Kapitel 18 - Versagen

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Immer schneller renne ich durch den dunklen Gang, während das Lachen rechts und links von mir immer weiter anschwillt. Am liebsten würde ich etwas gegen die Bilderrahmen werfen, aber hier gibt es nichts, außer den schwarzen Steinwänden und der Tür am Ende des Tunnels, die einfach nicht näher kommen will.

"Du bist so ein Versager!", schreit Julia.

"Schwächling!", lacht Lucy.

"Und so naiv noch dazu!", ruft Aria.

"Haltet die Klappe! Lasst mich in Ruhe!", schreie ich und renne wieder den Gang entlang.

"Ich verstehe einfach nicht, was Azure an dir findet! Sieh dir doch nur Bill an.", ruft Lucy.

"Oder George!", fügt Aria hinzu.

"Oder Fred!", lacht Julia.

"Richtig! Neben Bill bist du ein Niemand!", sagt Scarlett und lacht.

"Ruhe jetzt! Ich hab es kapiert! Lasst mich in Ruhe!", schreie ich und renne immer weiter auf die Tür zu. Jedoch stolpere ich nach einer Weile und knalle auf den Boden.

Ich fahre aus dem Schlaf und muss mich erst beruhigen. Dann werfe ich einen Blick auf die Uhr und stelle fest, dass es erst drei Uhr morgens ist. Erschöpft lasse ich mich zurück auf mein Bett fallen und schließe die Augen. Wann hören diese Träume endlich auf? Seit ich Az zum letzten Mal gesehen habe, verfolgen sie mich beinahe jede Nacht. Ich muss wieder an den Moment denken, in dem ich sie fast geküsst hätte. Der Moment auf der Bank im Park.

"Das ist so wunderschön.", sagte sie leise und sah mich an. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihr wenden. Vor allem ihre Augen fesselten mich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Solche Gefühle hat noch nie jemand in mir ausgelöst, noch nicht einmal Scarlett. Ich ließ meinen Blick über ihr Gesicht wandern und blieb letztendlich an ihren Lippen hängen. Ich hätte sie wirklich unglaublich gerne geküsst, aber im letzten Moment erschien mir Scarletts Gesicht und ich musste an den Schmerz denken, den sie mir angetan hat. Was wäre, wenn Azure mir genauso weh tut? Nocheinmal stehe ich das nicht durch. Also habe ich zurückgezogen und meinen Blick abgewandt. Ich habe das gleich beendet, bevor es überhaupt hätte anfangen können, um mir diesen Schmerz zu ersparen. Es ist besser, dass ich den Kontakt zu ihr abgebrochen habe, bevor ich mich richtig in sie verliebt hätte. So ist es am besten. Ich glaube, auch für sie ist es besser so. Wenn ich sie geküsst hätte und ihr dann gesagt hätte, dass ich nicht mit ihr zusammen sein kann, wäre es auch für sie schlimmer gewesen. Und das hab ich ihr damit erspart. Jedoch muss ich mich trotzdem immer wieder am Riemen reißen, um meine Entscheidung nicht zu bereuen. Deshalb habe ich auch so viele Überstunden gemacht. Ich wollte mich einfach selbst dazu zwingen, nicht so oft an Az zu denken. Aber ich kann es einfach nicht lassen. Ich kann nichts dagegen tun. Immer wieder taucht sie in meinem Kopf auf und lächelt mich mit ihrem Lächeln an, das mich einfach nicht 'nein' sagen lässt, das mein Herz immer schneller schlagen lässt, das sie immer aufsetzt, wenn sie etwas bestimmtes haben will.

Aber sie hätte mir genauso weh getan, wie Julia, Aria, Lucy und Scarlett. Ich gebe meinen Traumgestalten recht. Ich bin einfach nicht so jemand, wie ihn sich eine Frau wünscht. Neben Bill bin ich schon immer Nichts gewesen. Jeder hat immer nur auf ihn geschaut, die Mädchen in der Schule sind alle ihm hinterhergerannt, er ist es, den sie immer wollten. Mum und Dad sind so verdammt stolz auf ihn. Wegen seinem Amt als Vertrauensschüler und als Schulsprecher. Er hat alle Erwartungen übertroffen. Und als ich dann Vertrauensschüler wurde, war es keine so große Überraschung mehr. Das einzige, das ich gut konnte, war Quidditch. Mehr nicht. 'Du bist so ein Versager!', klingt Julias Stimme in meinem Kopf wieder. Sie hat recht. Ich bin einfach nicht wie meine Brüder. Bill ist Mums Liebling, Percy hat einen super Job - wenn auch nichts, was etwas für mich wäre - und mit Abstand den besten Abschluss gemacht, Fred und George haben sich ein Scherzartikel-Imperium aufgebaut und verdienen sich dumm und dämlich daran. Und Ron? Von ihm fange ich erst gar nicht an. Vertrauensschüler, Hüter in der Gryffindor-Quidditch-Mannschaft, bester Freund von Harry Potter und mutiger, als ich es je sein werde. Logisch, dass ich da untergehe.

Und irgendwann hätte Az auch geschnallt, dass ich ein Versager bin. Und dann hätte sie sich auch jemand anderen gesucht. Ich seufze und drehe mich auf die andere Seite. Bevor ich wieder aufstehen muss, sollte ich wenigstens noch etwas schlafen.

Die Wunde des BetrugsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt