Kapitel 15 - Eine Hiobsbotschaft

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--- Seine Sicht (In Rumänien) ---
Seit Ewigkeiten ruht mein Blick auf dem Drachen vor mir. Es ist ein Weibchen und sie hat vor kurzem ein Ei gelegt, das sie seitdem ununterbrochen bewacht. Ihr Name ist Blue, weil sie blaue Schuppen hat. Es ist mein Lieblingsdrache, von mir hat sie auch den Namen. Das einzige Negative ist, dass ihre Farbe mich stark an Azures Haare erinnert. Trotzdem sitze ich, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe, in jeder freien Sekunde hier auf einem hohen Stein und sehe Blue zu. Hinter mir geht gerade die Sonne unter. Ungewollt muss ich an einen Tag vor einer Woche denken. Ich war mit Az auf dem Dach des Hauses, indem meine Wohnung liegt. Meine Nachbarin hat dort einen kleinen Garten angelegt, was bedeutet, dass er voller Blumen und Bäume ist. Es ist ein kleines Paradies auf Erden, sogar im Winter. Noch dazu hat man einen atemberaubenden Blick auf ganz London, einschließlich der Themse. Eines Abends war ich mit Az dort. Wir saßen auf der kleinen Metallbank und haben heiße Schokolade getrunken. Erst als die Sonne glühend rot war, ist uns klar geworden, wie spät es schon war. Sie hatte dann aber schon ihre Vorlesung und ich den Beginn meiner Spätschicht verpasst. Also haben wir beschlossen, einfach noch länger sitzen zu bleiben.
Blue speit eine kleine Flamme und schreckt mich aus meinen Erinnerungen. Lächelnd sehe ich ihr zu, wie sie sich vorsichtig um ihr Ei rollt. Es ist einfach wunderschön, wie rührend sie sich um ihren Nachwuchs kümmert.
"Charles! Bist du hier?", ruft jemand hinter mir. Da ich überhaupt keine Lust habe, jetzt mit jemandem zu reden, antworte ich nicht, sondern lasse mich von meinem Stein herunterrutschen und setze mich ins Gras, das heute ausnahmsweise nicht zugeschneit ist.
"Charlie!", ruft die Stimme wieder. Dieses Mal hab ich sie erkannt. Aber das veranlasst mich nur noch mehr dazu, nicht zu antworten.
"Charlie! Ich weiß, dass du hier bist! Also komm gefälligst aus deinem Versteck!", ruft Ryan. Ich verdrehe nur die Augen und bleibe sitzen.
"Da bist du ja! Ich hab dich schon seit Ewigkeiten gesucht.", sagt er, als er neben mir steht.
"Was ist denn so wichtig?", frage ich genervt.
"Keith will mit dir reden."
"Aber nicht wegen der magischen Grenzen, oder?", frage ich.
"Ne, das macht Tim! Keine Ahnung, warum."
"Na schön.", sage ich und erhebe mich lustlos. Mein nervender Chef hat mir gerade noch gefehlt.
"Was gibts, Keith?", frage ich, als ich das Zelt meines Chefs betrete.
"Ich befördere dich!", sagt er sofort.
"Bitte was?" Ich hab mich wohl verhört.
"Ich befördere dich!", wiederholt er. Ich bin zuerst sprachlos. Damit hab ich so gar nicht gerechnet.
"Wie das?"
"Ganz einfach! Du machst den Job schon seit fast acht Jahren und warst auf mehr Lehrgängen und Fortbildungen, als alle anderen zusammen. Ich muss zugeben, du weißt was du tust! Und genau deswegen befördere ich dich. Es ist gestern eine Stelle freigeworden. In London."
"Was? Ich kann nicht nach London. Ich bin doch erst vor einer Wochen wieder hierher gekommen. Ich bin nicht grundlos da weg."
"Charlie! Es fehlen Leute dort. Es sind einfach zu wenig Mitarbeiter. Und hier sind es viel zu viele. Außerdem bist du als Einziger für den Job qualifiziert."
"Aber ich kann nicht zurück nach London!"
"Warum nicht? Wegen diesem Mädchen?" Fassungslos starre ich ihn an. "Schau nicht so, jeder hier weiß, was passiert ist."
"Dafür drehe ich Ryan den Hals um!", flüstere ich leise und balle die Hände zu Fäusten.
"Das weiß ich nicht von Ryan, sondern von Theo. Ist eine ganz witzige Geschichte! Mein Bruder Theo hat eine Freundin und die hat sich als die beste Freundin von deiner Azure herausgestellt. Naja, ich geb es zu, Theo redet etwas zu viel."
"Warte mal! Moment! Du willst mir sagen, dass dein Bruder Theo der Typ ist, der mit Az' bester Freundin Sara zusammen ist?"
"Ja genau! Ich sag ja, ist eine witzige Geschichte. Aber im Ernst, Charles... Du kannst nicht dein Leben nach Azure ausrichten!"
"Du verstehst das nicht! Ich will sie einfach nicht mehr sehen. Und wenn ich wieder nach London ziehe, dann... Irgendwann sehe ich sie wieder."
"Und wie stellst du dir das vor? Willst du dich für alle Ewigkeit hier in Rumänien verstecken?"
"Ja, so hab ich die wenigsten Probleme."
"Das ist doch Unsinn! Sieh dich an! Es geht dir nicht besser dadurch, sondern schlechter. Du machst nichts mehr als arbeiten. Und wenn du mal gerade nicht arbeitest, hockst du bei deinem Lieblingsdrachen rum. Es ist an der Zeit, dass du wieder normal wirst. Und ich denke, ein anderer Ort wird dir ganz gut tun!"
"Bitte nicht, Keith! Ich will gar nicht befördert werden. Ich will einfach nur hier bleiben!"
"Tut mir leid! Aber meine Entscheidung steht! Und ich fange nicht an, darüber zu diskutieren, klar!"
"Keith, bitte..."
"Nein! Du gehst nach England zurück. Und je mehr du dagegen sagst, desto schneller sorge ich dafür, dass du abreist, verstanden?", fragt er und sieht von seinen über zwei Metern Körpergröße auf mich herab. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich trotz meinen 1,92 m wirklich winzig. Ich zögere. Ich will auf keinen Fall in die Nähe von Az kommen. Den Schmerz will ich mir um jeden Preis ersparen.
"Verstanden?", fragt er wieder. Ich seufze.
"Ja."
"Geht doch! Du bekommst deine alte Wohnung wieder. Die ist noch nicht neu vermietet. Ryan bleibt hier, also hast du sie für dich alleine. Bis Donnerstag bist du hier weg, ja?"
"Ja ok."

Die Wunde des BetrugsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt