Rot wie die Liebe

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Ich öffne zuerst sein Profilbild und studiere andächtig jeden Pixel des kleinen Quadrats.

Das Bild zeigt Roy in seinem schwarzen Sportwagen, mit dem er mich auch heute Nacht nachhause gebracht hat.

Er trägt ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Armen, seine auffällige Uhr am Handgelenk und in einer seiner tätowierten Hände hält er eine Zigarette. Er grinst selbstsicher in die Kamera und seine schönen Augen sind sehr zu meinem Leidwesen von einer großen verspiegelten Sonnenbrille verdeckt.

Nervös öffne ich seinen Verlauf.

04:27 "Schlaf gut. Hat mich gefreut, dich kennen zu lernen 😉"
13:57 "Bist du etwa so lange am schlafen? 🤔"

"Hey", setze ich in das Antwortfeld, da mir nichts besseres einfällt und er kommt sofort online.

Hat er etwa auf mich gewartet?

"Guten Morgen, Kornröschen", antwortet er nur Sekunden später und entlockt mir damit ein lautes Lachen. Kornröschen, ernsthaft?

"Guten Morgen 😂", schreibe ich zurück.

"Was machst du heute?"

Was soll ich schon machen. Es ist Wochenende, und ich hasse Wochenenden.

Klar, ich liebe es auf Parties zu gehen und danach auszuschlafen, aber ich hasse es, wenn mir der Alltagsrhythmus fehlt, da keine Schule stattfindet.

Und noch mehr hasse ich es, zuhause zu sein. Ich hasse dieses Zuhause, welches keines ist.

Deshalb versuche ich immer, so gut es geht, die Zeit außerhalb zu verbringen -  ob mit Freunden, in Discos oder Clubs - hauptsache weg und im besten Fall noch etwas angetrunken, so dass mein Hirn in Watte gepackt ist und meine Sorgen für ein paar Stunden zwar nicht komplett verschwinden, aber doch deutlich in den Hintergrund rücken.

"Ich weiß noch nicht. Vielleicht treffe ich mich mit Freunden, und du?", antworte ich deshalb Wahrheitsgemäß.

"Ich hole dich um 16 Uhr ab. Das schaffst du doch, oder?"

Ich checke automatisch die Zeit. 14.05 Uhr. Das würde ich schaffen. Aber wieso zur Hölle will er mich abholen?

Sein Interesse an mir gibt mir einfach immer noch und immer wieder Rätsel auf.

"Und dann?", frage ich, um sowohl seine Absichten abschätzen zu können als auch mir etwas Zeit zu verschaffen, um zu entscheiden, ob das eine gute oder eine schlechte Idee ist.

So sehr er mich auch anzieht, so heiß er ist und so gerne ich einen kleinen Ausflug mit ihm in seine Welt wagen würde - so sehr läuten auch meine Alarmglocken und die Stimme in meinem Kopf rät mir dringend, mich von ihm fern zu halten.

Typen wie er bedeuten safe immer Ärger.

Zudem kommt hinzu, dass ich mich wie auch schon bei Lion frage was Roy ausgerechnet von mir will?

Lion ist wenigstens in meinem Alter und auch wenn er in gut betuchten Verhältnissen lebt, so ist sein Standard deutlich bodenständiger als Roys.

Wenn Lion schon andere Mädchen haben könnte, könnte Roy das gleich zehn mal.

"Dann unternehmen wir was. Lass dich überraschen. Bis gleich."

Ich schmiss mein Handy seufzend auf die hellblaue Bettdecke. Tolle Aussage. Das hilft mir so sehr weiter. Nicht.

Und was bitte zieht man überhaupt zu einer überraschenden Unternehmung an?

Stirnrunzelnd finde ich mich kurz darauf vor meinem spärlich bestückten Kleiderschrank wieder; wohl wissend, dass ich nichts habe, was Roys Liga auch nur annähernd entsprechend würde.