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Als Joana gerade die Tür des Hotelzimmers hinter uns ins Schloss ziehen will, greife ich nach der Hand meiner Freundin und frage sie erschrocken: "Scheiße, Joana, wie wollen wir denn fliegen? Du hast doch gar keinen Pass!"

Ich sehe schon all unsere Träume wie Seifenblasen zerplatzen, doch Joana knallt entschieden die Tür zu und antwortet gelassen: "Na und? Ich bin hier in Deutschland gemeldet und bin rumänische Staatsbürgerin. Die werden mich ja wohl in meine Heimat reisen lassen, ist doch sowieso nur innerhalb des Schengen-Raums. Auf unserem Flug hierhin hat das ja auch wunderbar geklappt."

Ich habe keine Ahnung von Pässen, Visa und Ausreisebestimmungen. Ich bin eine Deutsche, die bis vor wenigen Monaten noch nicht mal Nordrhein-Westfalen, geschweige denn Deutschland jemals verlassen hat und so bin ich gezwungen Joanas Optimismus zu vertrauen und das Beste zu hoffen.

"Sollte es nicht klappen, können wir immer noch statt nach Bukarest zurück nach Düsseldorf fliegen und niemand wird es je erfahren", überzeugt Joana mich und zieht mich mit sich zum Ausgang des Hotels.

Die Taxifahrt mitten in der Nacht verbringen wir schweigend und hängen beide unseren Gedanken nach.

Immer wieder überdenke ich meine Entscheidung erneut. Ich bin mir so unsicher, ob ich das Richtige tue, aber es ist auf jeden Fall das, was ich will.

Besonders unsicher werde ich, als mein Handy vibriert und ich eine Nachricht von Roy bekomme: "Baby, seid ihr zurück im Hotel?"

Ich zögere einen Moment, aber wische dann die Nachricht weg.

Ich will einfach nur so weit wie möglich von Roy und all diesen Erfahrungen, auf die ich gut hätte verzichten können, wegkommen.

Ich halte das alles nicht mehr aus.

Jetzt oder nie.

Am Flughafen fragen wir uns zu einem Schalter der Tarom Airline, einer rumänischen Fluggesellschaft, durch. Die junge Frau am Schalter mit den perfekt geschminkten roten Lippen lächelt Joana freundlich an und unterhält sich mit ihr auf rumänisch.

Ich verstehe kein Wort, gehe aber davon aus, dass sie ihr Anliegen vorbringt, Tickets kaufen zu wollen. Die Frau am Schalter tippt engagiert auf dem Computer herum und sagt dann auf Deutsch: "Der nächste Flug nach Bukarest zum Henri Coanda Airport geht in der Früh um 8.25 Uhr. Es gibt noch genügend Sitzplätze und ein One-Way-Ticket in der Economy Class würde sie 137€ pro Person kosten."

Ich checke die Uhrzeit auf meinem Handy und sehe, dass Roy mich angerufen hat.

Es ist 2.39 Uhr und somit noch gute sechs Stunden bis das Flugzeug abheben wird. Sechs Stunden. Genau die Entfernung von Düsseldorf nach München.

Wir haben es also fast geschafft.

Wir buchen die Tickets, wofür die hübsche Dame unsere Daten abgefragt hat und halten wenig später zwei druckfrische Flugtickets in den Händen.

HERZOG/MALIA MRS
LUPEI/JOANA MRS

Jetzt haben wir es schwarz auf weiß.

Wir bedanken uns bei der Dame und bringen die Sicherheitskontrollen hinter uns. Da wir für die zwei Nächte in München nur mit Handgepäck gereist sind, haben wir auch jetzt keine Koffer zum Aufgeben und streifen ziellos durch den menschenleeren Flughafen.

Wir kaufen uns überteuerten Kaffee und trockene Brötchen und fantasieren darüber, was wir in Zukunft so machen werden.

"Ich will einfach nur Lucian in den Arm nehmen. Er ist so groß geworden. Ich hoffe, er erkennt seine Mami überhaupt noch. Er hat mich das letzte Mal gesehen, als er gerade ein paar Monate alt war", erzählt sie traurig. Dann zieht sie ihr Handy aus der Tasche und zeigt mir ein Bild.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt