". Wie gesagt, höchst charmant. 

Die Drei waren so in ihre Kissenschlacht vertieft, dass sie nicht einmal bemerkten, dass wir im Türrahmen standen. 
Doch irgendwann schien es Liam – ich war mir zu etwa neunzig Prozent sicher, dass es Liam war – wieder einzufallen wo sie waren, denn er schlug sich die Hand vor den Mund und zischte: „Harry wird uns umbringen, wenn er das sieht!" 

Mit Das war das Wohnzimmer gemeint. Kissen lagen überall verstreut, Bilderrahmen waren umgeflogen und auch eine Vase hatte sich der Schwerkraft beugen müssen. 
Glücklicherweise waren Trockenblumen darin gestanden, weshalb kein Wasser verschüttet wurde. 
Doch die Blumen selbst hatten sich beim Aufprall pulverisiert und sahen nicht mehr so sehr nach, nun ja, Blumen aus. 
Vielmehr lag ein Häufchen Staub auf dem Parkett. 

„Wir räumen das einfach alles ganz schnell wieder auf, dann sieht er es nicht und es ist quasi nie geschehen", Niall sprang tatkräftig auf die Beine, packte einige Kissen und wollte diese wohl wieder auf der Couch drapieren. 
Dabei blickte er aber auf. 

„Oh oh", murmelte er, wurde blass und versuchte etwas hilflos, die Kissen hinter seinem Rücken zu verstecken. 

„Oh oh", gab auch Liam von sich, der Nialls Blick gefolgt war. 

„Oh – oh, hi, du musst Felicia sein", Louis konnte sich ein oh oh gerade noch so verkneifen. 
„Ja, ich bin Feli. Hat's Spaß gemacht?", den Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen. 

„Ja, schon... irgendwie. Ich bin Liam. Schön, dich kennenzulernen", Liam musste nun auch grinsen. Die ganze Situation war einfach zu absurd. 

„Und ich bin Niall. Genau, Niall, nicht Neil", mit einem drohenden Blick zu Louis stellte auch der Ire sich vor. 

„Warum verwüstet ihr immer meine Wohnung, wenn ihr da seid?", mit einem undefinierbaren Blick fixierte Harry die drei Männer. 
„Weil meine Wohnung auch immer verwüstet wird?", Louis war um keine Antwort verlegen. „Meine auch", stimmte Niall zu. 
„Und meine auch", Liam gab auch noch seinen Senf dazu. 

„Nein, das bei Liam war Bear!", verteidigte sich Niall sofort.
 „Ja, genau. Weil Bear ja auch damals schon laufen konnte. Geschweige denn an die hohen Regale rangekommen ist.", Liams genervtem Tonfall entnahm ich, dass diese Unterhaltung wohl schon öfter geführt worden war. 

„Und wer war es dann bei meiner Wohnung?", startete der Ire den Gegenangriff. 
„Der Wind", mischte sich Louis wieder ein. 
„Der Wind, genau", ungläubig starrte Niall den Anderen an. 
„Ja, das war so ein stürmischer Tag und wir hatten beide Fenster offen, da hat es eben durchgezogen." 

„Lassen wir diese Diskussion, bringt doch eh nichts", seufzte Harry schließlich, er hatte in der Zwischenzeit die Kissen wieder eingesammelt und die Fotos aufgestellt. 
Ich hingegen hatte etwas verloren dagestanden und fasziniert zugehört.
 „Setz dich doch einfach zu uns", auch Niall war diese Tatsache anscheinend aufgefallen. „Ja, wir beißen nicht", ergänzte Liam. 
„Außer Niall, wenn der hungrig ist, kann es manchmal gefährlich werden", kam wieder ein spöttischer Kommentar von Louis.

Kurze Zeit später hatten wir die zuvor bestellte Pizza in Empfang genommen und machten uns darüber her. Nachdem einige Zeit gefräßige Stille geherrscht hatte, brach Niall neugierig das Schweigen. 
„Und du bist also wegen Harry nach London gezogen?" „Ja. Aber auch nur, weil ich die Möglichkeit hatte, an einem Austauschprogramm meiner Uni teilzunehmen und ich mit meiner besten Freundin zusammenziehen konnte. Ich wollte ihm nämlich nicht wie ein Groupie planlos hinterherrennen." 

„Was studierst du eigentlich?", hakte Liam nach. „Psychologie", jetzt hatte das Verhör also begonnen. 
„Oh, das kannst du bei solchen Psychos wie uns sicher gut gebrauchen", grinste Louis. „Natürlich. Vor allem dich analysiere ich schon, seit ich hier bin", gab ich gespielt ernst zurück. „Tatsächlich? Was hast du denn über mich herausgefunden?" 
„Das kann ich dir nicht so direkt sagen, das würde deine zarte Psyche nicht überstehen", konterte ich geschickt. 

Dabei wurde mir klar, dass die Männer schon die ganze Zeit einfach normal wirkten. Sie waren selbstironisch und frotzelten einander beinahe durchgängig, doch das starke Band zwischen ihnen war unübersehbar. Jetzt verstand ich, was Harry damit gemeint hatte, dass diese Menschen seine Geschwister waren. 

„Doch, mich würde auch interessieren, was in Lous Kopf so vorgeht", Liam lehnte sich gespannt vor. 
„Pass aber auf, Feli ist gut darin. Manchmal trifft sie den Nagel echt auf den Kopf, das ist nicht immer gerade angenehm", warnte Harry noch, seine tiefe Stimme klang durch den Raum. 
„Und wenn ich falschliege, habe ich immer die Ausrede, dass ich ja noch studiere", spielte ich das alles etwas herunter. 

Ja, ich hatte alle hier natürlich beobachtet. 
Und wenn ich jetzt etwas über Louis sagen müsste... An ihm fiel vor allem auf, dass er relativ frech war. Er hatte immer einen Kommentar parat, und hielt diesen auch nie zurück. 
Da er eher klein war, er war immerhin ungefähr genau so groß wie ich, konnte dies eventuell darauf zurückgeführt werden. 

Vielleicht war das das innere Bedürfnis zu zeigen, dass er sich ganz gut selbst wehren konnte und viel mehr war als einfach nur klein. 
Auch seine zahlreichen Tattoos konnten zum Teil so erklärt werden. 

Trotzdem wurde auch deutlich, dass er, wenn er jemanden mal mochte, für diesen durchs Feuer gehen würde. Er spottete zwar viel, aber es war klar, dass er es nicht ernst meinte. 
Louis wusste genau, worauf er abzielen durfte und wo er besser kein Salz in die Wunde streuen sollte. Aber all das konnte ich ja schlecht sagen, oder? 

Umso dankbarer war ich Niall, der entweder mein Unbehagen gespürt hatte oder sich einfach nicht so für Psychologie interessierte und das Gespräch wieder auf andere Themen lenkte. 
Er wollte wissen, wie Harry und ich uns eigentlich kennengelernt hatten. 

Bereitwillig erzählten wir diese Geschichte, und Niall konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als er von dem Aufruhr erfuhr, welchen Harry in Kirchwald ausgelöst hatte, und das einfach nur, in dem er als Engländer hergezogen war. 

Liam stellte die wenigsten Fragen, beobachtete den Gesprächsverlauf aber haargenau. Nichtsdestotrotz wirkte er sympathisch, und wer konnte es ihm verdenken, dass die neue Freundin des besten Freundes erst einmal auf den Prüfstand gestellt wurde? 

Ich nicht, immerhin tat ich bei Clara jedes Mal dasselbe.


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