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Ich traue mich nicht, mich zu bewegen. Ich halte inne und versuche erfolglos meinen viel zu schnellen Atem zu regulieren.

Lions Lippen sind mir so nah, dass ich sie auf meinen schmecken kann, und als er gerade die letzten Millimeter zwischen uns überwinden will, fliegt die schwere Tür der Bibliothek schwungvoll auf und knallt gegen die Wand.

Ich zucke erschrocken zusammen und weiche instinktiv zurück. Clemens und Jonah kommen trampelnd und lautstark diskutierend herein.

Was ist da gerade passiert?

Haben wir uns wirklich fast geküsst?

Ich speichere das Dokument und ziehe meinen USB-Stick aus dem PC. Mit einem Knopfdruck fahre ich den PC runter und schiebe den Stuhl ruckartig zurück.

Hals über Kopf schmeiße ich mein Zeug in meine Tasche, lasse die Bücher unachtsam auf dem Tisch zurück und stottere: "Sorry, ich muss los. Macht's gut."

Lion sieht mich irritiert aus seinen großen grünen Augen an. Ich sehe den Schmerz in seinem Blick, und das versetzt mir einen Stich, doch mein Fluchttrieb ist zu stark.

Gedankenlos stürme ich aus der Bibliothek und stolpere über den Flur.

"Was war das denn jetzt?", höre ich Jonah fragen. "Was soll das schon gewesen sein, Bruder. Das selbe wie immer. Wir kommen uns nah, und dann verschwindet sie von der einen auf die anderen Sekunde und distanziert sich wieder komplett von mir."

Ich halte inne und drücke mich hinter einen Wandvorsprung. Ich bin zu neugierig, was er noch über mich zu sagen hat.

"Ganz ehrlich, Lion, du musst endlich von ihr ablassen. Das wird nix. Bella sagt, sie zieht sich komplett zurück, seit sie diesen komischen Typen da am Start hat. Sie spielt doch nur mit dir. Das hat sie schon, bevor sie diesen Roy hatte", höre ich Jonah auf ihn einreden.

Genervt verdrehe ich die Augen. Wenn ich heute noch ein einziges Mal Bellas schlaue Meinung hören muss, kotze ich.

"Nein, sie spielt nicht mit mir. Da ist was zwischen uns, das spüre ich", widerspricht Lion mit sanfter Stimme.

"Du verrennst dich da in etwas, Bruder, glaub mir", entgegnet Jonah beharrlich.

"Ich kann nicht von ihr los lassen, aber sie kommt auch nicht von mir los. Unsere Wege kreuzen sich immer wieder, wir ziehen uns an wie Magneten", ertönt wieder Lions Stimme, die sowohl von Überzeugung als auch von Verzweiflung erfüllt ist.

Es tut mir weh, ihn so zu hören. Ich beende das heimliche Lauschen und laufe mit schweren Schritten davon.

Mein Handy verrät mir, dass es bereits 14.45 Uhr ist. Es kann also nicht mehr lange dauern, bis Roy mich abholt.

Das ganze hin und her mit Lion macht mich fertig und ist unfair. Meine Gedanken und mein Herz sollten voll und ganz bei Roy sein. Er hat so viel für mich getan. Er hat mich bei sich aufgenommen und sich um mich gekümmert, als ich alles verloren habe. Er hat mich überhaupt erst gerettet. Es ist furchtbar undankbar von mir, dass es trotzdem immer wieder diese Zwischenfälle mit Lion gibt.

Während ich zur Schultür laufe, nehme ich mir vor, mich von nun an wirklich von Lion fernzuhalten - nicht nur physisch, sondern auch emotional.

Als ich die Tür aufstoße, sehe ich Roy, der schon auf mich wartet und mich beschleicht das ungute Gefühl, dass er extra früher gekommen ist, um mich zu kontrollieren. Lion ist ihm ein Dorn im Auge und er lässt keine Gelegenheit aus, mir das klar zu machen.

Ich wünschte, er würde falsch liegen.

Ich zwinge mir ein Lächeln auf und öffne kraftlos die Autotür.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt