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Auch während meiner heutigen Schicht im Mirage kreisen meine Gedanken immer wieder um das Gespräch mit Joana und ihre Idee, dass ich beruflich im Mirage tanzen soll. Ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken und je länger ich hin- und her überlege, desto sinnvoller erscheint mir das.

Ich habe jetzt schon für meine Verhältnisse unglaublich viel Geld, aber in mir festigt sich der Wunsch, mein volles Potenzial auszuschöpfen und so viel Geld wie möglich mitzunehmen, um mir selbst eine gute Zukunft zu ermöglichen.

Ich möchte studieren, ich möchte sorgenfrei leben und auf eigenen Beinen stehen. Wenn ich jetzt so einfach mit meiner Leidenschaft, dem Tanzen, den Grundstein dafür legen kann - sollte ich die Gelegenheit dann nicht einfach beim Schopfe packen?

"Kann ich noch eins haben?", reißt mich eine freundliche Männerstimme aus meinem Gedankenkarussell.

Ich hebe ruckartig den Kopf und starre in zwei hellbraune Augen, die mich aufmerksam mustern.

Mein Blick gleitet zu dem Glas in seiner Hand und wieder zurück in sein Gesicht. "Sorry, Diar, kannst du mir noch mal sagen, was du hattest? Ich bin heute irgendwie mit meinen Gedanken woanders", gebe ich ehrlich zu.

Wir sind dazu angehalten, die Gäste wenn möglich mit ihrem Vornamen anzusprechen, um eine gute Beziehung zu ihnen zu erschaffen.

Laut Roy ist erwiesen, dass Menschen, die ihren Namen mehrfach im Gespräch hören, sich beachtet, wertgeschätzt und geschmeichelt fühlen.

Den jungen Albaner mir gegenüber habe ich schon öfter hier gesehen. Er ist Ende zwanzig und hat kurze dunkelblonde Haare und einen gepflegten Dreitagebart. Er ist stets höflich, aber auch ein wenig frech, weshalb er mir mit seinem verschmitzten Lächeln im Gedächtnis geblieben ist - im Gegensatz zu seinem vorherigen Getränk.

"Ein Pils bitte", bestellt er höflich und reicht mir sein leeres Glas.

"Setz dich ruhig, ich bring dir das zum Tisch", biete ich ihm an, doch er lehnt ab. "Ach was, ich warte und nehme das dann selbst mit."

Ich zapfe ihm ein Bier und er fragt grinsend: "Wo bist du denn heute mit deinen Gedanken? Ich bin doch hier."

Er entlockt mir tatsächlich ein Lächeln. "Ich muss eine Entscheidung treffen und die liegt mir ziemlich schwer im Magen."

"Ich weiß zwar nicht worum es geht, aber auf Albanisch sagen wir: Degjo shtate a tete dhe perseri bej si di vete. Das heißt so viel wie: "Bitte sieben oder acht Leute um Rat und mache es dann so, wie du es willst." Vielleicht hilft dir das ja."

Dankbar lächele ich ihn an.

Meistens ist es echt bereichernd, wenn ich mich mit unseren Gästen unterhalte. Der Großteil von ihnen ist höflich, nett und gebildet und ich mag die kulturelle Vielfalt, die sie mitbringen.

Da Samstag ist, muss ich wieder bis in die frühen Morgenstunden arbeiten.

Am Wochenende ist die Arbeit am härtesten, da die Männer meistens in Gruppen kommen. Noch dazu fließt der Alkohol in Strömen und betrunken und in der Gruppe sind sie alle mutiger, leichtsinniger und aggressiver - nicht nur uns Frauen gegenüber, sondern vor allem untereinander. Auch heute gab es drei kleinere Schlägereien oder größere Streitereien, die von der Security geklärt werden mussten.

Als Roy mich um halb sechs morgens nachhause fährt, halte ich es nicht länger aus und entscheide mich kurzentschlossen die Gelegenheit unter vier Augen zu nutzen, um ihm meine Überlegung mitzuteilen.

"Roy, ich muss mir dir reden", beginne ich ernst und sichtlich nervös. Roy sieht kurz von der Straße auf und wirft mir einen schnellen Seitenblick zu.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt