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Nach der Aussprache mit Lion kam es in der folgenden Woche kein einziges weiteres Mal zu irgendwelchen Streitereien. Lion und ich waren schon immer auf einer Wellenlänge und verstehen uns mittlerweile blind.

Wir albern herum, lachen miteinander, teilen unsere Ängste, sorgen füreinander, beschützen und unterstützen uns. Wir hören dieselbe Musik, mögen dieselben Filme und das gleiche Essen.

Manchmal verfluche ich mich selbst dafür, nicht schon damals erkannt zu haben, wie perfekt wir zueinander passen. Vermutlich hätte mir das viel erspart.

Endlich jeden Tag nur das zu tun, was ich tun will und jeden Abend neben Lion einzuschlafen ist Balsam für meine einst so geschundene Seele, auch wenn ich mir eingestehen muss, dass die Zeit als Prostituierte mich mehr traumatisiert hat, als ich dachte, sodass ich mich dazu entschlossen habe, eine Therapie zu beginnen.

Zeitgleich suchte ich mir gleich in der ersten Woche einen Nebenjob als Kellnerin in einem Bistro direkt am Rhein, unweit von Lions Elternhaus entfernt, um wieder eine Aufgabe und wenigstens ein kleines eigenes Einkommen zu haben. Ich sympathisierte auf Anhieb mit den jungen Inhabern und konnte beim Probearbeiten durch meine Erfahrung im Service des Mirage und auch durch meine ausgeprägte Menschenkenntnis überzeugen.

Außerdem beschloss ich einen Teil meines "Ersparten" dazu zu nutzen, meinen Führerschein in einem vierzehntägigen Crash-Kurs zu machen, um noch unabhängiger zu werden.

Ich bin froh, als das Wochenende gekommen ist und Lion daher nicht zur Uni muss. Er hat nach dem Abitur angefangen Jura zu studieren, was ihm aufgrund seines einwandfreien Abiturs problemlos und ohne Wartezeit möglich war.

Dieses Wochenende sind Lions Eltern für einen Kurztrip mit Javier an die Mosel gefahren, sodass Lion und ich das riesige Haus ganz für uns alleine haben und als er mir Samstagmorgen eröffnet, dass er am Abend eine Überraschung für mich hat, freue ich mich wie ein Schneekönig.

"Mach dich schön", ruft er mir grinsend hinterher, als ich am späten Nachmittag ins Badezimmer verschwinde, um mich fertig zu machen.

"Was hast du denn vor?", quetsche ich ihn neugierig aus, doch egal wie sehr ich bettele und bohre, Lion lässt sich nicht erweichen und behält sein kleines Geheimnis vorerst für sich.

"Ich bin mal kurz im Garten, ich muss noch was vorbereiten, okay? Komm aber nicht runter", ruft er durch das Treppenhaus, als ich mir gerade einige Wellen in meinen braunen Longbob drehe.

"Okay", antworte ich geduldig, auch wenn die Neugier mich fast zerreißt.

Es dauert eine gute halbe Stunde bis er mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht wieder im Dachgeschoss auftaucht. Mittlerweile bin ich fertig geschminkt und gestylt und probiere mich gerade durch meine Kleider.

"Wie findest du das hier?", frage ich Lion und drehe mich in einem kurzen schwarz weiß gestreiften Kleid vor ihm hin und her.

"Du siehst toll aus", antwortet er lächelnd und drückt mir einen liebevollen Kuss auf die Lippen.

"Okay, dann lasse ich das an. Oder findest du das mit den Blumen besser?", hake ich noch einmal nach und halte ihm ein anderes, bunt gemustertes Kleid unter die Nase.

"Ist doch egal", erwidert er schulterzuckend. "Du siehst in allem toll aus. Jetzt komm, ich will dir was zeigen."

Ich hänge das andere Kleid wieder ordentlich auf und folge ihm die Treppen herunter bis ins Erdgeschoss. Am Fuße der Treppe nimmt er meine Hand und hält mich kurz auf. "Kannst du die Augen zu machen?", fragt er grinsend.

Ich bejahe, schließe die Augen und lasse mich von ihm raus führen.

"Okay, du darfst die Augen wieder auf machen", erklärt er aufgeregt. Langsam öffne ich die Augen und stehe in einem Lichtermeer. Auf den Tischen stehen mehrere brennende Kerzen und an den Mauern und in den Bäumen hängen Lichterketten und cremeweiße Lampions. Die Loungemöbel aus grauem Rattan wirken durch zahlreiche cremefarbene Kissen einladend und gemütlich und der kleine Tisch ist mit Gläsern, Besteck und Geschirr ausstaffiert.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt