Kapitel 31 - Du bist auch nur ein Mensch

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--- Ihre Sicht ---
"Willst du reden?", frage ich und lehne mich in den Türrahmen. Charlie schaut weder auf, noch antwortet er. Also setze ich mich nach kurzer Zeit neben ihn und greife nach seiner Hand.
"Ich verstehe mich gerade selber nicht.", sagt er leise, während er immer noch den Boden anschaut.
"Du bist viel zu streng mit dir. Du denkst, dass du immer alles richtig machen musst, aber das schafft niemand."
"Ich hab es versaut. Bill hat recht. Ich tue seit Ewigkeiten so, als würde ich ihn hassen. Dabei hasse ich mich nur selbst. Weil ich damals so ausgerastet bin."
"Das war doch nicht deine Schuld. So hätte jeder reagiert."
"Doch, war es!"
"Oh Charlie...", seufze ich und lehne mich gegen ihn, dass ich den Kopf auf seine Schulter legen kann.
"Warum ist mir das nicht früher klar geworden?", fragt er.
"Weil du jetzt mit ihm geredet hast. Oder eher geschrien. Aber das Ergebnis ist dasselbe."
"Kommt mir das nur so vor oder war ich wirklich ein rießen Idiot."
"Du warst kein Idiot, sondern nur ein Mensch. Und Menschen machen manchmal komische und sinnlose Sachen, aber daraus lernen wir auch."
"Ich muss mich bei Bill entschuldigen."
"Warte lieber noch etwas. Er sitzt unten im Wohnzimmer und trinkt Whiskey. Morgen, wenn er wieder nüchtern ist, macht es glaube ich mehr Sinn.", schlage ich vor, woraufhin ich ihn lachen höre.
"Was, wenn er mir jetzt nicht verzeiht?"
"Charlie, er ist dein Bruder. Wenn er dich nicht vermissen würde, würde er dich in Ruhe lassen. Aber er versucht mit dir zu reden. Er will, dass ihr euch wieder vertragt. Und wenn du das jetzt auch willst, ist doch alles ok."
"Wie machst du das immer?", fragt er.
"Wie mache ich was?"
"Immer das zu sagen, was ich hören will, ohne zu klingen als hättest du es auswendig gelernt."
"Keine Ahnung. Ich sage dir einfach nur das, was ich denke. Und zum Glück scheint das ja zu helfen.", sage ich lächelnd. Er legt einen Arm um mich und küsst mich auf den Scheitel.
"Tut mir leid, dass ich vorhin so ausgerastet bin.", sagt er leise.
"Schon ok. Jetzt weiß ich ja, wieso."
"Ich mache es dir manchmal echt nicht einfach, oder?"
"Jeder Mensch hat Eigenschaften, die den Menschen um ihn herum, nicht immer gefallen. Aber das ist doch ganz normal. Wie oft hast du mir schon gesagt, dass nicht immer versuchen soll, alle Probleme zu beheben, weil das unmöglich ist? Damit nerve ich nur die Anderen und mache mich verrückt damit. Ich versuch es, aber eigentlich weiß ich, dass ich es nicht schaffe. Weil man Menschen nicht ändern kann. Die Kunst besteht nur darin, damit klar zu kommen. Und ich komme damit klar, dass du eben mal ausrasten kannst. Es gibt so viel schönes im Leben, dass es sinnlos ist, immer nur auf die Fehler zu schauen.", sage ich.
"Dafür liebe ich dich! Genau für diese Momente liebe ich dich.", sagt er nach einer Weile des Schweigens. Lächelnd sehe ich zu ihm auf und mache mich etwas größer, sodass ich ihn küssen kann. Sofort geht er drauf ein und legt die Arme um mich. Ein Schwarm Schmetterlinge flattert in meinem Bauch umher und mein Herz beginnt zu rasen.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr halte ich Charlie für sehr besonders. Zumindest ist er das für mich.
Ich kann in ihm lesen wie in einem Buch und trotzdem hat er immer noch etwas geheimnisvolles an sich, was mich wahnsinnig macht, weil ich es einfach nicht lösen kann. Und das bin ich nicht gewöhnt. Normalerweise verstehe ich Menschen besser als jeder andere. Aber nicht ihn. Es gibt Momente, in denen er genau das Gegenteil sagt oder macht, was ich erwartet habe. Und eben das macht das Leben mit ihm so spannend.

Die Wunde des BetrugsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt