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Lion und ich fahren mit seinem chromgrünen Mercedes AMG GT vom Rouge aus zu der kleinen Wohnung, in der ich die letzten Monate gelebt habe.

Ich hänge meinen Gedanken nach und kann gar nicht glauben, dass das wirklich das Ende meines Martyriums sein soll.

Habe ich es echt geschafft? Habe ich meine persönliche Hölle überlebt?

Oder ist das alles nur ein Traum, aus dem ich gleich aufwache, um wieder arbeiten zu gehen?

Ich kneife mir fest in den Unterarm, ramme meine langen rosa lackierten Nägel mit voller Kraft in das Fleisch und atme erleichtert auf, als ein stechender Schmerz meinem Arm durchfährt.

"Das ist kein Traum", bestätigt Lion leise, der mich scheinbar beobachtet hat.

"Ich kann es gar nicht glauben", wispere ich.

"Ich weiß, Mali. Ich auch nicht so recht."

Ich habe so lange darauf gewartet und gehofft, Roys Fängen zu entkommen und stattdessen bei Lion zu sein, doch jetzt wo es wahrhaftig so weit ist, hat es nichts mit meiner Vorstellung zu tun. Kein Feuerwerk, keine Raketen und keine lauten Engelschöre, stattdessen tausend Fragezeichen, Angst und Unsicherheit.

"Wo soll ich denn jetzt überhaupt hin?", ist die erste Frage, die ich mich zu stellen traue, als Lion mir in der Wohnung angekommen hilft meine Kleidung zusammen zu legen.

Er schmeißt das T-Shirt, welches er gerade in der Hand hält, achtlos aufs Bett und tritt vor mich. "Zu mir, Malia. Du kommst erst mal mit zu mir. Wenn du möchtest suchen wir dir eine eigene Wohnung, aber wenn es nach mir geht, kannst du gerne für immer bei mir bleiben."

Seine Stimme ist ruhig und melodisch und hat auf mich seit jeher eine beruhigende Wirkung. "Ich glaube dir sogar, dass du das so siehst, aber was ist denn mit deinen Eltern? Die kennen mich ja nicht mal. Die können sich bestimmt Schöneres vorstellen, als eine Fremde bei sich wohnen zu haben", gebe ich zu bedenken.

Lion nimmt meine Hände in seine und sieht mich eindringlich an. "Du bist keine Fremde, Malia. Du bist meine Freundin, das Mädchen was ich liebe und meinen Eltern ist es tausend Mal lieber, dass du bei uns bist, als wenn du auch nur eine Stunde länger bei Roy bleibst."

Erschrocken sehe ich ihn an. "Sie wissen also Bescheid?"

"Meine Mutter wusste schon lange von dir. Sie wusste, dass ich in dich verliebt bin und dass du mich nicht wolltest. Ich habe ihr auch erzählt, dass du dann plötzlich einen neuen Freund hattest. Dann habe ich ganz lange nichts mehr erzählt, aber sie haben bemerkt, dass es mir immer schlechter ging und nachdem mein Dad dich dann in Amsterdam in meinem Hotelzimmer angetroffen hat, haben die beiden mich zur Rede gestellt", erklärt er.

Fragend sehe ich ihn an und reibe mir nervös die Hände. "Sie haben mich gebeten, ihnen die Wahrheit zu sagen. Schon seit meiner frühesten Kindheit haben sie mir eingebläut: "Nichts ist so schlimm, dass man nicht darüber reden kann." Sie haben gesagt, dass sie immer hinter mir stehen, aber dass sie sich um mich sorgen und wissen wollen, was los ist."

Nachdenklich nicke ich. Es ist so schön, wie Lion von dem Verhältnis zu seinen Eltern spricht und wie er sie beschreibt: interessiert, in sein Leben involviert, unterstützend, er vertraut ihnen, redet mit ihnen über Probleme. Was hätte ich für so ein warmes Zuhause gegeben.

"Und dann hast du ihnen gesagt, dass ich Anschaffen gehe, weil ich dumm genug war, auf den falschen Typen reinzufallen und sie haben dir geraten dich bloß von mir fernzuhalten?"

Lion atmet tief durch und verdreht kurz die Augen. "Weder das eine noch das andere. Du bist nicht dumm. Du wurdest zum Opfer, weil er dich belogen, manipuliert und deine aussichtslose familiäre Situation ausgenutzt hat. Und meine Eltern.. Was hast du eigentlich immer für ein Bild von denen im Kopf? Du denkst auch die beiden sind arrogante reiche Snobs, mein Vater im rosanen Poloshirt den ganzen Tag beim Golfen und meine Mutter mit einem Glas Champagner unserer Haushälterin Kommandos durchs Haus rufend, oder was? Du hast ein völlig falsches Bild von ihnen, genau so, wie du ein völlig falsches Bild von mir hattest. Du hattest damals Angst, dass ich nicht mit dir zusammen sein will, weil du aus schlechten finanziellen Verhältnissen kommst, dabei bist du die Einzige, die ständig Vorurteile hat. Hör doch auf, immer vom Schlimmsten auszugehen, Malia!"

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt