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Ich schlucke. Es tut mir weh, dass Roy so mit mir redet und dass er gerade jetzt den Kuss mit Lion erwähnt, unwissend, dass dasselbe heute noch mal passiert ist, gibt mir den Rest.

Ich stehe abrupt auf und sage weinend: "Wir sollten das Gespräch an diesem Punkt beenden. Wir tun uns gerade beide nicht gut."

Dann laufe ich Richtung Flur. Ich will gerade meine Sneakers über die Füße streifen, als Roy nach meiner Hand greift. Mit feuchten Augen steht er vor mir. Seine Unterlippe zittert leicht, während er sagt: "Bitte geh nicht, Malia. Lass mich jetzt nicht alleine."

Ich lasse meine Turnschuhe auf den Boden fallen und Roy zieht mich in eine innige Umarmung.

"Ich brauche dich doch, Malia", wimmert er.

"Okay, ich bleibe hier. Aber lass uns für heute nicht mehr darüber reden, ja?", bitte ich ihn und wische mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.

Er nickt und schiebt mich zurück Richtung Couch. Mich immer noch in den Armen haltend lässt er sich nieder, sodass ich halb auf ihm liege.

Wir liegen eine ganze Weile einfach nur zusammen da, ineinander verkeilt und still. Ich genieße seine Nähe und den Duft seines schweren Parfums.

Irgendwann steht Roy auf und geht zu der kleinen gläsernen Bar, die hinter dem Esstisch steht. Er nimmt eine volle Flasche mit einer bräunlichen Flüssigkeit und zwei Whiskey-Gläser und kommt wieder zu mir auf's Sofa.

"Ich glaube, ich muss mich jetzt betrinken", kommentiert er, während er das erste der beiden Gläser mit Schnaps füllt. Fragend hält er es mir hin und ich nehme es wortlos an. Auch ich habe gerade das dringende Bedürfnis, alles um mich herum zu vergessen und abzuschalten - und wenn das mithilfe eines Vollrausches funktioniert ist mir auch dieses Mittel recht.

Roy füllt das zweite Glas für sich selbst und kippt es in einem Zug herunter. Er füllt es gleich noch mal bis zum Rand und legt sich dann wieder zu mir. Wir kuscheln, hören ein bisschen Musik und trinken ein Glas Whiskey nach dem nächsten.

Ich mag eigentlich keinen Whiskey, aber mit jedem Schluck den ich nehme wird es erträglicher. Roy baut noch einen Joint, den wir gemeinsam rauchen, und der meine Sorgen letztendlich im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch auflöst und mein Hirn in Watte packt.

Auch Roy ist ziemlich angetrunken und wird irgendwann sentimental: "Stell dir mal vor, wir würden jetzt am Strand liegen, irgendwo, wo es richtig warm ist, Dubai oder so. Du wärst nicht mehr ganz so jung und deine Haut nicht mehr ganz so glatt, vielleicht hättest du schon die ersten zarten Lachfalten. Deine Haare wären von der Sonne ausgeblichen und deine Wangen leicht gerötet. Ich würde dir den Rücken eincremen und dann den Strand herunterlaufen bis zu der Stelle, wo die Wellen den Sand berühren und wo unsere beiden Kinder gerade in Badekleidung mit ihren kleinen bunten Plastikschaufeln eine riesige Sandburg bauen würden. Einen Jungen und ein Mädchen wolltest du, oder? Wie würden sie wohl heißen?"

Ich lächele bei den Bildern, die Roy mit seiner Erzählung in meinem Kopf hervorruft.

"Ich habe mir immer gewünscht, dass meine Tochter Emma heißt", sage ich nachdenklich.

"Emma", wiederholt er und ich mag, wie sich der Name aus seinem Mund anhört. "Klingt schön. Den Jungen könnten wir Henry nennen, wie Henry Maske, den mochte ich immer gerne als ich klein war."

Ich habe keine Ahnung, wer Henry Maske ist, aber der Name gefällt mir.

"Wie die beiden wohl aussehen würden?", sinniert Roy weiter.

"Hm?", frage ich verständnislos. Mit steigendem Pegel sinkt meine Auffassungssgabe zunehmend.

"Henry und Emma meine ich", erklärt er. "Emma hätte bestimmt auch so schöne dunkle Haare wie du und solche riesigen Augen. Henry wäre ganz hellblond, so wie Michel aus Lönneberga und genauso ein Lausejunge. Er wäre bestimmt so frech wie ich als Kind war und würde dir damit den letzten Nerv rauben. Und dann würdest du immer schimpfen, dass du dir das ja hättest vorher denken können, dass der Junge genau so wird wie ich. "Du bist wie dein Vater", würdest du immer sagen. Aber gleichzeitig wäre er so wahnsinnig niedlich, dass du ihm nie lange böse sein könntest. Und er würde seine Schwester immer beschützen, egal was kommt, so ein richtiger großer Bruder eben."

Durch die Vorstellung der schönen Familienidylle wird mir ganz warm um's Herz und in Kombination mit dem Schnaps und dem Gras führt es dazu, dass mir salzige Tränen über die Wangen laufen. "Das klingt echt traumhaft schön", schniefe ich.

Roy sieht mir eindringlich in die Augen und sagt leise: "Ich will nicht, dass das nur ein Traum bleibt, Malia. Ich will, dass das in fünf oder spätestens zehn Jahren Realität ist. Dass wir Eltern sind, dass wir glücklich leben und finanziell ausgesorgt haben. Wenn du das tun würdest, wäre das ein riesiger Schritt in die richtige Richtung. Wir würden uns beide so schnell wie möglich aus dem Rotlichtmilieu zurückziehen und uns nie mehr umdrehen."

Ich schlucke. Eigentlich wollte ich heute ja nicht mehr über dieses Thema reden, aber - ich weiß nicht ob es am Alkohol liegt - Roys Worte klingen irgendwie gerade so wahnsinnig schlüssig.

Was wäre dieses eine Opfer, dass ich bringen müsste, im Verhältnis zu dem Rest meines Lebens, den Roy sich um mich kümmern würde?

Wäre es wirklich zu viel verlangt, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, nach allem, was er für mich getan hat?

Die anderen Mädels in meinem Alter haben schon längst mit irgendeinem Idioten geschlafen, der mittlerweile nicht mal mehr ein Teil ihres Lebens ist - und die haben kein Geld dafür bekommen.

Was wäre also schon dabei?

"Hast du nicht gesagt, dass mein erstes Mal etwas ganz besonderes werden soll?", äußere ich noch einmal vorsichtig meine letzten Bedenken.

"Es wäre doch etwas ganz besonderes. Du würdest damit mein ganzes Leben retten und uns damit unsere gemeinsame Zukunft sichern. Ist das nicht besonders genug? Und wir können unser gemeinsames erste Mal danach einfach nachholen, ich überlege mir was schönes. Ich bin doch auch keine Jungfrau mehr, das macht es ja auch nicht schlechter oder wertloser oder?"

Ich reibe mir über meine müden Augen. "Irgendwie ja, du hast schon Recht..", gebe ich zu.

Ich dachte immer man bekommt erst am Tag nach dem Vollrausch einen Kater, aber mein Kopf dröhnt jetzt schon, als würde ein Hubschrauber direkt neben mir probieren zu landen.

"Ich könnte nicht damit leben, zu wissen, dass alles was wir uns gewünscht haben nur an Geld gescheitert ist, du etwa?"

Langsam schüttele ich den Kopf.

Was soll's.

Verbuchen wir das unter Jugendsünde.

"Okay, ich mache es."

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Meine Lieben,

Was sagt ihr zu diesem Kapitel?

Wie findet ihr es, dass Malia das wirklich machen will?

Und denkt ihr, sie zieht es durch?

A.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt