Kapitel 43 „Familie geht vor"

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„Ich hab Geld, aber keine echten Freunde."
~Miskin
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Nervös hatte ich mich an Hussein's Hand geklammert und starrte auf die Klingel. „Tut mir leid." Murmelte ich zum dem Libanesen neben mir, der mich geduldig ansah.

„Lass dir Zeit. Klingel erst, wenn du bereit dazu bist."

Dankbar lächelte ich ihn an, ehe ich meinen ganzen Mut zusammen nahm und auf die Klingel drückte. Eine leichte Gänsehaut zierte meinen Körper, als ich die schwache Stimme meiner Mutter hörte. „Wer ist da?"

„Anne, ich bin's." Meine Stimme zitterte leicht, aber ich riss mich zusammen.

Die Türe summte und wir betraten das Treppenhaus. Das Gebäude hatte keinen Aufzug, aber meine Mutter wohnte sowieso nur im zweiten Stock. Während wir die Treppen raufstiegen und der Wohnung immer näher kamen, fragte ich mich, wie meine Mutter und mein Bruder auf Hussein reagieren würden. Ich hatte seinen Besuch nämlich nicht angekündigt.

„Jetzt komm schon." Riss mich Hussein aus meinen Gedanken und ich merkte erst jetzt, dass ich langsamer geworden war.

Schluckend stieg ich die letzten Stufen hoch und blieb vor der Wohnungstür stehen. Ich überlegte, ob ich nochmal klingeln sollte, als mir die Entscheidung von meiner Mutter abgenommen wurde. Sie riss die Türe auf und ich sah einen kurzen Moment lang in ihre warmen braunen Augen, bevor sie mich schluchzend in eine Umarmung zog.

Zögerlich legte auch ich meine Arme um ihren zitternden Körper. „Ist schon okay." Versuchte ich sie zu beruhigen und sie löste sich von mir.

„Mashallah, sieh dich an. Wie hübsch du geworden bist." Sprach sie auf türkisch und strich durch meine Wellen. Dann wanderten Augen auf Hussein und sie zog sich überrascht ihr Kopftuch zurecht. „Du hast mir gar nicht erzählt, dass du Besuch mitbringst. Wer ist das?"

„Hussein." Lächelte ich. „Ein guter Freund."

„Selam aleyküm." Murmelte sie, immer noch verwundert, und zog auch ihn kurz in die Arme.

„Aleykum Selam. Wissen Sie eigentlich, was für eine hübsche Tochter Sie haben?" Grinste er und bekam von mir dafür meinen Ellbogen in seinen Bauch gerammt.

Meine Mutter zog lächelnd ihre Augenbrauen hoch. „Klar weiss ich das. Sie hat nämlich ihr Aussehen von mir geerbt." 

Hussein lachte auf und ich betrat währenddessen die Wohnung. „Hier hat sich ja echt gar nichts verändert."

„Wollt ihr etwas zu essen?" Wechselte meine Mutter das Thema und eilte in die Küche.

„Nein danke Anne." Rief ich ihr nach, aber sie gab mir nur einen wütenden Blick.

„Ihr hattet bestimmt kein Mittagessen, also sei ruhig und lass mich machen." Schimpfte sie auf türkisch und ich hob unschuldig meine Hände hoch.

Als sie wieder in die Küche verschwunden war, drehte ich mich zu Hussein um, doch der war gerade dabei alle Bilder, die im Flur hangen, genau zu betrachten. „Guck mal wie süss du warst." Zeigte er auf ein Kinderbild, in dem Ich und mein Bruder in die Kamera grinsten. Das war kurz vor seiner Diagnose. Da war alles noch in Ordnung.

„Ist das dein Bruder?" Wurde er leiser und ich nickte.

Mein Blick fiel auf seine Zimmertüre. Ich wusste nicht, ob ich einfach reingehen sollte. Ich wusste nicht, ob ich seinen Anblick verkraften würde.

„Soll ich hier warten?"

Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass ich ihn an meiner Seite brauchte. „Bitte komm mit."

Hussein legte seine Hand auf die Türklinke und sah mich abwartend an. Erst als ich nickte, öffnete er langsam die Türe.

Ich betrat das Zimmer als Erste und mein Blick fiel direkt auf den blassen Jungen, der mit geschlossenen Augen in seinem Bett lag. Vorsichtig setzte ich mich neben ihm und betrachtete ihn genauer. Er sah so abgemagert und erschöpft aus, dass meine Augen direkt glasig wurden. Schniefend strich ich ihm über seine Hand, die eisig kalt war.
Man erkannte deutlich, dass wir Zwillinge waren. Wir hatten die selben Gesichtszüge, die selbe Nase und sogar die selbe Lippenform.

Als er plötzlich seine Augen öffnete und sich ein leichtes lächeln auf seinen Lippen bildete, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten. Ich presste mein Gesicht in seinen Pullover und es fühlte sich so an, als würde ich all meine bisher zurück gehaltenen Tränen erst jetzt freien lauf lassen. Es fühlte sich so an, als wäre es das letzte mal, dass ich meinen Zwillingsbruder berühren dürfte.

„Habibi, du erdrückst ihn." Hussein legte seine Hände auf meine Schultern und zog mich sanft zurück.

Erst jetzt merkte ich, dass seine Atmung sich verschnellert hatte. „Tut mir leid." Brachte ich unter Tränen hervor und blickte auf den Boden.

„Entschuldig dich nicht, denn ich müsste der sein, der sich entschuldigt. Du hast für mich so viel getan, du konntest wegen mir deine Jugend nicht geniessen. Wann hattest du das letzte Mal Spass in deinem Leben?" Seine Stimme klang schwach und man merkte, dass ihm das Reden viel kraft kostete.

„Es ging um dein Leben. Das war mir wichtiger als der ganze andere Scheiss." Ich kämpfte mit mir selber, um nicht nochmal in Tränen auszubrechen.

Mein Bruder lächelte wieder. „Ich werde dir für immer dankbar sein." Dann sah er zu Hussein. „Du bist Samra, nicht wahr?"

Hussein nickte und trat einen Schritt näher zu ihm.

„Kannst du für mich einen Gefallen tun?" Fragte mein Bruder.

„Klar, was denn?" Hussein's Augen blickten meinen Bruder liebevoll an und mir wurde wieder bewusst, was für ein gutes Herz dieser Rapper hatte.

„Pass auf sie auf. Sie hat so viel Scheisse erlebt, sie verdient nur das beste. Versprich mir, dass du sie nicht alleine lässt."

Geschockt schüttelte ich dem Kopf. „Yusuf, das kannst du doch nicht verla-„

„Versprochen." Unterbrach mich Hussein.

Yusuf schenkte auch ihm ein Lächeln. „Danke."

Unser Gespräch wurde von meiner Mutter unterbrochen, die ebenfalls das Zimmer betrat. Ich konnte sehen, wie nahe ihr die Situation ging. Wie lange war es sehr, dass sie ihre beiden Kinder vereint gesehen hatte?

„Essen ist fertig." Murmelte sie und ging sofort wieder.

Ich erhob mich von Yusufs Bett und klammerte mich an Hussein's Arm. „Wir gehen dann mal." Meinte ich unsicher und mein Bruder nickte nur.

Sobald wir das Zimmer verlassen und die Türe hinter uns geschlossen hatten, atmete ich erleichtert auf. Ich hätte den Anblick meines kranken Bruders nicht lange ertragen können. Es tat zu sehr weh.

„Alles gut?" Hörte ich Hussein's Stimme leise an meinem Ohr und sah nickend zu ihm auf.

„Lass uns was Essen."

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Ich weiss, das letzte Update ist schon ewig her. Aber ich habe alle Kapitel überarbeitet, weil mir mein alter Schreibstil einfach nicht mehr gefallen hat.
Meine Schule fängt bald wieder an und dieses Jahr ist unglaublich wichtig für mich. Deshalb kann ich pro Woche nur noch 1 Kapitel hochladen, welcher Wochentag genau lege ich nicht fest. Lasst euch einfach jede Woche überraschen❤️

Nur für dich | SAMRA FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt