Kapitel 11 - Zersplittert

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"Ja, genau das will ich.", sagt er mir fester Stimme.
Wie in Trance laufe ich ein paar Schritte zurück, während mir meine Tränen die Sicht versperren. Ich weine und er sieht mich einfach nur mit starrer Miene an. Er steht nur da und schaut mir beim Weinen zu. Wie kann er nur so kaltherzig sein?
"Ich dachte du wärst nicht einer von diesen vielen Idioten, von denen die Welt nur so wimmelt. Ich dachte, dass du der erste normale Typ bist, dem ich über den Weg laufe. Aber ich hab mich wohl getäuscht! Du bist genauso falsch. Hau blos ab!", rufe ich weinend. Doch meine Traurigkeit schlägt schnell in blanke Wut um. "Hau ab!", schreie ich und schucke ihn an der Brust nach hinten. Dann drehe ich mich um und renne so schnell ich kann zur Haustür, während der Schnee unter meinen Stiefeln knirscht. Die Kälte brennt eiskalt auf meinem Gesicht und ich bin kurz davor, zusammenzubrechen. Zitternd ziehe ich den Schlüssel heraus und will die Haustür aufschließen. Aber ich sehe weder genug, noch ist meine Hand ruhig genug. Schließlich fällt er mir aus der Hand und landet im Schnee. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und greife nach ihm. Als meine Hand den kalten Schnee berührt, durchzieht mich eisige Kälte. Mittlerweile ist mein Gesicht wieder nass vom Weinen. Kraftlos lasse ich mich an der Hauswand herunterrutschen und vergrabe mein Gesicht in meinen Armen, die ich um meine Knie geschlungen habe. Die Kälte zieht mir durch alle Glieder, aber das ist nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die mein Herz durchziehen. Es fühlt sich an, als würde es jeden Moment zerreißen. Ich grabe meine Hände in den Schnee zu meinen Füßen und bin dankbar für den Schmerz. Ich genieße ihn regelrecht. Und es ist nicht mal halb so schlimm wie der Schmerz in meinem Inneren.

--- Seine Sicht ---
"Du willst also, dass ich verschwinde und wir uns nie wiedersehen?", fragt sie mit zitternder Stimme. Tränen bahnen sich den Weg über ihr Gesicht. Es zerreißt mir das Herz, sie so zu sehen, weshalb ich zu Boden schaue. Ich ertrage es einfach nicht.
Ihre Frage bringt meinen Kopf zum dröhnen, aber ich weiß, was ich tun muss. Es fällt mir alles andere als leicht, aber ich schlucke den Klos, der sich in meinem Hals gebildet hat, hinunter und sammele Kraft für meine nächsten Worte. Dann blicke ich auf und blicke ihr in die Augen.
"Ja, genau das will ich.", sage ich und bemühe mich, meiner Stimme den Schmerz in mir nicht anmerken zu lassen. Sie starrt mich fassungslos und geschockt gleichzeitig an, während sie von mir zurückweicht. Sie weint. Die Tränen machen ihr ganzes Gesicht nass und tropfen auf den kalten Schnee vor unseren Füßen. Ich kann sie nur ansehen. Ich will ihr ein letztes Mal ihre Augen ansehen, bevor ich sie für immer vergessen muss. Ein allerletztes Mal präge ich mir ihr wunderschönes Gesicht ein.
"Ich dachte du wärst nicht einer von diesen vielen Idioten, von denen die Welt nur so wimmelt. Ich dachte, dass du der erste normale Typ bist, dem ich über den Weg laufe.", weint sie. Mein Herz zerfällt in tausend Stücke.
'Ich bin nicht so! Es tut mir so unendlich leid!', denke ich, bringe aber keinen Ton über die trockenen Lippen. Plötzlich schlägt ihre Stimme in blanke Wut um.
"Aber ich hab mich wohl getäuscht! Du bist genauso falsch. Hau blos ab!", schreit sie. "Hau ab!" Dann schubst sie mich an der Brust nach hinten und dreht sich um. Kurz darauf ist sie um eine Hausecke verschwunden. Erst jetzt bemerke ich, dass Wasser in meinen Augen steht. Ich weine nie. Wirklich nie. Egal, wie schwer eine Brandverletzung ist und egal, wie viel Angst ich um meine Familie hab - jetzt, da Voldemort vor einem halben Jahr das Ministerium übernommen hat. Das einzige Mal war, als ich erfahren habe, dass mein Bruder mit meiner Freundin geschlafen hat. Als meine Wut abgeklungen war und ich ihm seine Nase gleich doppelt gebrochen habe, saß ich eine halbe Ewigkeit hinter dem Fuchsbau. Und ich hab tatsächlich ein paar Tränen vergossen.
Aber das jetzt tut genauso weh, wie damals. Ich wische mir kurz über die Augen und appariere nach Hause, wo ich mich sofort unter die Dusche stelle. 'Ich hab das Richtige getan. Ich hab das Richtige getan.', rede ich mir immer wieder ein, während das eiskalte Wasser auf mich herabfällt und sich wie Nadeln in meine Haut bohrt. Aber ich genieße es. Die Schmerzen sowohl in meinem Inneren, als auch die, die das Wasser verursacht, kommen mir gerecht vor. Ich hab gesehen, wie sehr es ihr weh getan hat, von mir zu hören, dass das, was wir getan haben, ein Fehler war. In ihren Augen konnte man regelrecht ihr Herz zerbrechen sehen. Und das hat meins gleich mit zerstört.
Das eiskalte Wasser nimmt mir jedes Gefühl in Armen und Beinen, die bis gerade eben noch von Schmerzen erfüllt waren. Aber ich bleibe stehen und bewege mich nicht. Ich will so lange hier bleiben, bis auch mein Herz nicht mehr weh tut.

Die Wunde des BetrugsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt